Die gute Nachricht kam zur rechten Zeit. Die britische Nahverkehrsgesellschaft C2C, eine Tochter des britischen Bus- und Bahnkonzerns National Express, überzeugte auf der ganzen Linie. Die Züge waren 2014 zu 97,4 Prozent pünktlich, der beste Wert in der Branche. Das Verbrauchermagazin „Which“ kürte C2C wegen des guten Services zur besten Pendlerbahn im Großraum London.
Das Lob kann die C2C-Konzernmutter National Express gut gebrauchen. Denn die Briten müssen sich in Deutschland gerade gegen Argwohn wehren. „Unsere Region kann sich längerfristige Störungen im S-Bahn-Verkehr nicht leisten“, sagt der Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) an die Adresse des Unternehmens. Die Deutsche Bahn bemüht gar Justitia gegen National Express.
Dem Verkehrskonzern aus Birmingham ist etwas gelungen, was als Zäsur in die Geschichte des Schienenpersonennahverkehrs eingehen könnte. Denn National Express – und nicht mehr die Deutsche Bahn – soll von 2018 an zwölf Jahre lang die S-Bahn im Großraum Nürnberg betreiben.
Damit hat die Deutsche Bahn erstmals ein umfangreiches S-Bahn-Netz an einen Konkurrenten verloren, nachdem sie in den vergangenen Jahren bei Ausschreibungen stets nur kleinere Nahverkehrsverbindungen abgeben musste. Um 200 bis 300 Millionen Euro sollen die Briten die Deutsche Bahn laut Branchenkreisen unterboten haben, weshalb der Staatskonzern die Vergabekammer Südbayern eingeschaltet hat. Das Gremium ist eine Art Gericht, das die Entscheidung der öffentlichen Ausschreibung auf Rechtmäßigkeit überprüft.
National Express in der Kritik
Die Vorbehalte sowohl der Bahn als auch des Nürnberger OB kommen nicht von ungefähr. Denn die Briten sind in ihrer Heimat umstritten. Die Bilanz der vergangenen Jahre fällt eher negativ aus.
Der Busbetreiber war groß in das Eisenbahngeschäft eingestiegen, als die britische Regierung Ende der Neunzigerjahre den Personenschienenverkehr auf der Insel privatisierte und dafür 25 Lizenzen versteigerte. National Express erwarb fünf Lizenzen, Prism vier. Mit der Übernahme des Bahnunternehmens Prism Rail verfügte National Express über neun Bahnbetreiberkonzessionen mit Laufzeiten zwischen 7 und 15 Jahren und wurde auf Anhieb Branchenführer.
Doch davon ist heute kaum noch etwas übrig. Als die neun Lizenzen nach Ende der Laufzeit neu ausgeschrieben wurden, konnte National Express nur einen Auftrag wieder gewinnen: die Linie der Konzerntochter C2C von London nach Essex, ein Streckenabschnitt mit nur 25 Bahnhöfen.
Busverkehr rettet National Express aus dem Schuldental
Desaströs dagegen endete der Betrieb der East Coast Main Line, der östlichen Verbindung zwischen London, Newcastle und Schottland, einer der längsten und wichtigsten Nord-Süd-Strecken des Landes. National Express kam hier den Lizenzverpflichtungen nicht nach, sodass das Unternehmen 2009 seinen Vertrag vorzeitig kündigte. Die damalige Labour-Regierung ließ die Verbindung zwangsverstaatlichen, reprivatisiert wurde sie bis heute nicht.
National Express hatte sich total verkalkuliert und war von einer Zunahme des Passagieraufkommens um zehn Prozent pro Jahr ausgegangen. Die Annahme erwies sich in der Rezession in Großbritannien als zu optimistisch. Umgerechnet 1,6 Milliarden Euro hätte National Express für die Lizenz von 2007 bis 2015 zahlen müssen. Dazu war das Unternehmen nicht in der Lage und stieg sechs Jahre vor Vertragsende aus. National Express saß auf einem Schuldenberg von mehr als einer Milliarde Euro und galt als Übernahmekandidat.
Aus dem Jammertal fanden die Briten nur heraus, indem sie sich auf den Busverkehr konzentrierten, in England, Spanien sowie den USA. Dort verdient National Express gutes Geld (siehe Grafik). Zudem geht das Unternehmen heute weniger Risiken ein. „Unsere Strategie auf der Schiene ist es, eine Reihe von kleineren und mit niedrigerem Risiko behafteten britischen und deutschen Lizenzen zu erwerben“, sagt Andrew Chivers, Leiter der Eisenbahnsparte.
Zu solchen Objekten der Begierde zählt Manager Chivers das S-Bahn-Netz von Nürnberg, nachdem er 2013 in Nordrhein-Westfalen bereits zwei Regionalstrecken zwischen Rheine, Wuppertal und Bonn gewonnen hatte. Dabei soll es nicht bleiben. So schreibt NRW gerade den Rhein-Ruhr-Express (RRX) aus, eine Schnellbahnstrecke quer durch das Ruhrgebiet von Köln über Düsseldorf nach Dortmund.
„Am Rhein-Ruhr-Express“, so National-Express-Deutschland-Chef Tobias Richter, „sind wir interessiert.“ Kleiner und risikolos, wie Chivers vorgibt, ist die Strecke aber nicht. Der RRX-Auftrag umfasst 14 Millionen Zugkilometer pro Jahr – rund doppelt so viel wie das S-Bahn-Netz Nürnberg.