Herr Dirks, seit der Übernahme von E-Plus hat Telefónica zwar die meisten Mobilfunkkunden, beim Umsatz hinken Sie aber hinter der Deutschen Telekom und Vodafone her. Wie wollen Sie diesen Rückstand aufholen?
Thorsten Dirks: Unsere bisherige Bilanz sieht gar nicht so schlecht aus. Die meisten Unternehmen sind ein oder zwei Jahre nach so einer Fusion mit sich selbst beschäftigt. In diese Falle sind wir nicht getappt. Wir haben keine Kunden verloren und im operativen Geschäft deutlich zugelegt.
Sie haben einen bunten Strauß unterschiedlichster Produkte und Marken. Mit welchen wollen Sie denn in Zukunft Kunden und Umsätze gewinnen?
Klammern wir mal den Markt mit vorausbezahlten Prepaid-Karten aus. Dort werden wir weiter mit Partnern zusammenarbeiten, zum Beispiel Aldi und Tchibo. Der Prepaid-Markt hat ein Volumen von vier Milliarden Euro und läuft auch wirklich gut. Genauer schauen wir uns gerade den viel größeren Markt für Vertragskunden an, der ein Volumen von rund 14 Milliarden Euro hat.
Was ändern Sie bei den Vertragskunden?
Zwei Drittel der Deutschen sind Stammkunden bei einem der drei Mobilfunknetzbetreiber und haben diesen noch nie gewechselt. Diese Kunden geben 30, 40 oder 50 Euro pro Monat aus und bekommen dafür ein Datenpaket mit einer harten Volumengrenze. Mit unserem neuen Tarifmodell „O2 Free“ ändern wir das. Die letzte große Sorge der Mobilfunknutzer ist, dass ihr Datenvolumen plötzlich verbraucht ist und ihr Anbieter ihnen den Datenstrom weitgehend kappt. Bei uns kann der Kunde künftig endlos weitersurfen und Nachrichten teilen. Wir geben den Kunden endlich Sorglosigkeit in ihrem digitalen Alltag.
Die zehn umsatzstärksten Telekomkonzerne der Welt
AT&T (USA)
Der US-amerikanische Telekommunikationskonzern AT&T Inc. war aufgrund seiner Monopolstellung in den USA und Kanada lange Zeit die größte Telefongesellschaft und Kabelfernsehbetreiber der Welt.
Umsatz: 100 Mrd. Dollar
Umsatz 2014, Werte gerundet; Quelle: Bloomberg
Verizon (USA)
Das US-amerikanisches Telekommunikationsunternehmen Verizon Communications mit Hauptsitz in New York landet mit 96 Milliarden Dollar Umsatz im Geschäftsjahr 2014 auf Platz 2.
Umsatz: 96 Mrd. Dollar
NTT (Japan)
Die Nippon Telegraph and Telefone Corporation (NTT) ist in Japan der Marktführer unter den Telekommunikationsunternehmen. Mit 81 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2014 ist das Unternehmen der drittumsatzstärkste Telekommunikationskonzern der Welt.
Umsatz: 81 Mrd. Dollar
China Mobile (China)
Nach Kundenzahl ist China Mobile Ltd. ist mit mehr als 815 Millionen Kunden (Stand: erstes Quartal 2015, eigene Angaben) der weltweit größte Mobilfunkanbieter der Welt. Im Geschäftsjahr 2014 erwirtschaftete das chinesische Unternehmen rund 79 Milliarden Dollar und landet damit auf Platz 4.
Umsatz: 79 Mrd. Dollar
Deutsche Telekom (Deutschland)
Die Deutsche Telekom AG ist eines der größten europäischen Telekommunikationsunternehmen. Mit über 150,5 Millionen Kunden (Stand: 2014, eigene Angaben) ist der Mobilfunk der größte Unternehmensbereich. Außerhalb Deutschlands bietet der Konzern Mobilfunkdienste in den USA, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich, Tschechien, Ungarn, der Slowakei, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Griechenland, Rumänien und Polen an.
Umsatz: 63 Mrd. Dollar
Telefónica (Spanien)
Das global agierende Telekommunikationsunternehmen Telefónica S.A. ist vorwiegend in Europa und Lateinamerika tätig, wo der Konzern vorwiegend unter der Marke Movistar auftritt. In Europa (außerhalb Spaniens) agiert Telefónica vor allem als O2. Auf dem spanischen Heimatmarkt und in Lateinamerika ist der Konzern Marktführer.
Umsatz: 50 Mrd. Dollar
Softbank
Die Softbank K.K. ist ein führender japanischer Telekommunikations- und Medienkonzern. Das Unternehmen ist vor allem im Bereich Telekommunikation tätig und verkauft damit einhergehend auch Mobilfunkgeräte und –Zubehör. Zum breiten Portfolio zählen aber auch die Entwicklung und Vermarktung von Online-Spielen, verschiedenen Internetdienstleistungen sowie Breitband-Technologien oder E-Commerce.
Umsatz: 50 Mrd. Euro
Vodafone (Großbritannien)
Die Vodafone Group (ein Akronym aus voice, data und fone) ist ein international agierendes, britisches Mobilfunkunternehmen mit Hauptsitz in Newbury (Berkshire). Der Konzern ist auf fast allen europäischen Märkten präsent und erzielte einen Umsatz von 45 Milliarden Dollar im Geschäftsjahr 2014.
Umsatz: 45 Mrd. Dollar
América Móvil (Mexiko)
Das mexikanische Unternehmen mit Firmensitz in Mexiko-City ist mit 289 Millionen Kunden (Stand: viertes Quartal 2014, eigene Angaben) der größte Mobilfunkanbieter in Lateinamerika. Mit insgesamt 48 Milliarden Dollar Umsatz landet es weltweit auf Platz 8.
Umsatz: 48 Mrd. Dollar
China Telecom
China Telecom Corp. Ltd. war einst ein staatseigener Monopolbetrieb und ist heute der größte Telekommunikationsanbieter in China. Mit 40 Milliarden Euro Umsatz im Geschäftsjahr 2014 landet die China Telecom auf Platz 10.
Umsatz: 40 Mrd. Euro
Das hört sich so an, als wollten Sie sich von der Billigstrategie verabschieden und den Umsatz mit höheren Tarifen steigern?
Wir werden beide Segmente bedienen. Wir wollen den Kunden mehr geben und dafür auch mehr haben. Unser neuer Tarif zielt darauf ab, aus unserem Kundenbestand mehr Wert und damit höhere Umsätze zu generieren. Wenn ich Ihnen ein Angebot unterbreite und dafür ein paar Euro zusätzlich von Ihnen verlange, dann funktioniert das aber nur, wenn Sie das Angebot auch gebrauchen können.
Ihr neuer Konzernchef José María Álvarez-Pallete hat angekündigt, dass er künftig die Daten der Kunden vermarkten will. ist das Teil Ihrer Strategie, den Umsatz zu erhöhen?
Das ist eine Seite der Medaille. Unser Ansatz in Deutschland aktuell ist: Wir wollen den Kunden die Herrschaft über ihre Daten zurückgeben. Die Idee ist vergleichsweise simpel: Wir geben Ihnen künftig die volle Transparenz, welche Daten wir über Sie haben. Und dann können Sie die Kontrolle ausüben, indem Sie entscheiden, ob O2 die Daten verwenden kann oder nicht. Das ist unsere Differenzierung gegenüber Google und den anderen. Dort kippen Sie die Daten in ein großes schwarzes Loch und wissen nicht, was danach damit passiert. Wir wollen es bewusst anders machen.
Warum sollten Kunden Ihnen die Datennutzung erlauben? Bekommen sie einen Bonus?
Wenn wir Ihre Daten nutzen dürfen und daraus Werte entstehen, dann können Sie natürlich partizipieren.
Die Datenschützer werden laut protestieren.
Wir sind im kontinuierlichen Dialog mit der Bundesbeauftragten für Datenschutz. Sie guckt uns regelmäßig über die Schultern.
In Echtzeit Zugriff auf alle Unternehmensdaten
Nach heftigen Protesten von Datenschützern musste Telefónica in Deutschland vor drei Jahren solch ein Konzept verwerfen.
Wir haben unsere Lehren daraus gezogen und das Projekt neu aufgesetzt. Wir haben dafür ein einzigartiges und patentiertes Verfahren zur Anonymisierung der Kundendaten entwickelt. Es ist nicht so einfach, einen dreistufigen Algorithmus zu entwickeln und mit den Behörden abzustimmen. Aber jetzt sind wir an dem Punkt, dass wir starten können. Eines habe ich gelernt: Datenschutz ist ein ganz kritischer Punkt. Da werden wir uns nicht noch mal die Finger verbrennen.
An wen möchten Sie die Daten verkaufen?
Wir testen in Nürnberg und Stuttgart die Nutzung solcher Daten für Verkehrsströme und Abgasemissionen. Betreiber von Shoppingcentern sind auf uns zugekommen, weil sie wissen wollen, wie Kundenströme durch das Einkaufszentrum laufen. Unsere spanischen Kollegen arbeiten bereits eng mit Einzelhändlern zusammen. Da geht es unter anderem um zielgerichtete Werbung im Schaufenster. Wir testen das gerade auch mit einer Handelskette in Deutschland.
Ist Telefónica denn schon auf solch eine umfassende Digitalisierung vorbereitet?
Das ist kein einfacher Prozess. Im Zuge unserer Fusion stellen wir das Unternehmen komplett digital auf. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Seit einigen Wochen können alle Mitarbeiter über eine Anwendung in Echtzeit auf alle Unternehmensdaten zugreifen.
Wirklich? Es gibt kein Herrschaftswissen?
So ist es. Jeder Mitarbeiter hat einen webbasierten Zugriff auf alle Unternehmensdaten. Früher habe ich als Chef eine Anfrage an Mitarbeiter geschickt: Ich wüsste gerne, ob sich unsere Tarife in Gebieten mit guter Netzabdeckung besser verkaufen. Bitte auf Postleitzahlen herunterbrechen. Alle sind losgelaufen, haben einen Report geschrieben, der dann nach drei Monaten auf meinem Schreibtisch lag. Ich habe mir das angeguckt und Schlussfolgerungen gezogen. Heute kann jeder Mitarbeiter, auch die in unseren Shops, solche Abfragen auf seinem Bildschirm starten und bekommt unmittelbar das Ergebnis.
Zur Person
Der 53-Jährige ist seit Oktober 2014 Vorstandschef von Telefónica Deutschland. Zuvor war der Elektrotechnik-Ingenieur bei E-Plus.
Kann der Shop-Mitarbeiter auch sehen, ob der O2-Laden ein paar Straßen weiter mehr Kunden anlockt?
Es gibt natürlich einen datenschutzrechtlichen Rahmen. Aber der Mitarbeiter kann alles Wesentliche sehen. Genau über diese Punkte hat es intern heftige Diskussionen gegeben. Darf der überhaupt an solche Daten? Wir haben uns für eine vollständige Demokratisierung aller Daten entschieden.
Aber warum gehen Sie so ein Risiko ein? Die Daten könnten auch in fremde Hände fallen.
Weil ich dadurch etwas fördere, was ich im Unternehmen immer haben wollte. Die Entscheidungen sollen an den Stellen fallen, wo es am effektivsten ist. Und das ist beim Mitarbeiter. Das schafft Herrschaftswissen ab. Das verwirrt Führungskräfte. Die Herausforderung ist mir bewusst. Der Mitarbeiter kann jetzt besser informiert sein. Denn er hat Zugriff auf die gleichen Daten. Und dann zieht er daraus Schlussfolgerungen, an die sein Chef noch gar nicht gedacht hat. Das macht letztlich alle stärker.