Noch scheint die Hackordnung in der Beraterbranche in Stein gemeißelt. In der ersten Liga spielen Strategieberater wie McKinsey oder Boston Consulting Group als die Sparringspartner der Konzernmanager für den großen Fahrplan. In der zweiten Liga tummeln sich die Wirtschaftsprüfer, die den Finanzvorstand rund um Rechnungswesen, Controlling, Risikomanagement, Compliance und Finanzen unterstützen. In der dritten Liga spielen die IT-Dienstleister und in der vierten die Berater rund ums Thema Personalmanagement. Jede Liga hat ihre eigene Preisstruktur – ganz oben werden Beratungshonorare von bis zu 5.000 Euro pro Tag fällig. IT-Berater können dagegen im Schnitt nur Tagessätze um die 800 Euro abrechnen. Die Übergänge bei der Honorierung sind zwar fließend. Doch wer in einer Liga spielt, verliert an Glaubwürdigkeit, wenn er gleichzeitig auch noch in einer anderen Liga auftreten will und sein Leistungsversprechen durch Discounterpreise konterkariert. Umgekehrt, wer in einer der unteren Ligen spielt, dem traut kein Auftraggeber Oberliga-Leistung zu.
Die bisher bekannten Unterschiede zwischen den Beratungsanbietern verschwinden
Glaubt man Fiona Czerniawska, Analystin des britischen Marktforschungsinstituts Source for Consulting, gerät diese feste Hackordnung derzeit jedoch trotzdem immer mehr ins Wanken. "In den kommenden Jahren werden wir den Aufstieg einer neuen Klasse von Megafirmen erleben", prognostiziert die Marktbeobachterin, die regelmäßig Beratungskunden und Berater rund um den Globus über die aktuellen Trends befragt. Czerniawska glaubt, dass die großen Beratungshäuser künftig noch größer werden. "Es wird ein neues Segment entstehen in dem alle bislang bekannten Unterschiede verschwinden: Technologiefirma, Strategieberatung, Big Four der Wirtschaftsprüferszene werden sich als Label überholen", sagt die Source-for-Consulting-Analystin.
Immer mehr Kunden entscheiden sich für die großen Prüfungs -und Beratungshäuser
Als Beleg für das Anbrechen eines neuen Zeitalters der Megafirmen in der Beraterbranche führt Czerniawska gleich mehrere Trends an: Im Zuge der weiteren Globalisierung wechselten immer mehr Klienten in Westeuropa zu den internationalen Netzwerken der großen Prüfungs- und Beratungshäuser wie PwC, KPMG, EY und Deloitte. In den USA zeichne sich bereits ab, dass die Digitalisierung neue Möglichkeiten der Kombination von Front- und Back Offices eröffne. Immer mehr Unternehmen verlagern ganze Prozessketten aus Finanzen, IT, Kundenservice, Personalwesen oder auch des Einkaufs in Shared Service Center oder zu Oursourcingdienstleistern und die WP-Gesellschaften verstehen sich darauf, genauso solche Firmenarchitekturen zu gestalten. Und auch die Beratungskunden in den Wachstumsmärkten wie China, Indien oder Brasilien verspürten zunehmend den Druck, ihre Geschäftsprozesse noch stärker auf Geschwindigkeit und Effizienz zu trimmen, um möglichst schnell zu den etablierten Marktführern auf den Weltmärkten aufzuschließen, Diese Angreifer suchten sich gerne Beratungspartner, die weltweit einen guten Namen hätten und für Best Practice stünden.
Größe ist im Beratungsgeschäft derzeit Trumpf
Die Internationalisierung und damit einhergehend die Konsolidierung in der Beraterbranche gehen im Siebenmeilenstiefeltempo von statten. Getrieben von der Idee, den Klienten Management- und IT-Beratung, aber auch Steuer- und Rechtsberatung aus einer Hand und noch dazu rund um den Globus anzubieten, sind vor allem die großen Wirtschaftsprüfer im Weltberatermarkt seit etwa zwei Jahren auf Einkaufstour unterwegs. "Am auffälligsten und konsequentesten verfolgt KPMG das Multispezialisten-Konzept", konstatiert Eva Manger-Wiemann, Partnerin der Metaconsultingfirma Cardea, die Unternehmen bei der Auswahl und Steuerung von Beratungsdienstleistern unterstützt. Mit der Übernahme des Einkaufs- und Lieferkettenspezialisten BrainNet, der Vertriebs- und Marketingberatung TellSell-Consulting und der Personalmanagementberatung Dr. Geke hat sich KPMG wichtige Schlüsselkompetenzen ins Haus geholt, um Unternehmen umfassend beim Aus- und Umbau ihrer internationalen Wertschöpfungsketten zu beraten.
McKinsey und BCG sind als Topberatungen fest gesetzt
Und weil die Beratertruppen der großen Wirtschaftsprüferfirmen im Gegensatz zu den klassischen Strategieberatern ihre umsetzungsorientierte Managementberatung zu passablen Preisen anbieten und im Gegensatz zu Spezialistenboutiquen entsprechende Personalressourcen für die Beratung von Konzernkunden vorzuweisen haben, hoffen sie darauf, sich schon bald in eine neue Liga katapultieren zu können. Sie wollen weg vom Image der reinen Zahlenhengste, die sich mit Finanzen auskennen und ihr Beratungsspektrum erweitern. "McKinsey und BCG sind als die beiden Topmanagementberatungen fest gesetzt", urteilt Frank Höselbarth, Chef von Peoplebrand Agency, der sich auf die Markenberatung von Consultingunternehmen spezialisiert hat. "An der Spitze ist aber noch Platz für eine Nummer drei. Und um diesen Platz ist der Kampf entfacht, den die Gesellschaft gewinnt, die die strategische Flughöhe vorweisen kann". Gewonnen würde das Terrain mit Premium-Qualität, Ergebniswirksamkeit und Eigenständigkeit des strategischen Urteils.
Die Berater der Wirtschaftsprüferfirmen müssen aggressiver werden
Davon jedoch sind die Wirtschaftsprüfer noch einiges entfernt. "Um in derselben Liga wie die klassischen Strategieberater aufzusteigen, müssten sie aus der Prüfkultur herauswachsen und eine echte, aggressivere Beratungsmentalität entwickeln", so Höselbarth. Doch auch unabhängig von der Frage, ob die Wirtschaftsprüfer jemals qualitativ hochwertige Strategieberatung anbieten können, haben sie gute Chancen, weitere Marktanteile aus dem Beraterkuchen abzuschneiden. Ihnen traut man zu, dass sie das Betriebsergebnis nachhaltig verbessern können.
Auf die Verbesserung des Betriebsergebnisses kommt es an
"Kein Kostenhebel ist so durchgreifend wie der im Bereich Einkauf und Lieferketten", betont Robert Gutsche, Chef der KPMG Consultingsparte. "Aber unsere Berater sind längst nicht nur dazu in der Lage, weltweit kostenoptimale und in ihren Prozessen effiziente Lieferketten zu modellieren. Sie arbeiten auch eng mit unseren Steuerberaten zusammen, die die internationalen Steuersätze berücksichtigen. Gleichzeitig sorgen unsere Rechtsanwälte dafür, dass Risiken, die sich aus der Zusammenarbeit etwa mit Vorlieferanten ergeben können, abgesichert sind. Auch beim Thema Personalmanagement will KPMG mit multidisziplinär besetzten Beraterteams punkten. "Viele Unternehmen würden gerne ihr weltweites Personalmanagement kostengünstiger und effizienter gestalten", so Gutsche."Dabei können sie unsere international erfahrenen HR-Berater im Verbund mit unseren Steuer- und Rechtsberatern bestens unterstützen "Etwa wenn weltweit neue Länder-Standorte mit eigener Steuergesetzgebung dazukommen und länderspezifische arbeitsrechtliche Voraussetzungen berücksichtigt werden müssen."
Beratung aus einer Hand
Für die Internationalisierung seines Shared Service Centers von KPMG Beratung aus einer Hand bekommen zu können, dieses Angebot überzeugte Jochen Schneider, Leiter Rechnungswesen bei der Friedhelm Loh Group im hessischen Haiger. Der Weltmarktführer in der Metall verarbeitenden Industrie setzt mit maßgeschneiderte Produkten und Systemlösungen wie zum Beispiel Schalt- Stromverteilungs- und Klimatisierungsanlagen weltweit mit 11.500 Mitarbeitern 2,2 Milliarden Euro um. Bereits vor 12 Jahren entschloss sich das Familienunternehmen, das für seine dezentral verteilten Produktions- und Vertriebsgesellschaften zuständige Rechnungswesen in ein Shared Service Center auszulagern. "Jetzt stand eine weitere Internationalisierung an, bei der wir uns mit ganz anderen Fragestellungen konfrontiert sahen als wir sie von der Bündelung deutscher Prozesse kannten", so Schneider. Gemeinsam mit einem multidisziplinär besetzten Team von KPMG konnte das Unternehmen aus dem Lahn-Dill-Kreis Lösungen entwickeln, die heute sicherstellen, dass der grenzübergreifende Wissenstransfer im Shared Service Center funktioniert, sprachliche und kulturelle Hürden überwunden werden konnten, die Verantwortlichkeiten des deutschen Shared Service Centers für ausländische Bankkonten und den Zahlungsverkehr richtig justiert sind und das Unternehmen sein bisheriges Verrechnungspreiskonzept so anpassen konnte, sodass es allen internationalen Steueranforderungen gerecht wird. "Um all das abzudecken, haben wir für Loh Services ein Team von Experten für Steuerrecht, Abschlussprüfung, Prozessmanagement; Personalmanagement und IT zusammengestellt", so Andreas Reimann, Partner bei KPMG.
Der Wettbewerb ist bei Transformationsprojekten besonders intensiv
Der Beweis, dass aus der Einheit von Steuerberatung, Rechts- und IT-Beratung sowie Managementberatung eine Beratungsqualität der neuen Dimension entstehen kann, ist jedoch noch nicht erbracht. "In der reinen Strategieberatung bleiben McKinsey und BCG auch weiterhin unangefochten", bestätigt Manger-Wiemann. Auch wenn Deloitte versucht hat, sich mit der Übernahme der renommierten Bostoner Strategieberatung Monitor Group hier Feld gut zu machen. Auf die großen Transformationsprojekte - also wenn Dax-Konzerne sich wieder einmal eine Schlankheitskur verordnen oder ihre weltweiten Prozesse umbauen müssen - bewerben sich die klassischen Strategieberatungen genauso wie PwC, KPMG oder EY. Die Strategieberater haben bei solchen Ausschreibungen den Nachteil, dass ihre Preisvorstellungen häufig noch über dem liegen, was der Kunde für stark umsetzungsorientierte, lang andauernde Programme zahlen will. Große Restrukturierungsprogramme hingegen gehören klassischerweise zum Kerngeschäft von McKinsey und Roland Berger Strategy Consultants. "In diesem Feld haben die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften noch nicht den gleichen Track Record vorzuweisen, das könnte sich aber durchaus in Zukunft ändern", sagt Manger-Wiemann.
Auch die IT-Berater schielen auf das Geschäft mit der Managementberatung
Die Gerüchte um die Übernahme der Managementberatung Booz & Company durch den IT-Riesen Accenture zeigen jedoch, dass längst nicht nur die Big Four der Wirtschaftsprüferszene auf das Geschäft mit Managementberatung schielen. Booz & Company gehört wie auch A.T. Kearney zu den international führenden Adressen für hochwertige Organisations- und Prozessberatung weniger jedoch für Strategiekompetenz. Die Beratung ist renommiert, aber möglicherweise nicht global und groß genug, um im Wettbewerb mit den wirklich großen Playern McKinsey und BCG langfristig bestehen zu können.
Der neue Gigantismus muss nicht sich unbedingt auszahlen
Dass es in den nächsten Jahren im Beratungsgeschäft spannend wird, steht außer Frage. Offen jedoch ist, ob der neue Gigantismus auf Dauer auch die Kunden der Beratungshäuser glücklich machen wird. "Multispezialisten haben zum Beispiel den Vorteil, dass sie ihren Klienten Zugang zu einem großen internen Netzwerk an Experten bieten können. Wenn die Chemie mit einem Berater nicht stimmt, können die Experten auch schneller ausgewechselt werden“, so Manger-Wiemann.
Doch ob die versprochene breite fachliche Abstützung in der Praxis auch gelebt wird, die Teamzusammensetzung und die Qualität der einzelnen Berater auf einem Projekt in jedem Fachgebiet am Ende wirklich stimmt, müsse in jedem einzelnen Fall wieder aufs Neue kontrolliert und gesteuert werden. Zudem hat die Erfahrung gezeigt, dass gerade hochkarätige Beratungsspezialisten gerne den Weg in die Selbstständigkeit suchen, wenn ihnen in einer Großberatung zu wenig Freiheiten geboten werden, sie mehr mit politischen Ränkespielen zu kämpfen haben als mit dem Dienst am Kunden.
Manger-Wiemann: Die Kunden sollten deshalb sich vor der Auftragsvergabe genau informieren, ob ein Haus auf dem gewünschten Spezialgebiet wirklich noch die Koryphäen vorzuweisen hat die es einst für teuer Geld eingekauft. Und was Fachexpertise angeht sowie Kundennähe werden die kleinen und mittleren Spezialistenboutiquen im Beratungsmarkt keineswegs vom Markt verschwinden und weiter an ihren Angeboten feilen.