Werbesprech
TikTok-Logo Quelle: REUTERS

Werbestrategen und Mediaexperten im Dauerstress

Mediaentscheider haben Probleme. Sie haben die Kontrolle über existenzielle Daten verloren, die Kampagnen-Wirkung sinkt und sie wissen keinen Ausweg. Unser Kolumnist weiß, wie man ihnen helfen kann. Eine Kolumne.

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Die Werber sind wahrhaftig nicht zu beneiden. Ihre Profession verliert kontinuierlich an Attraktivität, das Vertrauen in Werbung schwindet seit Jahren, die Werbewirkung sinkt, Cem Özdemir will die Werbung für 70 Prozent der Lebensmittel verbieten, in puncto Nachhaltigkeit ist man branchenweit nicht halb so weit, wie man sein müsste. Und jetzt auch noch das: Die Fachzeitung Horizont titelt „Stressfaktor Mediaplanung – die schwierige Suche nach dem richtigen Media-Mix“.

Horizont drückt dabei heftig auf die Tränendrüse: Man muss fast schon Mitleid haben mit den hochbezahlten Media- und Marketingentscheidern. Es wird, will man uns glauben lassen, immer schwerer, Zielgruppen werblich anzusprechen, weil sich das Publikum auf immer mehr Medien verteilt. Die Medienlandschaft ist inzwischen völlig zersplittert. Die Menschen vertreiben sich auf immer mehr Plattformen, in unzähligen Streams und einem immer noch großen Angebot an klassischen Medien ihre Zeit. Wie soll ein Unternehmen angesichts dessen bloß den passenden Media-Mix finden?

So ganz neu ist das Dilemma nicht. Das hätte man ebenso gut schon vor zehn Jahren konstatieren können. Christian Bachem, Geschäftsführer des Consulting-Unternehmens Markendienst Berlin, stellt jedoch fest: „Einen Media-Mix zu finden, der eine ausreichend hohe Reichweite und den nötigen Werbedruck erzielt, ist in einer fragmentierten Medienlandschaft zunehmend schwieriger. Insbesondere, wenn es um jüngere Zielgruppen geht.“ Er trifft damit den Nagel auf den Kopf.

Mediaplaner mit Klotz am Bein

Für Stefan Uhl, Managing Director DACH bei der Media- und Marketingberatung Ebiquity, besteht ein weiteres Problem in sinkenden Einzelreichweiten: „Daher ist der Media-Mix für die Erzielung möglichst hoher Nettoreichweiten in den allermeisten Fällen die richtige Antwort.“ Doch die Datenlage ist laut Uhl nicht ausreichend, um den richtigen Mix zu finden, da es keine anerkannte Währung gibt, die alle Kanäle umfasst. Christian Bachem spricht von einem „Klotz am Bein der Mediaplanung“.

Es fehlt den Werbern mithin an vergleichbaren Medien-Daten für ihre Mediaentscheidungen. In Wirklichkeit besitzen sie mehr Daten, als sie jemals verarbeiten könnten. Doch die stammen zunehmend aus nicht von Marketing- und Mediaentscheidern kontrollierbaren Quellen. Was Google, Meta (Facebook, Instagram) oder TikTok, die deutsche Werbung in Milliardenhöhe ausspielen, in ihre Excel-Charts als Nachweis ihrer Arbeit eintragen, könnte ebenso frei erfunden sein. Facebook ist schon mehrfach dabei erwischt worden, dem Werbemarkt wissentlich falsche Daten geliefert zu haben. Die Auslieferung der Werbemittel durch die Plattformen („Walled Gardens„) ist nicht für deutsche Werber kontrollierbar.

Dabei ist die Lösung des Problems denkbar einfach. Früher beaufsichtigten Werbungtreibende und Agenturen die Erhebung aller Daten über die Mediennutzung der Konsumenten. Sie hatten jederzeit Zutritt zum Maschinenraum und konnten kontrollieren, wie welche Mediennutzungs-Daten erhoben werden. Das gilt nach wie vor für die Daten der Media-Analyse oder der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), aber eben nicht für die Digital-Plattformen.

Kontrolle über Daten wiedererlangen

Wenn die Digital-Fraktion keine Transparenz über ihre Daten zulässt, müssten Werbekunden und Agenturen sie selbstbewusst in Frage stellen und/oder selbst erheben. Das für eine solche Erhebung erforderliche Geld ist sinnvoll angelegt angesichts von 26 Milliarden Euro, die alljährlich in Deutschland in Werbung investiert werden. Warum die hiesigen Protagonisten das Heft nicht wieder selbst in die Hand nehmen, kann niemand erklären. Es bleibt ein Rätsel – und erweist sich nun als kapitaler Fehler.

Dass Targeting als Lösung für das Fragmentierungsproblem, weil es Zielgruppen angeblich genauer adressiert und individualisiert ansprechen lässt, oft keine brauchbare Antwort ist, erläutert Bachem. Für ihn ist das Targeting „zumeist eine Illusion“: „Die ist allerdings so stark, dass sie viele Marketing- und Mediaverantwortliche dazu verleitet, mit Wunsch-Zielgruppen zu arbeiten, die oft zu spitz und meistens jünger und attraktiver sind als die tatsächliche Käuferschaft.“ Targeting, damit hat Bachem leider recht, sei „systematisch unpräzise, da die verwendeten Nutzerprofile kaum belastbar sind“.

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