Werner knallhart

Vorab-Test des neuen WLAN im ICE: „Bin ich schon drin?“

"Ende des Jahres" soll es im ICE endlich, endlich kostenloses WLAN in der 2. Klasse geben. Gratis ist ja schön. Aber ist es auch gut? Unser Kolumnist hat das Netz in einem Test-Zug spontan durchgecheckt.

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ICE mit WLAN-Schild Quelle: dpa

Es war mal wieder einer dieser Morgen: Ich betrete das Bordrestaurant als zweiter Gast des Tages und sehe: Hier ist seit dem Vortag nichts mehr gemacht worden. Auf den Tischdecken fliegen Brotkrümel herum und ein DB-Kassenbeleg vom Vorvortag. Wirklich wahr. Der muss da zwei Tage herumgelegen haben. Wie das geht, weiß nur die Bahn.

Auf der neuen Frühstückskarte steht: „Neue Rezeptur: Croissant 1,50 EUR“. Das lese ich gern, denn die alten Croissants waren oftmals schon sehr knautschig. Doch der freundliche Kellner erklärt: „Die neuen Croissants backen wir immer erst mittags. Morgens gibt es noch die herkömmlichen angelieferten.“

In jedem anderen Restaurant hätte ich verdutzt irgendwie was entgegnet wie: „Die neuen Croissants von der Frühstückskarte gibt es immer erst ab Mittag?“ Doch es ist das ICE-Bordrestaurant, deswegen sage ich tiefenentspannt: „Dann bitte ein herkömmliches.“

Das sind die größten Baustellen der Bahn
Erst vor wenigen Tagen hat die Bahn den neuen ICE 4 vorgestellt – und sich im Fernverkehr Einiges vorgenommen. Um 25 Prozent soll das Angebot bis 2030 ausgebaut, fünfzig Millionen neue Fahrgäste gewonnen werden. Tatsächlich schafft es die Bahn mit ihrer Preisoffensive, etwa mit den 19-Euro-Tickets, mehr Fahrgäste in die Züge zu locken. Aber die Rendite leidet. Quelle: dpa
Der Güterverkehr der Bahn ist ein Sanierungsfall. Zwar verbesserte sich das Ergebnis von DB Cargo im ersten Halbjahr 2016, aber die Sparte ist defizitär– und das schon seit Jahren. Zwischen 2007 und 2015 stagnierte die Verkehrsleistung, und das in einer boomenden Wirtschaft. Private Anbieter, auch auf der Straße, machen der Bahn zunehmend Konkurrenz. Quelle: dpa
174,63 Millionen Minuten haben die Personen- und Güterzüge der Bahn 2015 an Verspätungen eingefahren. Hauptursache ist die wachsende Zahl von Baustellen. Zwar schneidet die Bahn im ersten Halbjahr 2016 besser ab. Aber: Das Bemühen um pünktliche Züge ist laut Bahnchef Grube „mit großen Kraftanstrengungen verbunden“. Quelle: picture-alliance/ dpa
Die Bahn investiert viel Geld in die Infrastruktur: Gut 5,2 Milliarden Euro flossen 2015 etwa in die Instandhaltung von Schienenwegen und Brücken. Doch es hapert bei der Koordinierung der vielen Baustellen. Und so verursacht die von Konzernchef Grube gefeierte „größte Modernisierungsoffensive in der Bahn-Geschichte“ vor allem eines: Verspätungen. Quelle: dpa
Die Bahn braucht Geld, um den Schuldenanstieg zu bremsen. Geplant war deshalb ein Verkauf von maximal 40 Prozent der britischen Tochter Arriva und des Transport- und Logistikkonzerns DB Schenker. Arriva sollte im zweiten Quartal 2017 an der Londoner Börse starten, Schenker danach in Frankfurt. Doch die Pläne sind jetzt vom Tisch. Quelle: picture alliance/dpa
Bahnchef Grube feierte kürzlich die Grundsteinlegung für den Stuttgarter Tiefbahnhof, aber das Großprojekt bleibt umstritten. Beim Volksentscheid 2011 war noch von 4,5 Milliarden Euro Kosten die Rede. Der Bundesrechnungshof hält nun offenbar zehn Milliarden Euro für möglich, Grube selbst spricht von 6,5 Milliarden Euro. Quelle: AFP

Wenn ich diese kleinen Geschichten dann später Freunden erzähle und sie mir erst nicht glauben wollen, dann merkte ich erst, wie oft ich Bahn fahre. Für mich ist sowas nämlich normal. Einfach #bahnisch.

Doch dann passiert etwas, das ganz und gar nicht üblich ist. Als ich mit meinem Smartphone nach dem ICE-WLAN suche, ploppt in der Liste plötzlich ein Netz auf, das hieß WIFIonICE. Das ist was Neues. Bislang hieß es immer Telekom_ICE oder so. Ich klicke WIFIonICE an und bin entzückt: Die Bahn erklärt mir auf meinem Display, das sei das neue kostenlose WLAN für alle Passagiere, so wie es Ende des Jahres überall zu haben sein soll. Und ich dürfe es in diesem ICE schon einmal testen.

So sieht der neue ICE 4 aus
Der neue Hoffnungsträger: Der ICE 4 im ICE-Werk Rummelsburg in Berlin. Ab Spätherbst fährt er von Hamburg nach München. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Der ICE 4 ist vorne breiter als etwa der Vorgänger ICE 3. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Größere Piktogramme im Einstiegsbereich zeigen, wie der Wagen genutzt werden soll. Hier sind Handys verboten. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
In der ersten Klasse gibt es Leselampen am Platz. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Für die Bahn sind die Sitze eine echte Innovation. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Die Anzeigen in den Großraumwagen sind nicht neu, aber sie sind jetzt besser. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche
Der Spender für das Desinfektionsmittel ist jetzt fester Bestandteil der Armaturen. Quelle: Christian Schlesiger für WirtschaftsWoche

Nun bin ich zwischen Berlin und Hannover unterwegs. Und was befindet sich zwischen Berlin und Hannover? Richtig: nichts. Da fährt der ICE mit bis zu 250 Sachen durch, ohne einmal zu halten. Und da wir hier schließlich in Deutschland sind: Wie soll da aus dem Nichts plötzlich Internet in den Zug kommen? Wer die Strecke kennt, weiß: Das Handynetz zeigt hier beim Internet alles an von E über GPRS bis „kein Netz“. Da kann man froh sein, wenn man überhaupt mal kurz telefonieren kann. Mit anderen Worten: Was nutzt da eine neue ICE-WLAN-Technologie, die das mobile Internet von draußen zu einem WLAN drinnen macht, wenn es draußen kein mobiles Internet gibt?

Doch dann passiert etwas Ungeheuerliches: Ich empfange eine E-Mail! Irgendwo auf der Sachsen-Anhaltinischen Wiese gehen Daten durch. So muss sich Boris Becker Ende des vergangenen Jahrtausends im AOL-Werbespot gefühlt haben: „Bin ich schon drin?“

Ich spüre ganz genau, wie mein Körper irgendwelche Hormone ausschüttet. Jetzt will ich es wissen. Was taugt das neue ICE-WLAN? Ich entwerfe spontan einen Test.

Der 2.-Klasse-ICE-WLAN-Test

1. E-Mail

Eine Mail enthält als Anhang ein hoch aufgelöstes Foto von 10 MB Größe. Sollte es tatsächlich möglich sein, so etwas in einem Zug herunterzuladen? Ich probiere es. Und siehe da: Nach immerhin einer knappen Minute kann ich es öffnen: eine Blaumeise auf einem Ast im Garten. Ein Traum. Und bei einer Reisegeschwindigkeit von über 200 km/h ist eine Minute absolut akzeptabel.

2. Spotify

Ich will Musik hören. Live gestreamt aus dem Netz. Ich öffne die App. Wenige Sekunden später kann ich hören, was ich möchte. Es läuft durch ohne einen einzigen Aussetzer.

3. Apps aktualisieren

Meine HRS-Hotel-Buchungs-App ist nicht mehr aktuell. Das Update von 34,2 MB ist sogar in exakt 58 Sekunden geladen.

Das sind die aktuellen Superzüge
Deutschland: ICE Quelle: DPA
Italien: Alstom Pendolino Quelle: PR
Italien: Frecciarossa 1000 Quelle: DPA
Spanien: AVE Quelle: AP
Spanien: AVE auf Jungfernfahrt (1992) Quelle: Handelsblatt
Frankreich: TGV Quelle: DPA
TGV-Modell 1981 Quelle: DPA

4. Word-Datei aus Cloud laden

klappt in weniger als zehn Sekunden

5. DB-Navigator-App

Das hauseigene Bahn-Gewächs trumpft auf. Fahrplanauskunft und Reservierung-Anfrage klappen unverzüglich.

6. Hörbuch laden

145 MB für ein Hörbuch aus der Audible-Cloud auf das Telefon. Das braucht gut fünf Minuten. Aber meine Güte, die Zeit habe ich. Jetzt will ich mehr: Videos!

Hochgeschwindigkeitszüge in anderen Ländern

7. Youtube

Ich gucke zum Test einen Film mit Fails, wo Leute mit Aufsitz-Rasenmähern die Böschung runter kullern und so. Läuft rund. Also das Video.

8. Amazon Video

Ja, jetzt werde ich übermütig. Serien live streamen im ICE. Und was soll ich sagen: Es klappt. Das Bild ist in den ersten Sekunden verpixelt, was für eine niedrige Übertragungs-Rate spricht, doch dann fängt es sich und läuft den Test von zehn Minuten durchgängig ohne Probleme.

9. live fernsehen

„Volle Kanne". Über die Mediathek-App live das ZDF-Vormittagsprogramm. Es braucht rund 20 Sekunden, bis es anläuft. Dann startet die Übertragung in brillanter Bildqualität.

10. Video-Telefonie

Plötzlich geht gar nichts mehr. Mein Facetime-Test zur Videotelefonie scheitert völlig. Auch das Fernsehen setzt jetzt aus und mit ihm kurz mein Herz. Oh nein! Kann nicht einmal was perfekt sein? Ich schalte das WLAN aus und siehe da: auch kein mobiles Netz. Gerade, wenn das Handy-Netz patzt, versagt auch das ICE-WLAN. Ohne Mehl backt eben auch der beste Bäcker keine Plätzchen.

Doch nach rund drei Minuten liefert das WLAN wieder (doch jetzt geht bei Facetime keiner dran).

Dieses Gut-schlecht-gut geht dann die ganze Strecke so weiter - auch über Hannover hinaus. Im Schnitt rund zwanzig Minuten gute Leistung. Dann für ein bis drei Minuten Totalausfall. Dann wieder gute Leistung. Da gibt es wahrlich schlechtere Angebote auf dieser Welt (zum Beispiel die ICE-Croissants). Wenn das ab Dezember weiter so klappt, dann kann die Bahn sich auch mal auf die Schultern klopfen. Denn das ist dann auch #bahnisch.

Aber: Das ist ein Test unter Luxus-Bedingungen. Kaum einer der Passagiere in der 2. Klasse wird versucht haben, das kostenpflichtige WLAN zu nutzen, und dabei zufällig auf das kostenlose neue gestoßen sein.

Was aber, wenn ab Dezember hunderte von Reisenden sich euphorisch auf dieses eine Netz stürzen? Dieses eine Netz, das mit einer Kapazität von 150 Mbit pro Sekunde dem eines sehr guten privaten Hausanschlusses entspricht, umgerechnet aber für einen ganzen Straßenzug mit Mehrfamilienhäusern herhalten muss?

Die Bahn hat schon vorgesorgt und angekündigt, das Surf-Volumen pro Fahrgast zu beschränken. Wenn das alles aber ohne Kundenregistrierung ablaufen soll (wie im Test jetzt), dann wird es de facto eine Beschränkung pro Gerät. Steigt man mit Laptop, Tablet-Computer und Smartphone ein, bekommt man dreifaches Surf-Volumen. Wer unterwegs 90 Minuten Bundesliga live gucken will, sollte also ab jetzt anfangen, seine Altgeräte zu sammeln.

Fazit: Wenn Sie einmal so richtig nach Herzenslust im ICE surfen möchten, brauchen Sie nur ein bisschen Glück, um noch bis Mitte Dezember einen Test-ICE zu erwischen. Am besten nachmittags, wenn Sie dazu lecker frühstücken wollen.

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