Aufspaltung des Energieriesen Kommt E.Ons Notbremse zu spät?

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Kein "Hartz IV" für Kraftwerke

Im kommenden Mai will die Regierung darüber beschließen. Ein „Hartz IV für Kraftwerke“, also Geld ohne Gegenleistung, werde es mit ihm nicht geben, hat Wirtschaftsminister Gabriel den Strommanagern schon mal prophezeit.

Das Brisanteste an der Aufspaltung von E.On in ein neues grünes sowie in ein altes schmutziges Unternehmen ist jedoch die Ausgliederung der Atomsparte. „Dadurch könnte sich die Abdeckung der Rückstellungen mit Geldmitteln etwa halbieren, weil die Rückbau- und Entsorgungslasten zusammen mit den Kraftwerken vollständig in den abzuwickelnden Unternehmensteil verschoben werden, die Vermögenswerte aber nur zum Teil“, warnt Wolfgang Irrek, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Ruhr West in Bottrop. „Zudem ist das Pleiterisiko des Unternehmensteils mit den Altlasten höher, weil dieser nach der Abtrennung nicht mehr durch die zukunftsträchtigen Geschäftsbereiche unterstützt wird.“

Merkel: "Atomrisiken nicht auf Steuerzahler abwälzen"
Die finanziellen Risiken für den Ausstieg aus der Atomenergie sollen nach Ansicht von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei den Unternehmen bleiben. "Risiken auf Staat und Steuerzahler abzuwälzen, lehne ich ab", sagte die CDU-Vorsitzende im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am 16. Mai. "Im Grundsatz muss es dabei bleiben, dass die Unternehmen die Verantwortung für die Entsorgung von Atommüll tragen", betonte sie. Dafür seien Rücklagen gebildet worden. Eine einseitige Verlagerung der Risiken "werden wir nicht mitmachen". Zu der von Energiekonzernen vorgebrachten Idee einer öffentlich Atomstiftung wollte sich Merkel nicht direkt äußern. Sie habe davon bisher nur in der Presse gelesen. "Wir werden über das Thema der Kernkraftwerke und ihrer Altlasten sicher noch viele Gespräche führen", betonte sie zugleich. Quelle: dpa
Peter Ramsauer (CSU), Chef des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie, springt den Energiekonzernen zur Seite. Er nannte einen AKW-Fonds einen strategischen Vorschlag, "über den man nicht nur reden kann, sondern muss. Man sollte der Energiewirtschaft eher dankbar dafür sein, dass sie sich überhaupt mit Vorschlägen einbringt, als sie sofort wieder reflexartig zu verdammen", sagte Ramsauer dem "Spiegel". Die Konzerne könnten den Ausstieg nicht allein tragen. "In einer höchst verminten Gefechtslage müssen sich alle Seiten ihrer Risiken bewusst sein. Für den Bund sind das möglicherweise milliardenschwere Schadensersatzzahlungen für den Atomausstieg", sagte Ramsauer weiter. Quelle: dpa
CDU-Generalsekretär Peter Tauber machte am Montag nach einer Sitzung des Parteipräsidiums in Berlin deutlich: „Die volle Verantwortung auch für die Kosten liegt zunächst bei den Unternehmen. Alles weitere kann man gerne diskutieren.“ Das Thema sei komplex, sagte Tauber. „Zunächst muss es auch darum gehen, die Energieunternehmen nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen.“ Quelle: dpa
CSU-Chef Horst Seehofer hält eine Übernahme des Atomgeschäftes der drei großen Energiekonzerne Eon, RWE und EnBW durch den Bund für unrealistisch. „Ich kann es mir nicht vorstellen“, sagte der bayerische Ministerpräsident am Montag in München. Quelle: dpa
Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner sagte, sie sähe keinen Grund, dass der Staat jetzt Milliarden in die Hand nehmen sollte. Eine Art Stiftung wäre nur denkbar, wenn die Energiekonzerne ihre Rücklagen für die Atomkraftwerke dort beisteuern würden. Quelle: dpa
Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) war noch skeptischer: "Ich glaube, dass die Energieerzeuger ihrer Verantwortung gerecht werden müssen und gerade auch in dieser jetzigen aktuellen Diskussion deutlich machen müssen, dass sie nicht nur Geld verdient haben, sondern auch Vorsorge betreiben." Quelle: dpa
Die Deutsche Umwelthilfe betonte, die Energiekonzerne hätten sich vier Jahrzehnte lang mit der Kernenergie eine goldene Nase verdient. „Jetzt, wo es darum geht, Verantwortung zu übernehmen, stehlen sie sich mit einem faulen Kompromiss durch die Hintertür davon“, sagte Hauptgeschäftsführer Jürgen Resch. Quelle: Screenshot

13,6 Milliarden Euro hat Teyssen für die Stilllegung seiner acht Kernanlagen zurückgestellt, 10,3 Milliarden RWE für sieben Meiler, 7,5 Milliarden EnBW für fünf und 2,0 Milliarden Vattenfall für zwei bereits abgeschaltete Atomstromer. Diese Beträge haben die Wirtschaftsprüfer bisher brav als ausreichend bestätigt.

Tadel für Geheimnistuerei

Doch ob die Einschätzung auch in zehn Jahren oder später gilt, daran gibt es erhebliche Zweifel. So sind die Kosten der Endlagerung schwach- bis mittelstark radioaktiven Abfalls kaum abschätzbar, seitdem in der niedersächsischen Grube Asse rostende Tonnen mit Atommüll leck schlugen. Die Sanierung wird vermutlich Milliarden verschlingen. An diesen Entsorgungskosten sind die Konzerne jedoch zu knapp zwei Drittel beteiligt.

„Generell haben doch alle, von den Konzernvorständen bis zu den Politikern, das Gefühl, dass die Rückstellungen nicht reichen, wenn von 2022 an über viele Jahre die Stilllegung läuft“, sagt ein ehemaliger E.On-Top-Manager. „Von daher ist es verständlich, dass E.On den Atombereich verselbstständigt, bevor die Kosten aufgrund neuer Erkenntnisse neu bewertet werden müssen.“

Außerplanmäßige Abschreibungen großer deutscher Versorger auf Kraftwerke (In Millionen Euro; Für eine detailliertere Ansicht klicken Sie bitte das Bild an.)

Selbst der Wert der Rückstellungen ist umstritten, da diese zum Teil in Kraftwerken angelegt sind. Zwar seien „in den Bilanzen der Energiekonzerne Stand heute genug Bargeld und kurzfristig liquidierbare Wertpapiere gespeichert, um die bisher angesetzten Kosten für Rückbau und Entsorgung zu decken“, sagt Energiewirtschaftler Irrek.

Bundesrechnungshof fordert bessere Prüfung

Doch haben E.On und die anderen drei Stromkonzerne in den vergangenen Jahren fast 6,3 Milliarden Euro auf ihren Kraftwerkspark abgeschrieben. In welchem Umfang dies die Rückstellungen für die AKWs mindert, ist unbekannt.

Voraussichtliche Anteile von E.On, RWE, EnBW und Vattenfall am Zukunftsmarkt Energiedienstleistungen in Deutschland 2015 (in Prozent; Für eine detailliertere Ansicht klicken Sie bitte das Bild an.)

Der Bundesrechnungshof hat bereits 2011 die Geheimnistuerei gerügt und dass den Betriebsprüfern der Finanzämter das Fachwissen fehle, um die Angemessenheit der Rückstellungen zu beurteilen. Deshalb, so die Aufforderung an die Politiker, seien das Bundesamt für Strahlenschutz oder andere Fachbehörden einzubeziehen und ihnen die entsprechenden Auskunftsrechte zu verschaffen.

„Der Bundesrechnungshof hält eine bessere staatliche Prüfung der Rückstellungen und eine umfassende Information von Parlament und Regierung für geboten“, hieß es in dem Bericht. Geschehen, sagte Behördenpräsident Kay Scheller Anfang vergangener Woche dazu, sei in dieser Richtung bisher allerdings „nichts“.

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