500 Jahre Reinheitsgebot Bier überdauert alle Krisen

Bier-Palast, Bier-Suppe oder Bier-Spionage - Deutschlands südlichstes Bundesland setzt mit einer Ausstellung dem ewig fließenden goldenen Gerstensaft und dem „Reinheitsgebot“ ein kleines Denkmal.

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Bier im Wandel
Eine riesige Trennwand aus Bierkrügen steuert am Eingang den Besucherstrom – eine der originellen Ideen der Bayerischen Landesausstellung zu 500 Jahre Reinheitsgebot. Quelle: Helmut Michelis
Am Bild der Belegschaft einer Straubinger Brauerei 1894 werden in der Ausstellung die damaligen Berufsbilder rund ums Bier erklärt. Das Foto stammt aus dem Stadtarchiv Straubing. Quelle: Helmut Michelis
Ein fröhliches Kind mit Flaschenbier: So warb man anno dazumal. Quelle: Helmut Michelis
Ein Hauch von Vorhölle: Die Vorheizkammer in der „Sau“ genannten Darre, die zur Trocknung und Röstung des Malzes diente. Bei bis zu 60 Grad Hitze und Staub (eine Sau-Hitze und sau-dreckig) musste hier in der alten Aldersbacher Brauerei von 1903 bis 1974 gearbeitet werden. Quelle: Helmut Michelis
Ein Gartenzwerg mit Maßkrügen – mehr Klischee geht kaum. Diese Reklame-Gipsfigur stammt aus dem Jahr 1900. Quelle: Helmut Michelis
Wie riecht Malz? Eine Besucherin in der Ausstellung probiert es aus. Quelle: Helmut Michelis
Einen besonderen Platz hinter dickem Glas hat die Bayerische Landesordnung von 1516 aus der Bayerischen Staatsbibliothek. Diese Verordnung legt fest, dass zum Bierbrauen „allain Gersten, hopfen vnd wasser genomen vnnd gepraucht sölle werden“ – das bis heute geltende Reinheitsgebot. Quelle: Helmut Michelis

Bierdurst. „Bei einem Schlag mit einem Maßkrug entsteht laut einem rechtsmedizinischen Gutachten eine Kraft von mehr als 8500 Newton. Der menschliche Kopf bricht im Scheitelbereich bei einer Wirkung von etwa 4000 Newton.“ Nein, die gerichtliche Nachbereitung einer tödlichen Wirtshausschlägerei ist keine gute Einleitung für einen Beitrag über die Ausstellung „Bier in Bayern“, auch wenn das Verbrechen darin erwähnt wird.

Ebenso wenig wie der dort geschilderte Fall historischer Wirtschaftsspionage: Gabriel Sedlmayer (Spaten-Brauerei) setzte 1833 bei einer Reise zu Braustätten in England einen Spazierstock mit Ventil ein, um damit heimlich gärende Bierwürze zwecks späterer Analyse aufsaugen zu können. Beide Beispiele sind indes irreführend. Also folgt ein neuer Anlauf.

Korndreschen anno 1894

Erstes Glas. Die Sonne brennt herab auf den Klosterinnenhof im niederbayerischen Aldersbach. Mit einem kühlen Weizenbier vor sich auf dem groben Holztisch lässt sich gemütlich beobachten, wie sich die Perlesreuter Brauchtumsfreunde aus dem nahen Bayerischen Wald mit Dreschflegeln, Heugabeln und ratternden historischen Landmaschinen abmühen, das Korndreschen anno 1894 vorzuführen – eine staubige und schweißtreibende Knochenarbeit, die aber damals nötig war, wollte man später leckeren Gerstensaft genießen.

Die Ausstellung

Das Postkarten-Bayern mit blauem Himmel, urgemütlichem Bräustüberl, zünftiger Blasmusik, feschen Dirndln und beschwipster Bierseligkeit, aber auch die teils entbehrungsreiche Realität dahinter präsentieren die noch bis zum 30. Oktober laufende „Bayerische Landesaustellung 2016“ und ihr vielfältiges Rahmenprogramm.

Das älteste Lebensmittelgesetz der Welt

Hinter allem steht die Botschaft, dass das Reinheitsgebot von 1516, wonach allein Malz, Hopfen und Wasser zum Bierbrauen verwendet werden dürfen, quer über den Globus eine beispiellose 500-jährige Erfolgsgeschichte begründet hat. Das älteste noch gültige Lebensmittelgesetz der Welt überstand alle Moden und jeden wirtschaftlichen Wandel. Ob in Tokio, irgendwo in der kanadischen Provinz oder am Ayers Rock im Herzen Australiens: Bier aus Deutschland oder zumindest nach deutschem Vorbild kennt jeder und lieben viele.

Das deutsche Reinheitsgebot

Zurück nach Aldersbach: „Ohne Bier ist unser Wirtshaus nicht vorstellbar. Eine Stammtischrunde bei Wasser wäre wohl nicht mehr amüsant“, bestätigt Peter Mayerhofer (43). Er ist Gastronom am Ort, führt als „Peter der Vierte“ die Tradition der gleichnamigen Gaststätte mit Hotel und Metzgerei seit 1905 weiter; die Geschichte der früheren Hofwirtschaft des Klosters Aldersbach geht sogar bis in 13. Jahrhundert zurück. Nur die Trinkgewohnheiten änderten sich über die Jahre: „Früher waren vor allem die Klassiker Hell, Dunkel, Weizen und später auch Pils nachgefragt. Heute bestellen die Gäste leichtere Biere und Biermischgetränke, zum Beispiel mit Zitrone.“ Zunehmend im Trend seien „Craft-Biere“ kleiner Brauereien, stark hopfenbetont und oft fruchtig. Bei Mayerhofer sei zurzeit alkoholfreies Weizenbier der Hit. „Ich muss immer wieder vorzeitig nachordern.“  

Bier, ein Zufallsprodukt

Zweites Glas. Bierähnliche Getränke wurden bereits in der Altsteinzeit produziert, mutmaßlich als eher zufällige Entdeckung durch in Wasser verfaulter Gerste und angebrannte Breispeisen. Bier, so verrät die Ausstellung, wurde in der Vor- und Frühgeschichte und im Mittelalter nicht nur wegen der berauschenden Wirkung geschätzt, sondern auch, weil es, anders als das häufig mit Krankheitserregern verschmutzte Wasser der damaligen Zeit, deutlich gesünder war. Die heilkundige Hildegard von Bingen stellte bereits im zwölften Jahrhundert fest, der Hopfen „halte gewisse Fäulnis von den Getränken fern“.

Gepanschtes Bier konnte tödlich sein

Ziel des Reinheitsgebots von 1516 war die Qualitätssicherung für die Verbraucher. So hatten Brauer ihr Bier zum Beispiel mit Pflanzen wie dem Wermut gepanscht, was tödlich enden konnte. Es ging aber auch um die Versorgung der Bürger, die man über das Gesetz steuern wollte. Der Weizen war wichtigstes Brotgetreide und daher oft Mangelware.

So wurde Bier zum Volksgetränk, zum „fünften Element Bayerns“, wie es der Geheime Ratskanzler des Kurfürstentums, Wiguläus Xaverius Aloysius Freiherr von Kreittmayer, 1716 formulierte. Bier wurde in unglaublichen Mengen konsumiert: Die Arbeiter im Lagerkeller einer Brauerei erhielten durchschnittlich pro Tag vier Liter Bier als Haustrunk, die Braugesellen sechs bis sieben Liter. Tranken sie es nicht, verfiel damit ein Teil des Lohns. Bier wurde selbstverständlich auch an Kinder ausgegeben, und bis 1870 – so informiert die Ausstellung - stieg der Bierverbrauch in ganz Bayern auf 251 Liter pro Kopf und Jahr. Rund um das Bier entstand eine Erlebnisgastronomie in Bierpalästen mit riesigen Innenräumen, zum Beispiel der Münchner Kindl-Keller. Das Münchner Oktoberfest wird inzwischen weltweit kopiert. Seit 1980 ist der Bierkonsum zwar noch immer imposant, aber stark rückläufig und liegt nun in Bayern bei 145 Liter (Deutschland insgesamt: 107 Liter).

Die Geschichte des Bieres

Drittes Glas. Aldersbach im Landkreis Passau hat eine prächtige Barock-Kirche anzubieten und mit dem Rottal, dem Bäderdreieck Birnbach-Füssing-Griesbach, dem Bayerischen Wald jenseits der Autobahn 3 und den nahen Oberösterreich und Tschechien eine attraktive Umgebung. Aber als Ort der Landausstellung „Bier in Bayern“ war die touristisch weitgehend unbekannte Gemeinde zunächst heftig umstritten. Doch Aldersbach schlug Ingolstadt, Kulmbach und Freising-Weihenstephan. „Hier sind Wirtshauskultur, Handwerk und Kunst, Bier und Barock räumlich und thematisch ganz besonders eng verzahnt“, stellte Ministerpräsident Horst Seehofer in seinem Grußwort für die Ausstellung fest. Auf Schritt und Tritt begegnet einem in Aldersbach Biergeschichte: Ein Glücksfall war die alte und neue Brauerei, deren Räume und Einrichtungen von anno dazumal liebevoll restauriert wurden. Gebraut wird seit 1268, die Familie von Aretin besitzt das Unternehmen seit 1812.

Die Dunkle Seite des Biers

Viertes Glas. Die sehenswerte Ausstellung, die soeben den 77.777. Besucher ehrte, spart die dunkle Seite der Macht „Bier“ nicht aus, zum Beispiel die sogenannten Bierkriege: Preiserhöhungen führten zwischen 1844 und 1910 in Bayern zu schweren Krawallen, bei denen komplette Gaststätten und Verwaltungsgebäude zerstört wurden. In der Wirtshausordnung für Niederbayern vom Januar 1853 wurden unter anderem feststehende Messer in Gaststätten verboten und bei sogenannten Rohheitsdelikten scharfe Strafen angedroht. Auch eine Original-Ausnüchterungszelle des Polizeipräsidiums Augsburg ist ausgestellt. 500 Frauen und Männer, quer durch alle Berufsgruppen, werden dort jährlich eingesperrt; der Aufenthalt in dem tristgrau gekachelten Raum kostet den Trinker 60 Euro.

Das Wirtshaussterben geht weiter

Ernüchternd ist auch die Entwicklung der Brauereien und Wirtshäuser: 1960 zählte Bayern 1566 Braustätten mit einem Gesamtausstoß von 12,5 Millionen Hektolitern. Heute sind es nur noch 616 Braustätten, allerdings mit einem Bierabsatz von 23,7 Millionen Hektolitern. Und gab es in Bayern 1980 noch 7900 Schankwirtschaften, so sind heute lediglich die Hälfte übriggeblieben, was im Übrigen alle Bundesländer ähnlich betrifft.

Fünftes Glas (jetzt muss aber Schluss sein!). Bier werde auch in den kommenden Jahrzehnten nachgefragt, das Wirtshaussterben aber traurigerweise weitergehen, befürchtet Peter Mayerhofer. „Klein- und Mittelbetriebe können die ungezählten bürokratischen Auflagen in Sachen Hygiene und allgemeiner Dokumentation wie die Zeiterfassung des Personals oder die Auswertung der Gesundheitsverordnungen nicht mehr leisten.“ Neuer Ärger stehe jetzt mit einer gesonderten Besteuerung der Gäste-Parkplätze bevor.

Die Gaststätten müssten sich dem Konsumverhalten der Gäste schneller anpassen als früher: „Der Kunde wünscht zum Beispiel anspruchsvollere Speisen, geschmacklich wie optisch.“ Deshalb stehen passend zur Ausstellung Biersuppe mit Chili und Speck, Weißbiergulasch und Bier-a-misu (Mascarpone mit Biercreme) auf der Speisekarte. Das „Bräustüberl“ im Klosterkomplex, eine dezente Untertreibung bei mehr als 100 Sitzplätzen, bietet dagegen bayerische Gemütlichkeit an blankgescheuerten Holztischen, es gilt Selbstbedienung, der Gast darf sein Essen mitbringen. Und draußen spielt die Blasmusik.

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