Bierdurst. „Bei einem Schlag mit einem Maßkrug entsteht laut einem rechtsmedizinischen Gutachten eine Kraft von mehr als 8500 Newton. Der menschliche Kopf bricht im Scheitelbereich bei einer Wirkung von etwa 4000 Newton.“ Nein, die gerichtliche Nachbereitung einer tödlichen Wirtshausschlägerei ist keine gute Einleitung für einen Beitrag über die Ausstellung „Bier in Bayern“, auch wenn das Verbrechen darin erwähnt wird.
Ebenso wenig wie der dort geschilderte Fall historischer Wirtschaftsspionage: Gabriel Sedlmayer (Spaten-Brauerei) setzte 1833 bei einer Reise zu Braustätten in England einen Spazierstock mit Ventil ein, um damit heimlich gärende Bierwürze zwecks späterer Analyse aufsaugen zu können. Beide Beispiele sind indes irreführend. Also folgt ein neuer Anlauf.
Korndreschen anno 1894
Erstes Glas. Die Sonne brennt herab auf den Klosterinnenhof im niederbayerischen Aldersbach. Mit einem kühlen Weizenbier vor sich auf dem groben Holztisch lässt sich gemütlich beobachten, wie sich die Perlesreuter Brauchtumsfreunde aus dem nahen Bayerischen Wald mit Dreschflegeln, Heugabeln und ratternden historischen Landmaschinen abmühen, das Korndreschen anno 1894 vorzuführen – eine staubige und schweißtreibende Knochenarbeit, die aber damals nötig war, wollte man später leckeren Gerstensaft genießen.
Die Ausstellung
Landesausstellung „Bier in Bayern“ des Hauses der Bayerischen Geschichte (Augsburg) in Aldersbach im Landkreis Passau. Täglich bis 30. Oktober geöffnet von 9 bis 18 Uhr, Eintritt: Erwachsene 10 Euro, Kinder zwei Euro.
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Das Postkarten-Bayern mit blauem Himmel, urgemütlichem Bräustüberl, zünftiger Blasmusik, feschen Dirndln und beschwipster Bierseligkeit, aber auch die teils entbehrungsreiche Realität dahinter präsentieren die noch bis zum 30. Oktober laufende „Bayerische Landesaustellung 2016“ und ihr vielfältiges Rahmenprogramm.
Das älteste Lebensmittelgesetz der Welt
Hinter allem steht die Botschaft, dass das Reinheitsgebot von 1516, wonach allein Malz, Hopfen und Wasser zum Bierbrauen verwendet werden dürfen, quer über den Globus eine beispiellose 500-jährige Erfolgsgeschichte begründet hat. Das älteste noch gültige Lebensmittelgesetz der Welt überstand alle Moden und jeden wirtschaftlichen Wandel. Ob in Tokio, irgendwo in der kanadischen Provinz oder am Ayers Rock im Herzen Australiens: Bier aus Deutschland oder zumindest nach deutschem Vorbild kennt jeder und lieben viele.
Das deutsche Reinheitsgebot
Die bayrischen Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. erließen am 23. April 1416 in Ingolstadt die neue Landesverordnung. Darin hieß es: „Wir wöllen auch sonderlichen / das füran allenthalben in unsern Stetten / Märckthen / unn auf dem Lannde / zu kainem Pier / merer stückh / dann allain Gersten / Hopfen / unn wasser / genommen unn gepraucht sölle werdn.“
Die Landesverordnung schrieb damit fest, dass für Bier nur Gersten, Hopfen und Wasser verwendet werden darf. Das erste Reinheitsgebot diente vor allem dem Verbraucherschutzes. Denn die Landesverordnung erschwerte es den Brauern, die auch ohne Rücksicht auf die gesundheitliche Wirkung Ochsengalle, Fliegenpilze oder psychodelische Kräuter in den Kassel warfen. Wertvolles Getreide wie Weizen oder Roggen hingegen blieb durch die Verordnung allein den Bäckern vorbehalten.
Bis die bayrische Regelung auch von anderen Ländern übernommen wird, dauert es über 350 Jahre: Erst mit der Reichsgründung 1871 führen auch andere Gebiete in Deutschland das Gebot ein. Wahrscheinlich auch unter dem Druck der Bayern, die ihren Zutritt zum Reich an diese Voraussetzung geknüpft haben sollen. Ab 1906 gilt das Gebot reichsweit.
Auch im Biersteuergesetz von 1923 ist das Reinheitsgebot enthalten. Doch eingehalten wird es in Krisen- und Kriegszeiten nur bedingt: So wurde zwischenzeitlich der Vertrieb von verfälschten Bieren nicht geahndet, und nach dem Krieg waren Ersatzzutaten wie Zucker, Hirse oder Kartoffeln sogar ausdrücklich erlaubt – außer in Bayern. Das Land versuchte daher mit einer Reihe von Gerichtsprozessen, das Reinheitsgebotes wieder bundesweit durchzusetzen.
Bis 1987 schützte das Reinheitsgebot nicht nur die Verbraucher, sondern vor allem auch die deutschen Brauer: Alle in Deutschland verkauften Biere mussten dem Reinheitsgebot entsprechen. Ausländische Brauer, deren Produkte das nicht taten, durften diese in Deutschland auch nicht als Bier vertreiben. Entsprechend gab es in Deutschland nur wenige ausländische Marken. Der Europäische Gerichtshof kippte das Gesetz 1987: Das Importverbot beschränke den Handel zwischen den Partnerländern.
Heute findet sich das Reinheitsgebot im Gesetz in der Bierverordnung und dem Vorläufigen Biersteuergesetz wieder. Dort heißt es: „Farbebier muss aus Gerstenmalz, Hopfen, untergäriger Hefe und Wasser hergestellt werden, es muss vergoren sein.“ Für obergärige Biere sind die Bestimmungen weniger streng. Daran halten müssen sich aber mittlerweile nur noch deutsche Brauereien, die auch für den deutschen Markt produzieren.
Bis zum Jahr 2016 soll das Reinheitsgebot Weltkulturerbe gehen - zumindest, wenn es nach dem deutschen Brauerei-Bund geht. Doch zwischen dem Plan und der Umsetzung liegen einige Hürden: Der Brauerei-Bund hat den Antrag bereits beim Land Bayern eingereicht. Doch die Bayern müssen den Vorschlag noch in die Vorauswahl für ein mögliche immatrielles Kulturerbe aufnehmen. Diese Liste wird dann an die Kultusministerkonferenz weitergeleitet, die aus den Vorschlägen der Länder noch mal eine Liste erarbeitet. Erst diese Vorschläge werden dann an die UNESCO weitergeleitet, die den Antrag von einem unabhängigen Experten-Komitee prüfen lässt. Der Evaluierungsprozess dauert in der Regel zwei Jahre.
Zurück nach Aldersbach: „Ohne Bier ist unser Wirtshaus nicht vorstellbar. Eine Stammtischrunde bei Wasser wäre wohl nicht mehr amüsant“, bestätigt Peter Mayerhofer (43). Er ist Gastronom am Ort, führt als „Peter der Vierte“ die Tradition der gleichnamigen Gaststätte mit Hotel und Metzgerei seit 1905 weiter; die Geschichte der früheren Hofwirtschaft des Klosters Aldersbach geht sogar bis in 13. Jahrhundert zurück. Nur die Trinkgewohnheiten änderten sich über die Jahre: „Früher waren vor allem die Klassiker Hell, Dunkel, Weizen und später auch Pils nachgefragt. Heute bestellen die Gäste leichtere Biere und Biermischgetränke, zum Beispiel mit Zitrone.“ Zunehmend im Trend seien „Craft-Biere“ kleiner Brauereien, stark hopfenbetont und oft fruchtig. Bei Mayerhofer sei zurzeit alkoholfreies Weizenbier der Hit. „Ich muss immer wieder vorzeitig nachordern.“
Bier, ein Zufallsprodukt
Zweites Glas. Bierähnliche Getränke wurden bereits in der Altsteinzeit produziert, mutmaßlich als eher zufällige Entdeckung durch in Wasser verfaulter Gerste und angebrannte Breispeisen. Bier, so verrät die Ausstellung, wurde in der Vor- und Frühgeschichte und im Mittelalter nicht nur wegen der berauschenden Wirkung geschätzt, sondern auch, weil es, anders als das häufig mit Krankheitserregern verschmutzte Wasser der damaligen Zeit, deutlich gesünder war. Die heilkundige Hildegard von Bingen stellte bereits im zwölften Jahrhundert fest, der Hopfen „halte gewisse Fäulnis von den Getränken fern“.
Gepanschtes Bier konnte tödlich sein
Ziel des Reinheitsgebots von 1516 war die Qualitätssicherung für die Verbraucher. So hatten Brauer ihr Bier zum Beispiel mit Pflanzen wie dem Wermut gepanscht, was tödlich enden konnte. Es ging aber auch um die Versorgung der Bürger, die man über das Gesetz steuern wollte. Der Weizen war wichtigstes Brotgetreide und daher oft Mangelware.
So wurde Bier zum Volksgetränk, zum „fünften Element Bayerns“, wie es der Geheime Ratskanzler des Kurfürstentums, Wiguläus Xaverius Aloysius Freiherr von Kreittmayer, 1716 formulierte. Bier wurde in unglaublichen Mengen konsumiert: Die Arbeiter im Lagerkeller einer Brauerei erhielten durchschnittlich pro Tag vier Liter Bier als Haustrunk, die Braugesellen sechs bis sieben Liter. Tranken sie es nicht, verfiel damit ein Teil des Lohns. Bier wurde selbstverständlich auch an Kinder ausgegeben, und bis 1870 – so informiert die Ausstellung - stieg der Bierverbrauch in ganz Bayern auf 251 Liter pro Kopf und Jahr. Rund um das Bier entstand eine Erlebnisgastronomie in Bierpalästen mit riesigen Innenräumen, zum Beispiel der Münchner Kindl-Keller. Das Münchner Oktoberfest wird inzwischen weltweit kopiert. Seit 1980 ist der Bierkonsum zwar noch immer imposant, aber stark rückläufig und liegt nun in Bayern bei 145 Liter (Deutschland insgesamt: 107 Liter).
Die Geschichte des Bieres
Der Anthropologe Jeremy Geller entdeckt Ende der 1980er Jahre Überreste einer Brauerei in Oberägypten, die sich auf die Zeit um 3500 bis 300 v.Chr. datieren lassen.
Aus der Zeit um 2500 v. Chr. stammen die ersten Dokumente, die Bier tatsächlich als solches erwähnen. So standen den Arbeitern, die die Pyramiden von Giseh errichteten, pro Tag zwei Krüge Bier und drei Laib Brot zu. Der Sumerologe Samuel Noah Kramer entdeckte außerdem eine Tontafel aus der Zeit um etwa 2100 v. Chr., auf der Bier als Heilmittel bei Krankheiten angepriesen wird.
600 Jahre später gab es in Mesopotamien, also dem heutigen Irak und dem Nordosten des heutigen Syriens, bereits 20 verschiedene Biersorten.
Noch einmal 100 Jahre später wird das erste Reinheitsgebot der Welt verfasst – und zwar im damaligen Mesopotamien. Ein Loblied an Ninkasi, Göttin des Bieres und der Brauer, hält fest, wie damals Bier hergestellt wurde. Nämlich aus Gerste, Malz, Gewürzen und Wasser. Zwischen 1730 und 1685 vor Christus entstand der Kodex Hammurapi, der als wichtigste Textsammlung des antiken Mesopotamiens gilt. Bei dem Kodex handelt es sich um eine Stele mit Richtersprüchen und Urteilen, die heute im Louvre ausgestellt ist. Diese Gesetzessammlung enthält auch Richtlinien für die Herstellung und den Verkauf von Bier.
Die ersten Fundstücke, die auf die Bierherstellung in Deutschland hinweisen, stammen aus der Zeit von 800 v. Chr. Demnach waren auf deutschem Boden die Oberfranken die ersten, die Bier gebraut haben. Von da an machte das Bier eine steile Karriere in Deutschland – sowohl als Getränk für die ärmeren Bevölkerungsschichten, als auch als Handelsware. 768 nach Christus machen die deutschen Bierbrauer eine wichtige Entdeckung: Um das Bier würziger und länger haltbar zu machen, benutzen sie von da an zusätzlich Hopfen.
Jetzt kommen die Mönche ins Spiel: 814 wird der Plan für das Benediktinerkloster St. Gallen entworfen. Dieser Plan beinhaltet neben dem reinen Kloster auch drei Brauereien.
Frühe Vorschriften zu Qualität und Preis des Bieres in Deutschland wurden bereits im 12. Jahrhundert erlassen. Eine Festlegung auf Wasser, Malz und Hopfen als Rohstoffe erfolgte für München 1487 durch Herzog Albrecht IV. von Bayern.
Als Vorläufer des Reinheitsgebotes gilt unter anderem eine „Biersatzordnung“, die Herzog Georg den Reichen 1493 für das damals von ihm regierte Teilherzogtum Niederbayern erließ.
Am 23. April 1516, erlässt der bayerische Herzog Wilhelm IV. die Vorschrift, dass zur Herstellung von Bier „allain Gersten, Hopfen und Wasser genommen und gepraucht sölle werden“.
Im Jahr 1906 wurde das bis dato nur für Bayern gültige Reinheitsgebot zum Reichsgesetz und galt somit für ganz Deutschland. Zeitgleich fingen die Menschen an, wehrloses Bier mit Limonaden oder Wasser zu verdünnen.
Durch eine Änderung im deutschen Biersteuergesetz dürfen Mischbiere – Cola-Bier, Radler, Bananenweizen und sonstige Obst- oder Bier-Enenergydrink-Mischungen - als fertige Flaschen- oder Dosengetränke im Handel vertrieben werden.
Drittes Glas. Aldersbach im Landkreis Passau hat eine prächtige Barock-Kirche anzubieten und mit dem Rottal, dem Bäderdreieck Birnbach-Füssing-Griesbach, dem Bayerischen Wald jenseits der Autobahn 3 und den nahen Oberösterreich und Tschechien eine attraktive Umgebung. Aber als Ort der Landausstellung „Bier in Bayern“ war die touristisch weitgehend unbekannte Gemeinde zunächst heftig umstritten. Doch Aldersbach schlug Ingolstadt, Kulmbach und Freising-Weihenstephan. „Hier sind Wirtshauskultur, Handwerk und Kunst, Bier und Barock räumlich und thematisch ganz besonders eng verzahnt“, stellte Ministerpräsident Horst Seehofer in seinem Grußwort für die Ausstellung fest. Auf Schritt und Tritt begegnet einem in Aldersbach Biergeschichte: Ein Glücksfall war die alte und neue Brauerei, deren Räume und Einrichtungen von anno dazumal liebevoll restauriert wurden. Gebraut wird seit 1268, die Familie von Aretin besitzt das Unternehmen seit 1812.
Die Dunkle Seite des Biers
Viertes Glas. Die sehenswerte Ausstellung, die soeben den 77.777. Besucher ehrte, spart die dunkle Seite der Macht „Bier“ nicht aus, zum Beispiel die sogenannten Bierkriege: Preiserhöhungen führten zwischen 1844 und 1910 in Bayern zu schweren Krawallen, bei denen komplette Gaststätten und Verwaltungsgebäude zerstört wurden. In der Wirtshausordnung für Niederbayern vom Januar 1853 wurden unter anderem feststehende Messer in Gaststätten verboten und bei sogenannten Rohheitsdelikten scharfe Strafen angedroht. Auch eine Original-Ausnüchterungszelle des Polizeipräsidiums Augsburg ist ausgestellt. 500 Frauen und Männer, quer durch alle Berufsgruppen, werden dort jährlich eingesperrt; der Aufenthalt in dem tristgrau gekachelten Raum kostet den Trinker 60 Euro.
Das Wirtshaussterben geht weiter
Ernüchternd ist auch die Entwicklung der Brauereien und Wirtshäuser: 1960 zählte Bayern 1566 Braustätten mit einem Gesamtausstoß von 12,5 Millionen Hektolitern. Heute sind es nur noch 616 Braustätten, allerdings mit einem Bierabsatz von 23,7 Millionen Hektolitern. Und gab es in Bayern 1980 noch 7900 Schankwirtschaften, so sind heute lediglich die Hälfte übriggeblieben, was im Übrigen alle Bundesländer ähnlich betrifft.
Fünftes Glas (jetzt muss aber Schluss sein!). Bier werde auch in den kommenden Jahrzehnten nachgefragt, das Wirtshaussterben aber traurigerweise weitergehen, befürchtet Peter Mayerhofer. „Klein- und Mittelbetriebe können die ungezählten bürokratischen Auflagen in Sachen Hygiene und allgemeiner Dokumentation wie die Zeiterfassung des Personals oder die Auswertung der Gesundheitsverordnungen nicht mehr leisten.“ Neuer Ärger stehe jetzt mit einer gesonderten Besteuerung der Gäste-Parkplätze bevor.
Die Gaststätten müssten sich dem Konsumverhalten der Gäste schneller anpassen als früher: „Der Kunde wünscht zum Beispiel anspruchsvollere Speisen, geschmacklich wie optisch.“ Deshalb stehen passend zur Ausstellung Biersuppe mit Chili und Speck, Weißbiergulasch und Bier-a-misu (Mascarpone mit Biercreme) auf der Speisekarte. Das „Bräustüberl“ im Klosterkomplex, eine dezente Untertreibung bei mehr als 100 Sitzplätzen, bietet dagegen bayerische Gemütlichkeit an blankgescheuerten Holztischen, es gilt Selbstbedienung, der Gast darf sein Essen mitbringen. Und draußen spielt die Blasmusik.