Mit Prunk und Protz ist Geld zu machen, sehr viel sogar. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Konsumenten von Luxusartikeln weltweit mehr als verdreifacht: von rund 90 Millionen im Jahr 1995 auf 330 Millionen. Das zeigt eine Studie der Managementberatung Bain & Company. 217 Milliarden Euro haben Menschen allein im vergangenen Jahr für Luxusgüter ausgegeben. Und der Markt wächst weiter.
Doch Forscher sagen eine Abkehr vom Exzess voraus (siehe Infobox). Martina Kühne, Autorin der Studie "Der nächste Luxus" erklärt, warum Weltreise und Einbauküche in Zukunft die Edelkarosse übertrumpfen.
Frau Kühne, die Luxusbranche boomt wie nie zuvor. Kaum jemand ist so gut durch die Krise gekommen wie Hersteller von Luxus-Artikeln. Jetzt sagen Sie das Ende von teuren Statussymbolen und prunkvollen Marken voraus. Wie passt das zusammen?
Den alten, den Bling-Bling-Luxus, nennen wir auch den kindlichen Luxus. Ihn wird es auch in Zukunft noch geben. Er funktioniert auf aufstrebenden Märkten, auf denen es hungrige Konsumenten gibt, die gerade zu Geld kommen, Nachholbedarf haben und es sich plötzlich leisten können, das auch zu zeigen. Im Westen ändert sich das Luxusverständnis jedoch. Die extreme Zurschaustellung von Reichtum, das Verschwenderische, wird immer stärker belächelt.
FAQ
Martina Kühne ist Senior Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institut und analysiert gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen mit den Schwerpunkten Konsum, Handel und Mobilität. Neben ihrer Forschungstätigkeit am GDI lehrt sie heute als Dozentin an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) in Master of Arts and Design.
In einer repräsentativen Studie hat das Gottlieb Duttweiler Institut die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Luxus erforscht und aktuelle Entwicklungen analysiert. Zudem befragten die Forscher mehr als 1000 Deutsche und Schweizer nach ihren Vorstellungen von Luxus. Die Studie wirft einen Blick in die Zukunft und beschreibt, wie sich der Luxus im Westen vom Prinzip des „Immer-Mehr“ verabschiedet.
Was tritt denn an die Stelle von Bling-Bling?
Im neuen Luxus dominiert die Erkenntnis, dass ein Mehr an materiellen Dingen nicht zwingend mehr Erfüllung und Glück mit sich bringt. Was in der Folge zentral wird, ist eine Verschiebung von Produkten hin zu Erlebnissen und später zu Erfahrungen. Es muss nicht mehr unbedingt das nächste Auto, die nächste Handtasche, die nächste Perlenkette sein. Konsumenten, die es sich leisten können, investieren stärker im Bereich Ferien, Freizeit – also in alles, was Luxus erleben und erfahren bedeutet. Das hat unsere Umfrage auch noch einmal bestätigt.
Warum machen Sie dann gerade jetzt einen ganz neuen Luxus aus?
Die Entwicklung beschleunigt sich. Wir sehen dafür zwei Gründe. Der erste ist der demographische Wandel. Wir leben in einer Gesellschaft, die immer älter wird. Gerade die wichtige Zielgruppe des Luxussegments, nämlich die Babyboomer, kommt langsam ins Pensionsalter. Diese Zeit werden sie genussvoll, aber auch sinnvoll gestalten wollen. Dann sehen wir bei der jüngeren Generation, dass die Toleranz gegenüber Verschwendung gesunken ist. Das hat gravierende Folgen. Wir sehen in Umfragen zum Beispiel, dass das Auto bei jüngeren Menschen an Statussymbol verliert. Die emotionale Beziehung ist einfach nicht mehr da. Auch, weil es Technologien gibt, die es ermöglichen mobil zu sein, ohne eines zu besitzen. Zugang wird wichtiger als Besitz. Statt sich einen teuren Wagen zu leisten, kaufen sich zum Beispiel immer mehr junge Menschen ein E-Bike.
Wie sich unser Verständnis von Luxus verändert
Nur wenige Begriffe werden so inflationär und so unterschiedlich verwendet, wie der Luxus-Begriff. Die Vorstellung von Luxus ist nicht nur individuell unterschiedlich, sie unterliegt auch einem gesellschaftlichen Wandel. In einem idealtypischen Modell beschriebt das Schweizer Gottlieb Duttweiler Institut vier Phasen, die den Wandel des nachvollziehbar machen. Das Modell beschreibt einen Reifeprozess, der sich an den Lebensphasen orientiert;
Quelle: Gottlieb-Duttweiler-Institut. „Der nächste Luxus. Was uns in Zukunft lieb und teuer wird.“
Die erste Phase der Luxusentwicklung ist geprägt durch einen großen Konsumhunger, der mit dem was angeboten wird, befriedigt wird. Das vorherrschende Prinzip: „Mehr ist Mehr“. Dies ist vor allem auf aufstrebenden Märkten zu beobachten. Hier herrschen Nachholbedarf und das Verlangen aufzusteigen. Gleichzeitig gibt es ein Defizit.
Sie setzt Solvenz voraus, wird aber dominiert von einem verstärkten Wettbewerbsdruck. Der Traum von einem weiterem Aufstieg weicht der Angst vor einem Abstieg. Nun wird das „Mehr“ zum „Muss“. Güter mit Signalwirkung gewinnen an Bedeutung: Mein Haus, mein Auto, mein Diamantring.
Eine erste Luxusmüdigkeit setzt ein. Die Phase ist geprägt vom abnehmenden Grenznutzen. Die Erkenntnis, dass das Glücksfühl beim Erwerb eines Produkts abnimmt, je öfter und hindernisloser dieser möglich ist, stellt sich ein. Der Luxuskonsum verschiebt sich von der Produkt- auf die Erlebnisebene.
Die Ästhetik des neuen Luxus lässt sich für die Forscher des GDI auf den Begriff der Verschlichterung bringen. Luxuskonsumenten demonstrieren bewusst den Verzicht. Die Fähigkeiten, dass Reduzierte und Essentielle leben, aber lesen zu können rückt in den Vordergrund. Nur wer über materiellen Besitz verfügt, wird sich die Fähigkeiten aneignen können, um die Codes des neuen Luxus zu entziffern.
Wenn ich mir statt eines Luxuswagens ein Fahrrad kaufe, spare ich eine Menge Geld. Wohin damit?
Handgemacht und maßgefertigt kann so ein Rad teuer sein und schon einmal schnell den Preis eines Kleinwagens erreichen. Aber grundsätzlich stimmt es: Durch den Trend zur Verschlichterung lässt sich Geld sparen. Dann kann es aber sein, dass Sie einfach gar nicht mehr so viel arbeiten und sich einfach mal eine Auszeit nehmen. Unsere Studie zeigt, dass die meisten Befragten Ferien und Freizeit als höchstes Luxusgut werten.
Womit man in Zukunft protzen kann
Freie Zeit als Luxus ist ja kein ganz neues Thema...
In der Gleichung Zeit ist Luxus liegt eine gewisse Koketterie. Zeit ist nur dann wertvoll, wenn man sie auch sinnvoll gestalten kann, sie für einen Urlaub, ein Hobby, die Familie zu nutzen weiß. Ansonsten wird Zeit schnell zur Langeweile.
Manche Menschen wollen aber gerne protzen. Wie sollen sie das anstellen?
Protzen und die angeberische Zurschaustellung finanzieller Überlegenheit ist im neuen Luxus nicht mehr cool. Aber natürlich kann mir auch die Geschichte, die ich über eine Reise oder ein Erlebnis erzählen kann, künftig Anerkennung verschaffen. Wer einen Sprachkurs in China macht oder eine Forschungsexpedition an den Südpol begleitet, kann dafür bei seinen Freunden und Bekannten durchaus Bewunderung ernten.
Diesen Luxus wollen wir uns vor dem Tod noch gönnen
„Welchen Luxus möchten Sie sich in Ihrem Leben unbedingt noch gönnen?“, hat das GDI mehr als 1000 Bürger gefragt. Die Antworten überraschten die Forscher. Es sind gar nicht unbedingt die großen Dinge, die die Menschen haben wollen. Häufig bedeutet "Luxus" schon, den Alltag ein klein wenig angenehmer zu machen.
Repräsentative Umfrage: 1003 Befragte aus Deutschland und der Schweiz
Quelle: Gottlieb-Duttweiler-Institut. „Der nächste Luxus. Was uns in Zukunft lieb und teuer wird.“
Anderes: 3,2 Prozent
Aus- und Weiterbildung: 0,7 Prozent
Weniger / nicht mehr arbeiten: 1,2 Prozent
Finanziell unabhängig sein: 1,4 Prozent
Eine Familie, Partner(in), Kinder: 1,5 Prozent
Gesundheit und Fitness: 3 Prozent
Mobilität (Auto, Fahrrad, Wohnmobil usw.): 5,4 Prozent
(Frei-)Zeit: 5,8 Prozent
Wohnen und Wohnungseinrichtung: 12,2 Prozent
Ferien und Reisen: 29 Prozent
Abseits der Autobranche, wie betrifft der Wandel im Luxus die Unternehmen?
Mode mit großen Logos hat durch ihre Omnipräsenz an Reiz, an Exklusivität verloren. Hier findet eine Verfeinerung und eine Verschlichterung statt. Spezielle Schnittmuster oder Nähte, Verarbeitung und Material treten viel mehr in den Vordergrund.
Es geht also wieder um das Produkt, nicht um die Marke. Konsumenten interessiert immer mehr, wie die Produkte gefertigt werden, woher die Materialien kommen, welche Geschichte dahinter steckt. Ganz extrem ist das auch im Food-Bereich, in der Gastronomie. Das Wissen um Herkunft der Lebensmittel und ihre Zubereitung ist gerade im Luxusbereich ganz zentral.
Wenn dem neuen Luxusverlangen eine Sehnsucht nach dem Authentischen innewohnt, warum dann nicht gleich selber machen?
Das ist ein Trend. Laut unserer Studie würden 83 Prozent der Menschen lieber immer selbst in einer Luxusküche zuhause kochen, als jeden Tag zum Sternekoch zu gehen. Mit dem Handwerk verbinden sich die Elemente des Luxus. Zum einen weiß ich genau, was ich esse und wie es zubereitet ist. Und zum anderen ist das Kochen zu einem Hobby geworden, mit dem ich meine Zeit verbringen und das ich anderen zeigen kann – in einer Umgebung, in der ich andere beeindrucken kann. Das hat einen riesigen Markt für hochwertige Geräte und Edel-Küchen hervorgebracht.
Neuer Luxus bedeutet also nicht nur Selbstbestätigung, sondern auch Selbstverwirklichung?
Ja. Für die Zukunft würde ich sogar noch weitergehen. Wenn wir uns den Erfolg der Erlebnisindustrie anschauen, sind wir schon heute am Punkt der Selbstverwirklichung. Die Erlebnisse, die wir uns leisten möchten, leisten wir uns schon heute. Es entwickelt sich aber der Wunsch, in etwas größerem aufzugehen, nicht nur Erlebnisse zu haben, sondern eigene Erfahrungen zu machen. Luxus wird auch Herausforderung an mich selber. Das kann zum Beispiel der Trip ins Kloster sein, der Wunsch also, in der Ruhe sich selber zu finden.
Wie reagieren die Unternehmen auf diesen Wandel?
Vor allem im Bereich Essen haben die Anbieter bereits erkannt, dass die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten wichtiger wird. Sie rücken die Erlebnisse und Erfahrungen, die die Kunden rund um ihre Produkte machen, viel stärker in den Vordergrund. Das Handwerk wird in den Läden zur Schau gestellt, die Experten sind vor Ort und begegnen ihren Kunden auf Augenhöhe. Und zusätzliche Informationen stellen die Wertigkeit der Produkte heraus – und rechtfertigen so den Preis.
Schlichtheit für 140.000 Euro
Ändert sich das Luxus-Verständnis auch, weil sich mittlerweile selbst ein Mitglied der Mittelschicht eine Loius-Vuitton-Tasche leisten kann?
Distinktion, Abgrenzung, spielt immer eine Rolle im Luxus. Wenn sich viele ein Produkt leisten können, verliert es bei einer gewissen Elite an Wert. Das ist natürlich das Dilemma der großen Konzerne. Die möchten einerseits wachsen, die aufstrebende Mittelschicht bedienen. Gleichzeitig möchte man sich die Exklusivität bewahren. Manche Konsumenten wenden sich von den alten Luxus-Konzernen ab und suchen sich neue Reviere, um sich vom Rest wieder abzugrenzen.
Dass Luxus-Hersteller gerade gute Geschäfte machen, liegt also daran, dass die Mittelschicht zuschlägt?
Kann man so sagen, global gesehen wächst die Mittelschicht. Und die Elite wendet sich von dem ab, was zur Masse geworden ist. Sie versuchen, aus dem Weniger ein Mehr zu machen. Genau das führt auf der Produktebene zu einer Verschlichterung. Auf Erlebnisebene führt es dazu, dass ich Genuss aus dem Einfachen schöpfen will.
Entsteht gerade ein neuer Markt oder versuchen sich die alten Konzerne dem anzunähern?
Beides. Es sind alte Unternehmen, die diese Zeichen erkennen und sich weiterentwickeln. Sie setzen dann noch stärker auf Handwerk, Erlebnisse und Dienstleistungen rund um ihre Produkte. Es sind aber auch neue Unternehmen, die vielleicht gar nicht so sehr unter dem Label Luxus laufen möchten.
Zum Beispiel?
Der englische „Quiet Shop“ im Warenhaus Selfridges präsentierte Markenprodukte von Levis, Heinz oder Marmite ohne Logos. Es zählte das Design, nicht der Schriftzug. Ein weiteres Beispiel sind dickwandige, schlicht wirkende Keramikschalen des japanischen Töpferers Kichizaemon. Die sehen ganz schlicht aus, kosten aber zwischen 30.000 und 140.000 Euro. Mitunter versteckt sich der neue Luxus sogar ganz. Die Manufaktur Nymphenburg hat ein Porzellanset für 29.500 Euro im Angebot, bei dem sich das handgemalte Dekor an der Unterseite befindet. Damit es nicht ganz verborgen bleibt, wird ein Esstisch mit integriertem Spiegel mitgeliefert.
Klingt nach Einzelbeispielen.
Natürlich. Das sind die Vorreiter. Es ist noch eine Nische, die sich noch nicht auf die Masse ausgedehnt hat. Dann ginge ja auch wieder die Exklusivität verloren. Aber andere werden sich daran orientieren.
Müssen wir uns denn nun Sorgen um die Produzenten von 100.000-Euro-Uhren und Nobel-Fahrzeugen machen, die den Prunk in den Vordergrund stellen?
Die werden sicher noch einige gute Jahre vor sich haben. Es gibt viele wachsende Märkte, die sie bedienen können. Nur sind die nicht mehr unbedingt in Westeuropa. Die alten Luxus-Unternehmen werden noch Zeit haben, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen. Ausruhen können sie sich dennoch nicht. Die Eliten auf den neuen Märkten werden sich vermutlich schneller an dem neuen Luxusverständnis im Westen orientieren als ihnen lieb ist.