Ende des Veggie-Booms Die Rückkehr der Fleischesser und Flexitarier

Vegetarische Wurst: Der Hype ist vorbei. Quelle: imago images

Der Hype um Soja-Schnitzel, Lupinen-Bratwurst und Eiweiß-Mortadella ist vorbei. Die Verbraucher haben keine Lust mehr auf Imitate, sie wollen das Original.

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Keine Teewurst mehr, und auch mit Salami und Mortadella wird es bald vorbei sein. Mit der Erkenntnis, dass die Zukunft des Aufschnitts fleischlos sei, überraschte vor zwei Jahren ausgerechnet Christian Rauffus die Konsumenten. Gar als „Zigarette der Zukunft“ diffamierte der Patriarch des Wurstherstellers Rügenwalder Mühle das Produkt, dessen Herstellung ihn und seine Vorgänger über 180 Jahre bestens ernährt hatte. Das Unternehmen werde deshalb umsteuern und den Verkauf vegetarischer Ersatzprodukte forcieren.

Damit schien Raufuss so richtig im Trend zu liegen. Schließlich gilt fleischliche Kost als ebenso ungesund wie moralisch bedenklich. Doch ehe er so richtig begonnen hat, ist der Hype um Soja-Schnitzel und Tofu-Schaschlik offenbar wieder vorbei. Während sich der Absatz herkömmlicher Wurst annähernd stabil entwickelt, haben die Deutschen zuletzt deutlich weniger Veggie-Produkte gekauft. Das zeigen Daten der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die der WirtschaftWoche vorliegen. Einige Hersteller ziehen schon Konsequenzen. Sie werben nicht mehr oder treten komplett den Rückzug an – sehr zur Freude der Fleischlobby von CSU und Co.

Einmal und nie wieder

Die Laborkreationen aus Tofu, Erbsenprotein oder Lupinen kommen bei den Verbrauchern nicht gut an. „Viele haben die Produkte ausprobiert, aber der überwiegende Teil hat es bei einem Versuch belassen“, sagt GfK-Experte Wolfgang Adlwarth. Schon Anfang 2016 hatte sich das Wachstum bei fleischlosen Würsten und Schnitzeln deutlich abgeflacht. Ende vergangenen Jahres hat der Absatz stagniert, im Januar lagen Tofu-Wurst und Co. mit fünf Prozent im Minus. Im Februar waren es sogar knapp zehn Prozent gegenüber Februar 2016.

Würstchen, Leberwurst, Schnitzel - Hauptsache kein Fleisch
Currywurst so ganz ohne Fleisch. Und sogar mit derselben Currysauce wie das Original. Meist werden die Ersatzprodukte aus Soja, Tofu oder Seitan hergestellt. Vegetarisch und nicht vegan ist dieses Produkt deswegen, weil Weizeneiweiß, Hühnereiklar und Milchzucker enthalten ist. Vegetarisch muss aber nicht immer gesünder sein: Der Fett- und Kaloriengehalt liegt bei der vegetarischen Currywurst höher, als bei der fleischhaltigen Originalvariante. Schmecken tuts trotzdem. Quelle: Meica
Es gibt nicht nur vegetarische Bratwürstchen, sondern sogar Veggie-Bratwürste mit Käse. Der Umsatz mit Fleischersatzprodukten ist nach Angaben des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde, dem Spitzenverband der deutschen Lebensmittelwirtschaft, in den vergangenen vier Jahren um 88 Prozent gestiegen. Quelle: Meica
Man glaubt es kaum, aber ... Quelle: Alberts
.. Auch das ist kein Fleisch. Es ist sogar ein komplett veganes Produkt aus so genannten Lupinen. Als heimische Alternative zu Soja wurden Lupinen vor einigen Jahren groß gefeiert. Die Produkte aus der eiweißreichen Hülsenfrucht halten allerdings nur zögerlich Einzug in den Supermarkt. Quelle: Alberts
Bockwurst mit Kartoffelsalat ist bei den deutschen sehr beliebt. Diese vegane Variante der Bockwurst ist nicht mehr vom Original zu unterscheiden. Jedenfalls äußerlich. Quelle: meetlyke
Innerlich besteht diese fleischartige Wurst aus Seitan. Ein Produkt aus Weizeneiweiß aus der traditionellen japanischen Küche. Sozusagen eine Imitation von Fleisch durch Gluten. Quelle: meetlyke
Der Klassiker zur Brotzeit darf natürlich nicht fehlen: Die Fleischwurst. Die vegetarische Variante wartet hier allerdings mit deutlich weniger Kalorien auf als die traditionelle Geflügel-Fleischwurst derselben Marke. Die Veggie-Fleischwurst kommt bei 100 Gramm auf 155 Kilokalorien, wohingegen die Geflügel-Variante auf glatte 238 Kilokalorien pro 100 Gramm kommt.

Branchenkenner vermuten, dass insbesondere die Handelsketten mit qualitativ fragwürdigen, eilig auf den Markt geworfenen Eigenmarken für Verdruss gesorgt haben. „Man wollte den Hype mitnehmen“, sagt Hermann Sievers, Partner bei der Beratung International Private Label Consult. „Das führte außer zu möglicherweise nicht zufriedenstellenden Geschmacksergebnissen auch zu einem Überangebot in einem immer noch recht kleinen Markt.“ Neue Käufer, so zeigen es die Marktforschungsdaten, kommen in dem kaum noch hinzu.



Teile der Branche haben offenbar bereits resigniert. Die Werbeausgaben für TV, Print, Radio und Plakate sind noch stärker geschrumpft als der Konsum, zeigen Zahlen des Hamburger Media- und Marketingberaters Ebiquity. Im ersten Quartal 2016 hatten Hersteller wie Meica, Reinert, Wiesenhof, Like Meat, Nestlé und Rügenwalder noch mehr als zwölf Millionen Euro in Werbung gesteckt. Anfang 2017 ließen nur noch drei Hersteller insgesamt sieben Millionen Euro springen, um ihre Imitate anzupreisen. „Das ist ein Indiz dafür, dass die Kategorie wohl ihren Zenit überschritten hat“, sagt Equibity-Manager Hellmut Fischer.

Viele Produkte fallen im Test durch

Immerhin 5,6 Millionen Euro hat Marktführer Rügenwalder investiert – auch das war ein Viertel weniger als im Vorjahreszeitraum. Seit Anfang 2015 haben die Ostfriesen nun insgesamt rund 60 Millionen Euro in die Werbung für vegetarische Produkte gesteckt. Das ist deutlich mehr als die rund 50 Millionen Euro, die Rügenwalder in 2016 erlöst hat. „Da es sich bei den vegetarischen Produkten um eine sehr junge Kategorie handelt, ist dieses Wachstum durchaus natürlichen Schwankungen unterworfen“, sagt Geschäftsführer Godo Röben. Das sei ganz normal und kein Grund zur Beunruhigung.

Den liefern jedoch zwei unabhängige Untersuchungen. Im vergangenen Jahr prüfte „Öko-Test“ zwei Dutzend Fleischersatzprodukte auf Schadstoffe, Fett, Salz und Geschmack. Nur eins bekam die Note „gut“, bei knapp der Hälfte lautete das Urteil „mangelhaft“ oder „ungenügend“. Tester kritisierten die „überraschend hohe Belastung“ mit Mineralölbestandteilen bei einigen Produkten, aber auch Überwürzung und die Verwendung glutamathaltiger Zusätze, die für fleischähnlichen Geschmack sorgen sollten.

Das sind die besten Bio-Fleischersatzprodukte

Kaum besser fiel ein Test von 20 Fleischersatzprodukten durch die Stiftung Warentest aus. Zwar schnitten hier sechs Produkte mit „gut“ ab. Doch warnten auch hier die Tester vor „hohen Mengen an Mineralölbestandteilen“. Zusätzlich monierten sie, dass „einige Veggie-Varianten trocken schmecken und schwer zu kauen oder sehr salzig waren“.

"Was dem Verbraucher nicht schmeckt, isst er nicht"

Clemens Tönnies überrascht das Urteil nicht. „Der Verbraucher isst dauerhaft nichts, was ihm nicht schmeckt“, sagt der Chef des größten deutschen Schweineschlachters. Auch der Fleischriese aus Westfalen hatte im Boomjahr 2015 mit fleischloser Ware geliebäugelt, es dann aber bei einer vegetarischen Variante der Tiefkühlmarke Tillman’s Toasty (Slogan: „Don’t call it Schnitzel“) belassen. Mittlerweile ist auch die wieder verschwunden. Tönnies stellte kürzlich klar, dass der Markt wieder rückläufig sei und sich Investitionen nicht lohnten.

Diese Fleischersatzprodukte fallen durch

Stattdessen wolle er wieder Lust auf Fleisch machen. Einflussreiche Politiker weiß er dabei auf seiner Seite. Der CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, ein ausgemachter Fleischfreund, hat die Pseudowurst als Bedrohung für die Lebensmittelindustrie ausgemacht. Es sei irreführend und verunsichere die Verbraucher, vegetarische Lebensmittel mit Namen von Fleischprodukten zu bezeichnen, findet er. Begriffe wie „vegane Frikadelle“ oder „vegetarisches Schnitzel“ will er am liebsten verbieten.

Vegetarier, Veganer, Pescetarier und Co.

Dabei dürfte der Markt die Sache von allein regeln. Ewald Reinert jedenfalls, Inhaber des gleichnamigen Wurstherstellers im ostwestfälischen Versmold, hat sein Veggie-Engagement wieder zurückgedreht. Im Herbst 2015 war der Vater der Bärchenwurst noch öffentlichkeitswirksam mit 25 Prozent beim Düsseldorfer Veggie-Start-up Like Meat eingestiegen, verbunden mit der Option auf eine Erhöhung . Doch schon Ende 2016 war wieder Schluss, in aller Stille. Reinert verkaufte seinen Anteil, der Fokus seiner Aktivitäten liege eben doch bei Fleischprodukten. Nur drei vegetarische Bärchenwurst-Produkte behält er im Sortiment.

Die sollen vor allem sogenannte Flexitarier kaufen. Das sind Konsumenten, die ihren Konsum zwar insgesamt reduzieren möchten, aber gleichzeitig finden, dass es ganz ohne Fleisch dann doch nicht geht.

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