"Während E-Commerce in den USA oder Deutschland den Markt nur verändert hat, gab es in China eine regelrechte Revolution", sagt Mas ehemaliger Mitarbeiter Erisman. "Taobao hat jungen Menschen die Chance eröffnet, selbst Unternehmer zu werden." In China, wo es keine Meinungsfreiheit und nur geringe persönliche Entfaltungsmöglichkeiten gebe, werde das als Freiheit empfunden. Wie bei Kevin Wang, 23, und Xinfang Ding, 22.
Web-Designer Wang und die Journalistin Ding produzieren Podcasts, in denen sie humorvoll Nachrichten kommentieren – eine Art Harald-Schmidt-Show auf Chinesisch. Die zwei haben im Web fast 100.000 Fans. "Immer wieder bekamen wir Anfragen nach alten Podcasts. Also verkaufen wir die Aufnahmen auf USB-Sticks", erklärt Wang sein Geschäftsmodell. Knapp zehn Euro kostet das Paket. In ihren Jobs verdienen die jungen Leute umgerechnet je 500 bis 620 Euro. Ihr Taobao-Shop aber spült monatlich zusätzlich rund 1.200 Euro in die gemeinsame Kasse. Sie haben Pläne: Davon wollen sie später ein Studio kaufen.
Noch ist Alibaba auf den chinesischen Markt beschränkt. Ins Ausland liefert der Online-Shop nicht, "außerhalb Chinas kann ja kaum einer die Schriftzeichen lesen", sagt Schuh-Designerin Xu. Mit einer englischen Taobao-Version könnte sich das ändern. Amazon und Ebay fürchten, dass Ma das beim Börsengang eingesammelte Kapital nutzt, um erst Schwellenländer und dann westliche Märkte zu erobern.
Der Anfang ist gemacht. Im Mai kaufte Alibaba sich bei Sina.Weibo ein, der chinesischen Variante von Twitter. 47 Millionen User verschicken dort täglich Kurznachrichten. Alibaba hat Zugriff auf ihre Nutzerdaten und kann sich damit besser im mobilen E-Commerce-Markt positionieren.
Chinesisches Twitter
Zuvor hatte Ma die Plattformen Vendio und Auctiva übernommen. Mithilfe der Online-Dienstleister können kleine Händler sich und ihre Produkte besser auf Online-Marktplätzen präsentieren. Dadurch hat Alibaba schon heute direkten Kontakt zu vielen unabhängigen US-Händlern und Einblick in deren Aktivitäten, was bei Amazon und Ebay ebenfalls für Unbehagen sorgt. Zudem will Ma mit einem eigenen Fonds für Startup-Investitionen demnächst auch im Silicon Valley mitmischen.
In ihren wichtigsten westlichen Heimatmärkten müssen die beiden Internet-Ikonen aber wohl dennoch nicht so bald mit Konkurrenz aus China rechnen. Denn auch bei seiner Expansion in neue Märkte verhält sich Ma wie Mao, der zur Förderung der Weltrevolution zuerst Widerstandsbewegungen in Asien, Afrika oder Mittel- und Südamerika unterstützte. Alibaba dürfte so in Schwellenländer wie Indien oder Indonesien vordringen. "Ein deutsches oder spanisches Taobao wird es so bald nicht geben", sagt Analyst Bishop.
2013 zog sich Gründer Ma aus der Unternehmensführung zurückgezogen. "Es ist, weil ich sehe, dass jüngere Leute bei Alibaba bessere und genialere Träume haben als ich, und sie eher dazu in der Lage sind, eine Zukunft nach ihren Vorstellungen zu errichten", sagte Ma beim Stabwechsel. Seitdem ist er Chairman, die operativen Geschäfte führt Jonathan Lu, der 2000 zu Alibaba kam und Alipay aufbaute. Doch Mas Einfluss ist ungebrochen, seine Unternehmensanteile hält er weiter und er steht dem Verwaltungsrat beratend zur Seite.
Der Erfolg von Alibaba hat dem zweifachen Vater Ma zu einigem Reichtum verholfen. Mit seinem Privatvermögen (21,8 Milliarden Dollar) ist Ma laut Schätzungen der reichste Chinese. Weltweit belegt er immerhin Platz 35. Von Platz 1 ist er allerdings noch weit entfernt. Den belegt Microsoft-Gründer mit Bill mit 84,5 Milliarden.