Haben Sie auch eine? Eine Kundenkarte? Sie können es ruhig zugeben. In Deutschland sind Schätzungen zufolge zwischen 100 und 200 Millionen Kundenkarten im Umlauf. Und damit sind wir Deutschen im Vergleich zu anderen Nationen in unserer Sammelwut regelrecht zurückgeblieben. "Nur" gut vier Karten - von der EC-über Kredit-und Kundenkarten - stecken in einer durchschnittlichen deutschen Geldbörse.
In Frankreich, Italien oder den USA sind es viel mehr, vor allem eben viel mehr Kundenkarten - das ist ein Stück weit dem Rabattgesetz in Deutschland geschuldet, das erst im Jahr 2001 fiel. Doch wir holen auf, bestätigt Nina Purtscher von Payback, Deutschlands Punktesammelsystem Nummer eins oder, wie sie es lieber nennt, Multipartner-Bonusprogramm. Schon mehr als 20 Millionen aktive Payback-Karten-Nutzer gibt es hierzulande, weltweit sind es über 50 Millionen. Sie alle sind beseelt von dem Gedanken zu sammeln, zu sammeln und nochmal zu sammeln - bis der Punktestand endlich reicht für... tja, wofür eigentlich?
Sammeln ist ein Urtrieb
Wozu sammeln wir "TreueBohnen", "HappyDigits" (nun ja, die nicht mehr, das System schaffte sich mangels attraktiver Partner selbst ab) "NeussPoints" oder Payback-Punkte? Die Antwort kennt Norbert Wittmann. Er ist Chef der Gruppe Nymphenburg, ein auf den Handel spezialisiertes Beratungs- und Marktforschungsunternehmen in München. "Die Menschen lieben es nun mal zu sammeln, egal ob etwas wertvoll ist oder nicht. Das ist in unserer DNA, eine Art menschlicher Urtrieb. Und es macht einfach Spaß." Schließlich, so ergänzt Wittmann, habe das Jagen und Sammeln das Überleben der Menschheit gesichert. Dem ist nicht zu widersprechen. Aber sammeln wir wirklich "TreueBohnen" aus einem tief in uns steckenden Überlebenstrieb? Wo bleibt in der Welt der Bonuskarten und Prämienpunkte das vernunftbegabte Wesen, das Immanuel Kant beschrieb? Wo bleibt der Nutzen?
Der darf natürlich in einem funktionierenden Kundenkarten-System nicht fehlen, erklärt Nina Purtscher von Payback: "Es ist ganz einfach: Nur wenn der Kunde einen klaren Vorteil erkennt, nutzt er ein Programm auch. Manchmal sind Systeme einfach zu kompliziert und Partnerunternehmen, Angebote und Einlösemöglichkeiten nicht attraktiv genug, und sie werden dann nicht akzeptiert." Payback scheint in diesem Zusammenhang vieles richtig gemacht zu haben - so richtig, dass vor drei Jahren die Kreditkartengesellschaft American Express für 500 Millionen Euro zugriff und die Betreibergesellschaft der Payback-Karte Loyalty Partner kaufte. Seit ein paar Monaten gibt es deshalb auch eine gemeinsame "Payback American Express Kreditkarte". Damit ist also nicht mehr nur Punktesammeln, sondern auch Bezahlen möglich.
Von dieser Entwicklung im Kundenkarten-Markt ist Eddá Castello von der Verbraucherzentrale Hamburg wenig begeistert. Für sie lassen sich Kundenkarten in drei Kategorien einteilen: Doof, aber harmlos - überschätzt - und potenziell gefährlich. Wer Stempelkärtchen ausfüllen wolle, oder seine Adresse gerne gegen minimalste Preisnachlässe eintausche, der solle das tun.
Was sind die Prämien wirklich wert?
"Gefährlich kann es dann werden", erklärt die Verbraucherschützerin, "wenn Leute mehrere Kundenkarten mit Kreditkartenfunktion nutzen und sich schleichend eine Verschuldung aufbaut, die der Kunde nicht mehr überblickt." Dazu müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein. Die Umsätze, die über die gekoppelte Kredit-plus-Kundenkarte gemacht werden, werden dann zum Beispiel nicht wie bei üblichen Kreditkarten am Monatsende vom Konto abgebucht, sondern ein vorab festgelegter monatlicher Fix-Betrag. Kauft ein Kunde etwa einen Fernseher für 500 Euro und bezahlt mit der Kunden-und-Kreditkarte, werden nicht 500 Euro, sondern nur 50 Euro am Ende des Monats abgebucht - eben der Betrag, der vorher als monatlicher Kredit festgelegt wurde. Die restlichen 450 Euro werden in den kommenden Monaten eingefordert - sie laufen als Kreditschulden auf.
Hohe Mindestumsätze - wenig Rabatt
Solche Fälle sind bisher selten. Weit häufiger kommt es hingegen vor, dass Kundenkarten ganz einfach relativ wenig bringen. Die Stiftung Wartentest bezifferte den Einspareffekt für die Verbraucher auf 0,5 bis drei Prozent. Eine Studie des Deutschen Instituts für Service-Qualität im Auftrag des Handelsblatts kam zu dem Schluss, dass viele Karten gar keinen besonderen Mehrwert bieten. Die Forscher hatten Kundenkarten von 17 Anbietern unter die Lupe genommen. Solche, mit denen Kunden Punkte sammeln und später für Prämien einlösen können und solche, mit denen Kunden Rabatte gewährt werden. Das Fazit: Einen direkten finanziellen Vorteil boten die wenigsten. Viele waren an einen Mindestumsatz geknüpft und daher wenig attraktiv. So lag etwa der Durchschnittsrabatt für einen Jahresumsatz von 500 Euro bei 2,97 Prozent und damit deutlich niedriger als der Rabatt von 3,72 Prozent bei sage und schreibe 6000 Euro Jahresumsatz.
Andere Karten wiesen Daten als Pflichtangaben aus, die über Name, Adresse und Geburtsdatum hinausgingen und wurden deshalb kritisch bewertet. Nahezu alle Studien kommen zu dem selben Schluss: "Der finanzielle Vorteil für die Kundenkarte ist nicht nachhaltig, der Vorteil für das Unternehmen ist größer, weil es mehr Wissen über den Kunden erhält", sagte Manfred Krafft, Leiter der Studie des Institutes für Marketing an der Universität Münster, die bereits 2007 durchgeführt wurde.
Positiv formuliert lernt das Unternehmen anhand der Daten, die über die Kundenkarte gesammelt werden, dem Kunden besser zu dienen. Der Kunde bekommt treffsicher die Angebote, für die er sich auch interessiert - weil der Händler weiß, was der Betreffende gekauft hat beziehungsweise für welche Produkte er seine Punkte eingetauscht hat.
Kundenkarte als Allzweckwaffe
Negativ betrachtet geben Kunden über die Bonuskarten unnötig viel über sich preis - und erhalten im Gegenzug dafür wenig handfeste Vorteile. Es lohnt sich also bei der Entscheidung für eine Kundenkarte genau zu schauen, was das Unternehmen bietet und was es dafür von einem selbst haben will. Bei Prämiensystemen lohnt der Vergleich zwischen dem angegebenen Wert der Prämie, und für welchen Preis es anderswo zu haben ist. Martin Wehrle, Buchautor von "König Arsch": "Der vermeintliche Punktevorteil erweist sich oft als Punktenachteil - Prämienartikel sind in der Regel 25 Prozent überteuert. Die Kundenkarte ist Augenpulver. Sie täuscht Einsparungen vor, dabei wird es durch die Zuzahlung am Ende teurer."
Für eine Mehrzahl der Deutschen überwiegt aber der Spaß am Sammeln und die Aussicht auf die potenzielle Ersparnis, die bei manchen Systemen auch gegeben ist. Nina Purtscher von Payback: "Wer zusätzlich zu den Punkten an der Kasse Coupons nutzt, kann mit Payback im Jahr an die 200 Euro sparen." Die Coupons gibt es mittlerweile nicht mehr nur in Papierform, sondern auch als eCoupon im Netz oder über eine App auf dem Smartphone. Kundenkarten sind nicht mehr nur im stationären Handel ein beliebtes Instrument zur Kundenbindung. Purtscher: "Kunden sind heute in allen Welten und in verschiedenen Kanälen unterwegs - sie kaufen im stationären Handel ein, genauso shoppen sie auch online oder bestellen mobil über Tablets und Smartphones. Alle Kanäle verknüpfen sich. Deshalb müssen Unternehmen künftig auch in allen Kanälen zu Hause sein."
Bonussysteme, die den Wünschen der Kunden nicht nachkommen, sind über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt. "Nicht richtig konzipierte Kartenprogramme können zu einer kostenintensiven, aber wirkungslosen Maßnahme werden", warnt Bert Klingsporn, Managing Director der Strategieberatung OgilvyBrains.
Anfang der 2000er Jahre haben eine Reihe von Städten versucht, die Umsätze der Einzelhändler in den Innenstädte anzukurbeln, indem sie regionale Kundenkarten ausgaben. Viele überschätzten den Aufwand und boten dafür zu wenig Mehrwert. Die Karten gingen ein, nicht nur in kleinen Gemeinden. Die M-Card etwa, ein Multipartnerprogramm Münchener Händler, Dienstleister und Kulturschaffender wird zum 30. Juni des Jahres eingestellt.
Kein Grund für das nordrhein-westfälische Neuss, es nicht trotzdem zu versuchen. Damit die Kunden künftig wieder lieber im traditionellen Fachgeschäft statt auf der grünen Wiese bummeln oder - noch schlimmer - Schuhe, Schmuck und Bücher im Internet bestellen, gibt es seit Jahresbeginn die Neuss Points. Jetzt heißt es also wieder sammeln, sammeln, sammeln.