WirtschaftsWoche Online: Die Firma Birkenstock hat beschlossen, von 2018 an seine Produkte nicht mehr über Online-Händler Amazon zu vertreiben, weil dort zu wenig gegen Produktfälschungen getan wird – aus Ihrer Sicht eine angemessene Reaktion?
Arndt Sinn: Es ist eine nachvollziehbare Reaktion, weil der Online-Handel immer weiter wächst. Damit vergrößert sich auch die Möglichkeit, illegale Produkte an Käufer zu bringen. Die wissen oft nicht einmal, dass sie gefälschte Produkte kaufen. Die Schäden, die so jährlich über Produktpiraterie entstehen, sind gigantisch. Wir reden von rund 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr – allein durch Produktfälschungen. Das ist mehr als die Hälfte des Gesamtvolumens, die Organisierte Kriminalität überhaupt erwirtschaftet. Es wird einfach alles gefälscht. Wir haben in der nationalen, europäischen und internationalen Strafverfolgungsstrategie jedoch keinen allzu geschärften Blick für Produktpiraterie. Wir beschäftigen uns intensiv mit Drogen, Waffen und Menschen. Das ist auch alles richtig, aber das Problem der Produktpiraterie wird dadurch recht stiefmütterlich behandelt.
Mangelnde Aufmerksamkeit der Justiz und Politik erlaubt erst das Wachstum der Produktpiraterie?
Selbstverständlich. Das Problem ist so groß, weil wir einen niedrigen Verfolgungsdruck, ein lückenhaftes Rechtssystem und das nicht hinreichende Bewusstsein dafür haben. Sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Strafverfolgungsorganen wird es nicht ausreichend als Problem wahrgenommen. Dazu kommt die Tatsache, dass die Gewinnspanne in diesem Bereich extrem hoch ist, während das Risiko, bestraft zu werden, extrem niedrig ist.
Online-Händlern wird häufig vorgeworfen, nicht genügend durchzugreifen – wie jetzt auch beispielsweise im Falle Birkenstock gegen Amazon. Sehen Sie das ähnlich?
Der Online-Händler muss zunächst einmal wissen, dass er für illegale Geschäfte instrumentalisiert wird. Wenn er es erkennt, muss er sofort reagieren. Tut er das nicht, muss ihm das natürlich zum Vorwurf gemacht werden. Es gibt die technischen Möglichkeiten, die es mit dem entsprechenden Know-How möglich machen, gefälschte Produkte aufzuspüren. Dafür müsste jedoch mehr investiert werden. Die Aufgabe der Online-Händler muss deshalb darin liegen, sich diese Fähigkeiten anzueignen. Hier hakt es aber häufig.
Die chinesische Verkaufsplattform Alibaba hat im Sommer bekannt gegeben, mehr Geld für den Kampf gegen Produktfälschungen auf ihrer Online-Plattform ausgeben zu wollen. Birkenstock macht Amazon den Vorwurf, auf Fälschungen hingewiesen zu haben und es sei nicht viel passiert. Tun die Online-Händler weniger als sie könnten?
Selbstverständlich könnten sie mehr tun. Wenn Käufer Rückmeldung geben, dass es sich um gefälschte Marken handelt, kann Amazon beispielsweise reagieren und das Verkäuferkonto stilllegen. Wir sprechen hier von „Know your Costumer“. Auch Amazon muss seine Kunden kennen – und zwar auch die Händler. Eine ordentliche Überprüfung der Händlerprofile wäre also ein guter Schritt. Würde man von Plattform-Seite den Druck an dieser Stelle erhöhen, änderte sich bestimmt auch etwas. Aber genau das ist häufig eben nicht der Fall. Um einen ernsthaften Kampf gegen Produktfälschungen zu führen, muss sich der Druck einfach deutlich erhöhen.
Warum tun Online-Händler das dann nicht? Gibt es für Online-Händler einen Grund, warum sie den Handel mit Fälschungen auf ihren Plattformen zulassen – vielleicht sogar dulden?
Die Antwort ist eigentlich ziemlich einfach: Erhöhen die Online-Plattformen den Kontrolldruck, verursacht das Kosten. Außerdem hat es auch finanzielle Konsequenzen, wenn bestimmte Händler aussortiert werden. Schließlich verdienen Amazon und Co. ja daran, dass sie ihre Handelsplattformen zur Verfügung stellen. Schmeißen sie einige Händler raus, sinkt logischerweise der Umsatz. Da möchte ich nichts unterstellen, aber auch das gehört auf die Rechnung. Natürlich sollte es auch im Interesse von Amazon sein, die schwarzen Schafe auszusortieren – da möchte ich auch niemandem etwas Böses nachsagen. Aber die Wirtschaft könnte gemeinhin viele Kontrollsysteme implementieren, um Schlupflöcher zu stopfen. Sie tut es jedoch häufig einfach nicht, weil es eben sehr viel Geld kostet.
Warum Online-Händler zurückhaltend durchgreifen
Welchen Weg sollten Unternehmen gehen, um ihre Marken im Online-Handel zu schützen und Produktfälschungen adäquat zu bekämpfen? Geht Birkenstock den richtigen Weg?
Es gibt hierzu verschiedene Initiativen in der Wirtschaft. Zum Beispiel haben sich einige Branchen in Datenbanken zusammengeschlossen, um den Informationsaustausch zu fördern. Außerdem gehen Branchenvertreter beispielsweise auch auf Messen, um dort nach gefälschten Produkten zu suchen, die dann beschlagnahmt werden. Die Anbieter erhalten dann Messeverbote. Das Problem ist aber, dass man eigentlich an die Hersteller der Produktfälschungen kommen muss, um zu verhindern, dass deren Produkte überhaupt auf den europäischen Markt drängen.
Woran scheitert das?
Wir haben das Problem, dass in Deutschland gerade einmal fünf Prozent aller Lieferungen kontrolliert werden. Das heißt 95 Prozent aller Lieferungen bleiben unkontrolliert – egal, um was es sich handelt.
Dafür bietet der Online-Handel das ideale Pflaster?
Genau. Wir haben durch die geringe Kontrolldichte ideale Bedingungen für den illegalen Online-Handel mit gefälschten Produkten. Die technischen Möglichkeiten sind da, die Täuschungsmöglichkeiten riesengroß, die Profitspannen in allen Branchen enorm und das bietet den idealen Boden für Missbrauch.
Was lässt sich dagegen tun?
Die Attraktivität dieses Online-Geschäfts muss herabgesetzt werden. Das bedeutet: Die Wirtschaft muss verstärkt Kontrollmechanismen einsetzen und der strafrechtliche Verfolgungsdruck muss erhöht werden. Wir können es uns nicht leisten, immer nur ins Darknet zu schauen. Schon im offenen Netz gibt es Millionen illegale Angebote, die wir nicht auf dem Schirm haben – aber haben sollten. Außerdem muss beim Verbraucher angesetzt werden. Für jedes Falschparken muss ein Strafzettel bezahlt werden, aber wer ein gefälschtes T-Shirt im Ausland kauft, dem wird dies höchstens an der Grenze weggenommen. Es ist noch nicht einmal ein Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit fällig. Und dem Verbraucher muss bewusst gemacht werden: Wenn er gefälschte Produkte kauft, geht sein gutes Geld in die Kassen der Organisierten Kriminalität.
Wenn ich als Kunde ein gefälschtes Markenprodukt aus dem Online-Handel bekomme – welche Rechte habe ich dann?
Wenn Sie getäuscht werden – also sie kaufen ein Produkt, von dem Sie glauben es ist ein Original – dann können Sie es zurückgeben und bekommen Ihr Geld zurück. Ganz klar. Es handelt sich dabei sogar um Betrug. Im Grunde haben Sie also auch Anspruch auf Schadenersatz und der Verkäufer könnte strafrechtlich dafür zur Verantwortung gezogen werden. Soweit die Theorie. In der Praxis ist es dann aber häufig so, dass das Geld abgebucht wurde und wenn sie bei Ihrer Bezahlvariante keine Betrugssicherung haben, ist das Geld häufig weg.
Wie können Verbraucher sich schützen?
Wenn der Original-Preis, sprich die unverbindliche Preisempfehlung (UVP) extrem weit von dem Angebotspreis entfernt ist – Finger weg. Es gibt keine Rolex, die Sie als Neuware für die Hälfte bekommen. Zudem lohnt ein Blick auf die Verkäuferbewertungen. Zum einen auf der Online-Plattform selber, zum anderen in Online-Foren. Häufig tauschen sich betrogene Kunden auf diesem Weg aus und warnen vor solchen Anbietern. Und im Zweifelsfall gilt immer einfach Finger weg. Keiner hat in unserer Gesellschaft, die auf Handel ausgelegt ist, etwas zu verschenken. Und das Verschenken fängt dort an, wo Angebote zu finden sind, die nie und nimmer zum Produkt passen. Das ehrliche Superschnäppchen gibt es meistens einfach nicht.