Bayer-Hauptversammlung Heimspiel eines Holländers

Überschwängliches Lob, eine Umarmung vom Aufsichtsratschef: Bayer-Chef Dekkers erfuhr an seinem letzten Arbeitstag eine Zuneigung, wie sie ein CEO selten erlebt. Sein Nachfolger muss die Sorgen der Aktionäre ausräumen.

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Die Aktionäre feiern den scheidenden Bayer-Chef Marijn Dekkers auf der Hauptversammlung in Köln. Quelle: Reuters

Köln Manager lieben Analogien zum Fußball. In ihren Reden tauchen sie hundertfach auf: Sie sehen sich in der Champions League ihrer Branche, wollen nicht am Spielfeldrand stehen, wenn es um Übernahmen geht und müssen in ihrer Firma auch schon mal die gelbe Karte zücken.

Marijn Dekkers hat solche Analogien in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender von Bayer vermieden. An seinem letzten Arbeitstag bei dem Leverkusener Konzern ließ er sich doch noch dazu hinreißen.

Als er vor sechs Jahren das erste Mal auf dem Treffen der Anteileigner war, da sei für ihn noch vieles fremd gewesen, sagte Dekkers am Freitag in Köln auf der Bayer-Hauptversammlung. „Heute fühlt es sich fast an wie ein Heimspiel“, rief er. „Ein Heimspiel hat ein Holländer nicht oft in Deutschland. Ich weiß das sehr zu schätzen.“

Die Aktionäre wiederum wissen ihn zu schätzen, das zeigte der lange Applaus nach seiner Rede. In der fünfjährigen Amtszeit an der Bayer-Spitze hat er den Konzern deutlich profitabler gemacht, komplett umgebaut und die Aktie auf einen Rekordkurs gebracht. Die Dividende steigt zum sechsten Mal in Folge auf 2,50 Euro.

 „Lieber Marijn, Sie haben die Erwartungen, die wir in Sie gesetzt haben, mehr als erfüllt“, lobte Bayers-Aufsichtsratsvorsitzender Werner Wenning und umarmte den Niederländer anschließend. „Heute ist der letzte Tag der Dekkers-Show“, sagte Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. „Sie haben eine außerordentliche Performance hingelegt. Das betrifft nicht nur die Zahlen, sondern auch Spirit und Image von Bayer.“

Jetzt richten sich alle Augen auf seinen Nachfolger Werner Baumann. „Die Latte hängt sehr hoch, aber Sie haben unser vollstes Vertrauen“, rief ihm Tüngler zu. Der 53-Jährige hat die Neuausrichtung von Bayer in den vergangenen zwei Jahren als Strategievorstand maßgeblich mitgestaltet, eine Einarbeitungszeit braucht er nicht. Ab Montag steht Baumann in der Verantwortung als neuer Vorstandschef.

Revolutionen sind von ihm bei Bayer nicht zu erwarten, das hat Baumann schon klar gemacht. Die Aktionäre wollen von ihm ohnehin nur eines: Dass Bayer seine Erfolgsstory und den Wachstumskurs der vergangenen Jahre fortsetzt. „Wird die Luft jetzt dünner oder geht es jetzt erst richtig los?“, fragte Tüngler.

Manche Analysten fürchten ersteres, als sie am vergangenen Dienstag aus dem Investorengespräch mit dem Bayer-Vorstand kamen. Dort wurde bekannt, dass einige Projekte in der Pharmaforschung  überraschenderweise fallengelassen wurden, heißt es in einer Analyse der Credit Suisse, die Bayer deswegen zurückstufte.


Zwei neue Aufsichtsräte

Die Analysten der britischen HSBC-Bank reagierten ähnlich besorgt. Die Lücke in der Medikamentenentwicklung sei problematisch und müsse von Bayer angegangen werden, kritisierten sie. Dekkers unterstrich, dass die Pharma-Forschung mit 50 Entwicklungsprojekten gut aufgestellt sei. Es sei üblich, dass  das Portfolio immer wieder überprüft und auf die aussichtsreichsten Kandidaten fokussiert werde.

Im ersten Quartal 2015 konnte Bayer mit ordentlichen Zuwächsen und besseren Margen überraschen. Analyst Volker Braun von Bankhaus Lampe teilt die Sorgen der angelsächsischen Kollegen nicht voll: Er sieht die dynamische Ergebnisentwicklung als stärkeres Argument für die Investmentstory von Bayer. Für 2016 peilt der Konzern eine weitere Ergebnissteigerung im mittleren einstelligen Prozentbereich an.

Tatsächlich ist es aber eine Hauptaufgabe des neuen Bayer-Chefs, dass der Fluss an starken neuen Mittel aus Bayers Pharma- und Pflanzenschutzlabors hoch bleibt – er muss das Optimum aus der neuen Konzernstruktur herausholen. Bayer ist der einzige große Konzern in der Gesundheitsbranche, der auf die Verbindung von Pharma und Agrochemie setzt.

Baumann selbst blieb in seinen kurzen Worten auf der Hauptversammlung erwartungsgemäß allgemein. „Das Unternehmen ist in einem hervorragenden Zustand“, sagte er. „Wir setzen auf Kontinuität in der Entwicklung, aber auch in der Veränderung.“

Impulse dazu erhofft sich Bayer auch von seinen beiden neuen Aufsichtsräten, die auf der Hauptversammlung gewählt wurden. Die Niederländerin Hanneke Faber wird die fünfte Frau im 20-köpfigen Kontrollgremium. Die 47-Jährige ist im Vorstand des niederländischen Handelskonzerns Ahold als Chief Commercial Officer für das Online-Geschäft und für die Kundenbindung verantwortlich.

Wissenschaftliche Erfahrung und tiefe Bayer-Kenntnis bringt Wolfgang Plischke mit, der ebenfalls neu im Aufsichtsrat ist. Er war bis 2014 Innovationsvorstand des Leverkusener Konzerns. Die beiden neuen Kontrolleure ersetzen auf Seite der Anteilseigner Ernst-Ludwig Winnacker und Helmut Panke. 


Proteste gegen ein Kinderbuch

3000 Aktionäre waren auf die Hauptversammlung gekommen - darunter auch wie in jedem Jahr eine Menge Kritiker des Konzerns. Vor dem Eingang zur Messehalle demonstrierten junge Frauen, die sich als Bienen verkleidet hatte. Ihr Protest richtet sich gegen Insektizide von Bayer.

Etwas Besonderes hatte sich in diesem Jahr die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ ausgedacht: Sie baute am Messeingang einen kleinen Kindergarten mit Puppen nach, die von Bayer-Chemikern bedrängt wurden. Sie protestierten damit gegen ein Wimmelbuch für Kinder über den Chemiepark in Leverkusen.

Der Parkbetreiber Currenta, ein Joint Venture von Bayer und Lanxess, hat dieses Wimmelbuch anfertigen lassen – und muss sich nun Schleichwerbung vorwerfen lassen. Currenta und die Stadt Leverkusen verstehen die Aufregung nicht, man sehe in dem Buch nichts Verwerfliches.

Dekkers muss sich mit dem üblichen stundenlangen Frage-Antwortspiel auf den Bayer-Hauptversammlungen nicht mehr herumschlagen. Er wird künftig ein anderes Aktionärstreffen leiten: Als Chairman überwacht der 58-Jährige bald den niederländischen Konsumgüterkonzern Unilever.

In diesem Job hat er mehr Zeit für die Familie, wie er es sich gewünscht hat.  Seine Töchter studieren in den USA, dorthin wird er nun öfters fliegen. Für lange Abschiedsworte hatte der stets bescheiden auftretende Bayer-Chef am Freitag nicht viel übrig. „Es war eine wunderbare Zeit mit großartigen Kolleginnen und Kollegen“, rief er, bedankte sich beim Aufsichtsrat und verließ das Rednerpult.

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