Grundsätzlich werden die Lieferprobleme von den Herstellern nicht bestritten. Gründe gibt es viele: Weltweit steigt die Nachfrage nach Medikamenten, doch wegen des zunehmenden Kostendrucks im Gesundheitswesen sinkt die Bereitschaft zu Investitionen. Zunehmend legen Qualitätsmängel die Produktion lahm, nachdem viele Hersteller die Fertigung von Wirkstoffen in asiatische Länder verlagert haben. Auch die Rabattverträge, die Krankenkassen in Deutschland exklusiv mit einzelnen Herstellern abschließen, um die Preise zu drücken, sind Teil des Problems: Konkurrenten, die leer ausgehen, fahren Kapazitäten zurück und können bei Produktionsproblemen des Rabattvertragsgewinners nicht mehr einspringen.
Umfrage in Hessen: Welche Medikamente häufig fehlen
Indikation: Bluthochdruck
Hersteller: Ratiopharm
Nennungen: 265
Indikation: Magengeschwüre
Hersteller: Heumann
Nennungen: 218
Indikation: Bluthochdruck
Hersteller: Ratiopharm
Nennungen: 215
Indikation: Schilddrüse
Hersteller: Hexal
Nennungen: 207
Indikation: Schilddrüse
Hersteller: Hexal
Nennungen: 201
Indikation: Knochenerkrankungen
Hersteller: Teva
Nennungen: 188
Indikation: Bluthochdruck
Hersteller: Ratiopharm
Nennungen: 154
Indikation: Schilddrüse
Hersteller: Merck
Nennungen: 142
Indikation: Diabetes
Hersteller: Axcount
Nennungen: 139
Indikation: Vitamin D3
Hersteller: Merck
Nennungen: 134
An konkreten Erklärungen, wie es zu einzelnen Lieferproblemen kam, mangelt es nicht. So betont Ratiopharm auf Anfrage der WirtschaftsWoche, dass sein Blutdruckmittel Bisoprolol wieder erhältlich ist. Eine Umstellung bei der Verpackung des Mittels aufgrund „regulatorischer Anforderungen“ habe für die Engpässe gesorgt; die Versorgung sei jedoch durch die Schwestermarke AbZ sichergestellt gewesen. Hexal erklärt das häufige Fehlen seines Schilddrüsenpräparats L-Thyrox mit „gestiegener Nachfrage“, Merck begründet die Ausfälle bei seinem Konkurrenzpräparat Jodthyrox, das nun „in begrenztem Umfang“ wieder erhältlich sei, ebenfalls mit „stark erhöhter Nachfrage“ und technischen Problemen.
Apotheker Diefenbach hält solche Argumente oft für vorgeschoben: „Die Unternehmen konzentrieren sich mit ihren Medikamenten zunehmend auf Märkte außerhalb Deutschlands, wo sich höhere Margen verdienen lassen.“ So gilt etwa Asien als wichtiger Zukunftsmarkt.
Für besonders problematisch hält Diefenbach die Engpässe bei Impfstoffen. Die Herstellung der Spritzenflüssigkeiten ist ebenso aufwendig wie störanfällig und zieht sich – von der Entwicklung im Labor bis hin zum fertigen Impfstoff – schon mal länger als 20 Monate hin. Seit die Behörden bei den Herstellern strenger kontrollieren, kommt es häufiger zu Produktionsunterbrechungen. Konkurrenten können oft nicht einspringen, da es aufgrund der hohen Risiken für viele Impfstoffe nur noch ein oder zwei Hersteller gibt.
Die Folgen spürt auch Markus Kerckhoff, der sich mit seiner Schloss-Apotheke in Bergisch Gladbach bei Köln auf den Versand von Impfstoffen spezialisiert hat: „Derzeit fehlen in unserer Apotheke 26 von 126 Impfstoffen – das ist mehr als ein Fünftel des Sortiments.“ Besonders knapp seien derzeit Impfstoffe gegen Gelbfieber und Tollwut. Vor einigen Wochen geriet zudem der Hersteller GlaxoSmithKline mit einem Vierfach-Impfstoff gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken in Lieferschwierigkeiten.
Die Bundesregierung wiegelt wie bei den anderen fehlenden Medikamenten erst mal ab. Die mehrmonatigen und anhaltenden Lieferlücken hätten bisher nur zu Verzögerungen bei Impfungen geführt, schreibt Staatssekretärin Fischbach in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage: „Krankheitsausbrüche aufgrund nicht erfolgter Impfung sind bisher nicht aufgetreten.“