Die größte Herausforderung bei dieser Variante liegt darin, die neue Tochter mit Kapital auszustatten. Eigenständig dürfte die abgespaltene Stahlsparte auf eine Bilanzsumme von rund zehn Milliarden Euro kommen. Für einen vernünftigen Kapitalmarktauftritt sollte die Eigenkapitalquote bei 30 Prozent liegen, also bei mindestens drei Milliarden Euro. Das entspräche dem gut Vierfachen des Ergebnisses vor Steuern, Zinsen, Abschreibungen (Ebitda) der Stahlsparte im vergangenen Jahr.
Zudem müsste der Großteil der Schulden bei Thyssenkrupp bleiben. Problematisch sind neben 5,4 Milliarden Euro Finanzschulden auch die hohen Pensionslasten über knapp 8,1 Milliarden Euro – die zu 90 Prozent für aktuell in Deutschland arbeitende oder schon verrentete Stahlarbeiter reserviert sind. Bis 2026 erwartet Thyssenkrupp insgesamt knapp 5,4 Milliarden Euro an Abflüssen für die Altersvorsorge. Thyssenkrupp sollte aber, ohne die Stahlsparte, künftig in der Lage sein, die Kosten zu stemmen.
Bei einer stabilen Bilanzstruktur könnte die Stahlsparte auch das Rating der Mutter, aktuell mit BB+ am oberen Rand des Schrottbereichs, wohl halten, zumal Thyssenkrupp als ehemalige Mutter noch fünf Jahre lang, so will es das Gesetz, für Altschulden der neuen Tochter haften müsste.
Investoren würden wohl nur dann zugreifen, wenn der Stahlgesellschaft nicht zu viele Verbindlichkeiten aufgehalst würden. Als Ankerinvestor käme etwa der britische Finanzinvestor CVC Capital Partners infrage. Der hat nicht nur das notwendige Kleingeld, sondern ist auch zu Großinvestitionen in Industrieunternehmen bereit. 2008 waren die Briten als Großinvestor mit 25,01-Prozent-Anteil beim Essener Chemiekonzern Evonik eingestiegen. Mittlerweile haben sie ihren Anteil wieder verkauft – mit einem Gewinn von 1,7 Milliarden Euro.
Alte Sünden, neue Probleme bei Thyssenkrupp
In den vergangenen Jahren war der Essener Industriekonzern Thyssenkrupp in eine Vielzahl von Bestechungs- und Kartellfällen verwickelt.
Etliche Offsore-Gesellschaften nutzte die Thyssenkrupp-Tochter Marine Force International (MFI), um Gelder zu dubiosen Beratern zu lotsen, die wiederum Aufträge mit U-Booten in Ländern wie der Türke, Griechenland und Indonesien sicherten.
Über Jahre hatten sich Mitarbeiter des Thyssenkrupp-Konzerns mit anderen Unternehmen bei Preisen und Mengen abgesprochen. Der Essener Konzern musste ein Bußgeld in Höhe von 200 Millionen Euro zahlen.
Bei einem Waffengeschäft in der Türkei sollen Manager des Bremer Rüstungsunternehmens Atlas Elektronik, ein Gemeinschaftsunternehmen von Thyssenkrupp und Airbus, türkische Amtsträger bestochen haben. Vor diesem Hintergrund fand sogar eine Razzia in der Essener Zentrale von Thyssenkrupp im Sommer diesen Jahres statt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Manager von Thyssenkrupp und Airbus, weil sie die Zahlung von Bestechungsgeldern nicht verhindert haben sollen.
Hiesinger müsste einem Finanzinvestor jedoch zunächst noch plausibel machen, dass er mit Stahl Geld verdienen kann, selbst dann, wenn die Preise am Boden liegen. Bis Mai soll Andreas Goss als Vorstand der Stahlsparte einen Sparplan vorlegen. Er hat mit zahlreichen Sparprogrammen bereits bewiesen, dass er die Effizienz steigern kann. So hat er alle IT-Systeme an den Standorten Duisburg, Bochum und Dortmund verknüpft. Vertrieb und Produktion werden so standortübergreifend gesteuert.
Selbst wenn Hiesinger diese Hürden nimmt, wäre es noch ein teurer Weg für den Thyssenkrupp-Chef, bis die Probleme der Stahlsparte nicht länger die seinen wären. E.On etwa hat die Abspaltung der Kraftwerke einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet. Vom ersten Konzept bis zum Börsengang von Uniper sind fast zwei Jahre vergangen. Allerdings: Bei Thyssenkrupp dürfte der Aufwand geringer sein, weil das Stahlgeschäft schon in einer eigenen Sparte organisiert ist.