Ex-Telekom-Chef Ron Sommer „Mit der T-Aktie hatten wir Pech“

Ron Sommer brachte die Telekom an die Börse. Viele werfen ihm das bis heute vor. Im Interview erzählt er, was den Erfolg der T-Aktie verhinderte und warum er nach seinem Rücktritt das U-Bahn-Fahren erst lernen musste.

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Ron Sommer, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom, wird vor allem mit der T-Aktie in Verbindung gebracht. Quelle: dpa

Vom Hoffnungsträger zum Buhmann der Nation: In seinen sieben Jahren als Chef der Deutschen Telekom hat Ron Sommer alle Höhen und Tiefen erlebt. Kurz vor seinem 65. Geburtstag sprach der Manager mit der dpa über seine Verantwortung für den Niedergang der T-Aktie, die Schwierigkeiten des Machtverzichts und sein Leben nach der Telekom.

Herr Sommer, nach ihrem Ausscheiden als Telekom-Chef vor zwölf Jahren haben Sie sich in der Öffentlichkeit rar gemacht. Was tun Sie heute?
Das einzige, was ich aus der alten Zeit mitgenommen habe, ist mein Aufsichtsratsmandat bei der Münchener Rück. Ich bin außerdem Aufsichtsratsvorsitzender des größten russischen Telekommunikationsunternehmens, der MTS. Und in Indien sitze ich im Aufsichtsrat des Software-Entwicklers Tata Consultancy. Kaum jemand in Deutschland kennt das Unternehmen, aber es ist mit rund 75 Milliarden Dollar Börsenbewertung eines der wertvollsten Software-Unternehmen der Welt und steht mit seinen 300 000 Software-Ingenieuren an der vordersten Front der digitalen Revolution. Da mitzumachen, ist schon fast vergnügungssteuerpflichtig. Außerdem bin ich Aufsichtsrat eines indischen Mobilfunkanbieters.

Warum sind Sie so wenig in Deutschland aktiv?
Es war damals – zur Zeit meines Abgangs – schon eine sehr heftige Auseinandersetzung um meine Person und ich wollte nicht in eine Dauerdiskussion geraten. Darum habe ich mich erst einmal auf Dinge konzentriert, die mit Deutschland wenig zu tun hatten.

Die meisten Leute verbinden ihren Namen vor allem mit dem Börsengang der T-Aktie. Nach dem Einbruch des Aktienkurses wurden Sie als Totengräber der Aktienkultur beschimpft. Zu Recht?
Wir hatten damals das Pech, dass wir uns mitten in einer Börsenblase befanden, die keiner erkannt hat. Aber in keinem anderen Land der Welt wurde dieses Thema so personalisiert. Was mich persönlich heute noch ärgert, ist, dass man nicht die unternehmerische Entwicklung der Telekom von einer Bundesbehörde zu einem erfolgreich global operierenden Telekommunikationsdienstleister bewertet hat, sondern sich ausschließlich auf die Entwicklung des Aktienkurses konzentriert hat. Als der Aktienkurs hochging, hat man mich bejubelt. Als er runterging, hat man gesagt, ich sei schuld.

Sie haben damals gesagt, die T-Aktie werde „so sicher wie eine vererbbare Zusatzrente“ sein.
Ich glaube, dass ist einer der Sätze, die man mir in den Mund geschrieben hat. Ich glaube nicht, dass ich das gesagt habe. Das ist nicht meine Diktion. Allerdings: Meine Frau würde ihnen auch bestätigen, dass ich mich an das eine oder andere nicht erinnern kann, woran ich mich erinnern sollte.

Im Juli 2002 sind Sie als Telekom-Chef zurückgetreten. Was ging da in Ihnen vor?
Am Tag der Aufsichtsratssitzung habe ich meine Familien gefragt, ob ich um meinen Posten kämpfen oder zurücktreten sollte. Mein einer Sohn sagte: Lass uns die Koffer packen und ab in die USA, ist doch viel schöner. Und der andere, der sehr sportlich orientiert ist, sagte: Du musst kämpfen und du musst gewinnen. Nach langem Kampf habe ich dann für mich beschlossen, dass es der richtigere Weg für die Telekom und für mich wäre zurückzutreten.

"Die USA waren und sind ein Traummarkt"


Wie haben Sie den Machtverlust verkraftet?
Das war sehr schwierig. Aber meine Frau hat mich immer geerdet und nach dem Abschied von der Telekom hat sie mir ein regelrechtes Down-to-earth-Programm verordnet. Wir sind zum Beispiel mit einer Low-Cost-Airline nach London geflogen. Ich kannte das ja gar nicht, bei der Sicherheitskontrolle das Sakko ausziehen zu müssen und abgetatscht zu werden. Das war gewöhnungsbedürftig. Und am Airport in London wartete keine Wagen, sondern sie hat mich zur U-Bahn geführt. Heute beherrsche ich alles, was ich brauche.

Was haben Sie mit der vielen freien Zeit angefangen?
Meine erste Entscheidung war, erst einmal ein Jahr keine Entscheidungen zu treffen. Ich war damals so emotional mit der Telekom verbunden, da war die Gefahr groß, eine falsche Entscheidung zu treffen. Da habe ich gesagt, du ziehst dich ein Jahr zurück und gehst einem Hobby nach, dem du immer nachgehen wolltest, aber nie nachgehen konntest. Das war die Fliegerei. Ich hab dann alle Fluglizenzen gemacht, die man so durcharbeiten konnte.

Als einer Ihrer größten Fehler als Telekom-Chef gilt der überteuerte Einstieg in den amerikanischen Mobilfunkmarkt. Das US-Geschäft war lange Jahre das größte Sorgenkind des Konzerns.
Die Kritik kann ich bis heute nicht nachvollziehen. Die USA waren und sind ein Traummarkt. Es gibt nur wenige Wettbewerber. Der Fehler war, dass die Telekom nach meinem Weggang die USA ein paar Jahre massiv vernachlässigt hat, was Investitionen angeht. Das dürfen sie in der schnelllebigen Telekommunikationsbranche nicht. Ein anderer großer strategischer Fehler war der Rückzug vom russischen Markt, der Verkauf der Anteile an MTS. Das brachte zwar schnell Geld in die Kassen. Aber heute wären die Anteile doppelt so viel wert und strategisch wäre man viel weiter.

Stärken und Schwächen der Telekom
Schwäche1: Bereinigte Kennzahlen verzerren das BildWie fast kein anderes Unternehmen ist die Deutsche Telekom dafür bekannt, in ihren Zahlen ständig irgendwelche Sondereinflüsse auszuweisen. Berichtete und bereinigte Kennzahlen weichen regelmäßig meilenweit voneinander ab. Der Konzern hat zwar immer zahlreiche Begründungen für die Bereinigungen parat. Gleichwohl ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese die Berichterstattung komplexer und schwerer verständlich machen. Allein im Geschäftsjahr 2011 liegen berichtetes und bereinigtes Konzernergebnis 2,3 Milliarden Euro auseinander. Aufwendungen, die der Konzern als Sondereffekte deklarierte und somit auch bereinigte, waren unter anderem Ausgaben für den Konzernumbau wie etwa Personalmaßnahmen sowie Firmenwertabschreibungen auf die Tochtergesellschaften T-Mobile in den USA und OTE in Griechenland. Quelle: AP
Als positiven Sondereffekt bereinigte die Telekom die Ausgleichszahlung, die der Konzern vom US-Konkurrenten AT&T für das Platzen des T-Mobile USA-Deals erhielt. Zunächst sind alle diese Bereinigungen verständlich. Experten kritisieren aber, dass manche Sondereffekte seit Jahren auftreten - wie etwa die Aufwendungen für den Stellenabbau. Aus Konzernkreisen heißt es dazu, dass die Sondereffekte, die den Konzernumbau betreffen, in der Zukunft abnehmen werden. Einmaleffekte aus Unternehmenstransaktionen (M&A) will die Telekom aber weiterhin bereinigen, um sich innerhalb der Branche vergleichbar zu machen. Quelle: dapd
Schwäche 2: Schuldenberg drückt auf die BilanzEin Trostpflaster gibt es für die Telekom-Aktionäre. Die US-Tochter T-Mobile ist der Bonner Konzern im vergangenen Jahr zwar nicht losgeworden. Die Ausgleichszahlung für das Platzen des Deals von AT&T in Höhe von umgerechnet 2,3 Milliarden Euro half dem Konzern aber an anderer Stelle: Die Telekom konnte ihre Nettofinanzschulden - also die Differenz aus Bruttofinanzschulden und Zahlungsmitteln - um 2,2 Milliarden Euro oder 5,1 Prozent senken. Gleichwohl bleiben die Nettofinanzschulden mit 40,1 Milliarden Euro weiterhin hoch. Im Verhältnis zum Eigenkapital machen die Nettofinanzschulden 100 Prozent aus. Zudem betragen sie das 2,1-Fache des Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Quelle: dapd
Damit bleibt die Telekom zwar innerhalb ihres eigenen Zielkorridors. Von den Ratingagenturen wird der Konzern aber - unter anderem wegen der hohen Verschuldung - nur mit BBB+ (S&P, Fitch) beziehungsweise Baa1 (Moody's) bewertet. Damit liegt die Telekom nur drei Stufen über Ramschniveau. Ratingagenturen ziehen bei ihrer Bonitätsbeurteilung auch die Pensionsverpflichtungen hinzu. In ihrer Bilanz weist die Telekom 6,1 Milliarden Euro an Rückstellungen für die Altersversorgung ihrer Mitarbeiter aus. Ihre Nettoschulden erhöhen sich aus Sicht der Ratingagenturen entsprechend. Der geplante Verkauf der Tochter T-Mobile USA an den US-Konkurrenten AT&T für 39 Milliarden Dollar hätte die Schulden auf einen Schlag reduziert. Nun, da der Deal geplatzt ist, muss der Bonner Konzern Alternativen finden. Quelle: dpa
Schwäche 3: Das Auslandsgeschäft bleibt mühevollUm das schrumpfende Geschäft im Heimatmarkt zu kompensieren, hat die Telekom in zahlreiche Auslandsmärkte investiert - mit gemischtem Erfolg. In den USA fällt es der Telekom-Tochter T-Mobile zunehmend schwer, mit starken nationalen Konkurrenten wie Verizon und AT&T zu konkurrieren. Der geplante Verkauf der Sparte an AT&T hatte daher Begeisterung bei den Investoren ausgelöst. Seit der Deal wegen kartellrechtlicher Bedenken der US-Behörden scheiterte, warten die Aktionäre auf eine Alternative von Konzernchef René Obermann. In Griechenland ist die Telekom mit 40 Prozent an OTE beteiligt. Neben der Schuldenkrise machen dem Konzern dort vor allem die immer strengere Regulierung und die höheren Steuern zu schaffen. Quelle: dpa
Die Telekom spielt daher auch schon die Konsequenzen eines Austritts Griechenlands aus der Euro-Zone durch. Es heißt, der Konzern sei dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die griechische Tochter OTE danach auch ohne Hilfen der deutschen Mutter überlebensfähig sei. OTE muss auch im Falle eines Währungswechsels und einer spürbaren Abwertung der Drachme die finanziellen Verpflichtungen erfüllen können. Denn noch laufen Kredite und Anleihen in Euro, der Kapitaldienst würde sich drastisch verteuern. Weil OTE mit dem Mobilfunk momentan gutes Geld verdient und sich vor allem im ersten Quartal positive Trends zeigten, könne die OTE ihre Finanzierung allein stemmen, so die Hoffnungen der Telekom. Quelle: dpa
Stärke 1: Anleger werden bei Laune gehaltenAls Wachstumswert kann die Telekom ihre Aktie den Investoren nicht verkaufen, dafür aber als Dividendenpapier. Bis einschließlich nächstes Jahr garantiert der Konzern die Ausschüttung sogar. Wie im Vorjahr sollen die Aktionäre für das abgelaufene Geschäftsjahr daher 70 Cent je Aktie erhalten. Das entspricht einer Ausschüttungssumme von drei Milliarden Euro. Bei einem Konzernüberschuss von nur 557 Millionen Euro im Jahr 2011 erscheint der Betrag zunächst riesig. Doch da das Nettoergebnis durch zahlreiche Sondereinflüsse belastet ist, misst die Telekom ihre Ausschüttungsquote lieber am Free Cash-Flow. Das sind die freien Mittel, die nach Abzug der Investitionen in Sachanlagen und immaterielle Vermögenswerte von den Zuflüssen aus dem operativen Geschäft noch übrig bleiben. Diese Relation liegt 2011 mit 43 Prozent unter dem Vorjahreswert von 59 Prozent. Quelle: dpa

Und welchen Tipp haben sie im Rückblick für Topmanager?
Meine Empfehlung ist, umgib dich mit jungen Leuten, die den Mut haben, einem 50-Jährigen zu sagen, wir sind eine Evolutionsstufe weiter als ihr und ihr macht da Fehler. Ich glaube es wäre auch gut, mehr jüngere Gesichter in den Aufsichtsräten zu haben.

Ron Sommer wurde am 29. Juli 1949 in Haifa (Israel) geboren. Er studierte Mathematik an der Universität in Wien und promovierte bereits im Alter von 21 Jahren. Später arbeitete er beim deutschen Computerbauer Nixdorf und im Sony-Topmanagement. Im Jahr 1995 übernahm er den Vorstandsvorsitz der Deutschen Telekom und brachte das Unternehmen an die Börse. Nach dem drastischen Einbruch des Börsenkurses trat er 2002 zurück.

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