Instant Articles „Facebook wird eine extrem mächtige Nachrichtenplattform“

Bei Facebook erscheinen künftig ganze Artikel. Verlagshäuser in Deutschland und Amerika kooperieren mit dem Netzwerk. Was sie davon haben und welche Risiken das birgt, erklärt Journalistik-Professor Frank Lobigs.

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Die App

Medien in Deutschland, Großbritannien und den USA machen mit Facebook gemeinsame Sache. In der Facebook-App werden künftig nicht mehr nur Teaser sondern komplette Artikel und Videos veröffentlicht – „Instant Articles“ nennt sich das. Nutzer müssen nicht mehr auf die Webseiten der Medienhäuser, sondern können die Nachrichten gleich in ihrem Newsfeed lesen. Was haben die Medienhäuser davon?

Frank Lobigs: Die Medienhäuser werden die Reichweiten vieler digitaler Inhalte erheblich erhöhen, wenn nicht sogar vervielfachen können. Verbunden damit werden auch die Werbeeinnahmen steigen. Allein in Deutschland nutzen 30 Millionen Menschen Facebook – das sind potenzielle neue Rezipienten der Inhalte. Facebook gewährt den Medienhäusern zudem Zugriff auf anfallende Nutzerdaten, wiewohl diesbezüglich wohl Facebook selbst noch deutlich mehr profitieren wird.

Die Medienhäuser können entweder Anzeigen von Facebook nutzen und 70 Prozent der Werbeeinnahmen erhalten oder die gesamten, wenn sie selbst Werbeplätze verkaufen – in diesem Fall generiert Facebook nicht einmal Erlöse. Inwiefern kann Facebook davon also mehr profitieren?

Die Verweildauer wird nochmals steigen, weil man innerhalb von Facebook die Medieninhalte rezipiert. Außerdem erhält das Netzwerk die wichtigste Ressource in der digitalen Welt: Daten. Hier vor allem sehr präzise und umfassende personalisierte Nutzerdaten über den individuellen Konsum von Medieninhalten und Nachrichten. Tiefe und Umfang der personalisierten Nutzerdaten-Profile werden dadurch erheblich zunehmen und Facebook wird diese Daten bei der eigenen Werbevermarktung sehr gewinnbringend nutzen. Facebook verschenkt also überhaupt nichts.

Frank Lobigs ist Professor für Medienökonomie am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund

Das Netzwerk erfährt zudem viel über den Nachrichtenkonsum seiner Nutzer, denn es hat Zugriff auf die Nutzerdaten aller beteiligten Verlage. Dadurch wird Facebook sehr viel über die Erfolgsfaktoren von Medieninhalten lernen.

Facebooks "Instant Articles"

Welche Folgen hat das?

Das ist interessant mit Hinblick darauf, dass Facebook möglicherweise selbst zu einem großen Inhalteanbieter werden könnte – die Informationen bilden die Grundlage für einen starken, nicht einholbaren Wissensvorteil.

Zudem nimmt die Abhängigkeit der Verlage von Facebook extrem zu. Sie sind schon heute sehr abhängig von dem Traffic, der über die Verlinkungen bei Facebook generiert wird. Über die Instant-Articles-Einbettung wird diese Abhängigkeit noch erheblich zunehmen.

Wie kann sich Facebook diese Abhängigkeit zunutze machen?

Es gibt Beobachter, die sagen, Facebook gebe jetzt die Werbeeinnahmen zum Teil komplett ab, aber das ändere sich, wenn die Verlage richtig gefangen seien, wenn der "Lock-In"-Effekt greife und sie nicht mehr rauskönnten. Dann verhandle Facebook die Verteilungen zu seinem eigenen Gunsten neu. Dann wird gnadenlos abkassiert, ähnlich wie Apple dies bei iTunes und im App Store macht.

Warum setzen sich die Medienhäuser de Gefahren aus, die Sie beschreiben?

Die Nachrichtenrezeption wird mehr und mehr auf Facebook stattfinden – wer nicht dort ist, ist für einen großen Teil der Nutzer kaum mehr vorhanden. Je mehr Medienhäuser daran teilnehmen, desto größer wird der Druck, auch dabei zu sein. Das wird Facebook auf Dauer ausnutzen. Das Netzwerk wird so zu einer extrem mächtigen Nachrichtenplattform.

„Der Newsfeed-Algorithmus übernimmt redaktionelle Entscheidungen“

Glauben Sie, dass diese Liaison den Journalismus nachhaltig verändert?

Wir sehen jetzt schon in den USA, dass die Netzwerkabhängigkeit den Journalismus sehr nachhaltig verändert, man denke an die in den USA schon extrem erfolgreichen Viral-Angebote wie zum Beispiel Buzzfeed oder auch die Huffington Post. Diese Deformation des Journalismus – die „Viralität“ und Netzwerktauglichkeit der Angebote ist wichtiger als die journalistisch-gesellschaftliche Bedeutung der Inhalte – wird „Instant Articles“ noch beschleunigen.

Umsätze der größten Medienkonzerne der Welt

Was sind die Konsequenzen dieser Entwicklung?

Die eigene, zumeist noch nach redaktionell-journalistischen Kriterien gestaltete Website einer Redaktion wird immer unbedeutender. Quasi-redaktionelle Entscheidungen über die Priorität und die Nutzer-Relevanz von Nachrichten, die bisher bei den Redakteuren lag, wird hingegen mehr und mehr von Facebooks Newsfeed-Algorithmus übernommen.

Damit kann Facebook den Zugang zu Nachrichten lenken und faktisch manipulieren. Da werden kommerzielle und vielleicht auch andere für Facebook nützliche Erwägungen wohl eine stärkere Rolle spielen als journalistische Kriterien, schon gar nicht das Kriterium der publizistischen Vielfalt. Andy Mitchell, Facebooks Chef für die Medienkooperationen, betont stets, Facebook werde nur das in den Newsfeed ausspielen, was für den individuellen Nutzer spezifisch relevant und interessant ist und seine Nutzer-Erfahrung auf Facebook verbessere.

Das heißt konkret?

Facebook kontrolliert allein, was das ist. Um publizistische Vielfalt wird es dabei nicht gehen. Dies könnte auf Dauer verfassungsrechtliche Fragen aufwerfen, denn nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts ist die Gewährleistung publizistischer Vielfalt eine Grundbedingung der Presse- und Medienfreiheit in Deutschland, die unbedingt zu gewährleisten ist.

Mit Bild.de nimmt auch ein Springer-Medium an der Kooperation teil. Der Springer-Verlag lag monatelang mit Google im Clinch, weil der Suchriese für seinen Nachrichten-Dienst Google News Inhalte des Verlags nutzte. Nun kooperiert Bild.de mit Facebook – wie passt das zusammen?

Springer wirft Google vor, dass es seine monopolistische Marktmacht bei den Suchmaschinen ausnutzt und die Verlage ausbeutet, indem rechtlich geschützte Inhalte kostenlos in die Trefferlisten übernommen werden - oder aber gar nicht. Darin sieht Axel Springer eine missbräuchliche monopolistische Erpressung. Bei den Instant-Articles-Deals von Facebook ist der Unterschied: Die Werbevermarktungseinnahmen bleiben ganz oder weitgehend beim Springer-Verlag. Das ist eine auch für die Verlage lukrative Marktbeziehung, bei der sich die Verlage ganz offensichtlich freiwillig auf die Bedingungen von Facebook einlassen.

Beim Journalismus geht es letztendlich vor allem um die Rezipienten. Was erwartet sie durch „Instant Articles“?

Für die Rezipienten ist der zentrale Vorteil, dass die Ladezeiten verringert werden – und damit das Lese- und Nutzererlebnis angenehmer wird.

Es könnte künftig allerdings auch Nachteile geben, wenn wir uns einmal nicht nur als digitale User betrachten, sondern als Bürger einer demokratischen Gesellschaft. Das journalistische System wie wir es kennen, bietet publizistische Vielfalt. Wenn die Nachrichtennutzung bei sehr vielen Bürgern von einem einzigen Akteur abhängen sollte – in diesem Fall von Facebook – kann dieser Akteur die Wahrnehmung von Nachrichten im eigenen Interesse lenken. Das wäre dann nicht im Sinne der Pressefreiheit.

Niklas Dummer studiert am Institut für Journalistik der TU Dortmund und volontiert im Rahmen seines Studiums bei WirtschaftsWoche Online.

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