Koenzens Netzauge

Wer die Verschlüsselung schwächt, gefährdet den Vertrauensraum Europa

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Kampf um die Verschlüsselung

Vergangene Woche dann zogen die Niederlande nach. In einem Positionspapier hat sich die niederländische Regierung deutlich gegen staatliche Hintertüren in Verschlüsselungslösungen ausgesprochen und steht damit inhaltlich an der Seite Deutschlands. Zur Begründung heißt es, Hintertüren bärgen immer auch die Gefahr, dass sie nicht nur von berechtigten staatlichen Stellen genutzt, sondern auch von Kriminellen oder ausländischen Diensten missbraucht würden.

Techniken zur digitalen Selbstverteidigung
E-Mails verschlüsselnDie Technik für eine solche Verschlüsselung gibt es seit Jahren. Sie hat nur zwei Nachteile: Erstens macht es Mühe, sie zu benutzen, und zweitens muss der Empfänger dieselbe Technik einsetzen. Fakt ist, dass E-Mails grundsätzlich kein besonders sicheres Kommunikationsmedium sind, aber durch ihre weite Verbreitung unverzichtbar bleiben. Auch wenn es aufwendig klingt: Sie sollten darüber nachdenken, zumindest im Mailverkehr mit wichtigen Partnern beidseitige Verschlüsselung einzusetzen. Quelle: dpa
Verabschieden Sie sich aus sozialen NetzwerkenSoziale Netzwerke sind nicht sicher, können es nicht sein und wollen es wohl auch nicht. Deshalb muss sich jeder Nutzer darüber im Klaren sein, dass für die Nutzung von Facebook & Co. mit dem Verlust von Privatsphäre bezahlt wird. Viele Unternehmen fragen sich inzwischen: Brauchen wir das wirklich? Hier macht sich zunehmend Ernüchterung über den Nutzen sozialer Netzwerke breit. Quelle: dpa
Springen Sie aus der WolkeVermutlich sitzt die NSA zwar nicht in den Rechenzentren von Google oder Microsoft, aber sie könnte Internet-Service-Provider überwachen und damit auch Daten auf ihrem Weg in die Wolke beobachten. Unabhängig davon, was die NSA tatsächlich tut, wissen wir, dass Behörden auf Cloud-Server zugreifen können. Halten Sie Ihre Daten in einer Private Cloud oder gleich im eigenen Rechner. Zu aufwendig? Nicht zeitgemäß? Auf jeden Fall besser, als beklaut zu werden. Quelle: dpa
Schalten Sie alles Unnötige abWer Smartphones und Tablets benutzt, weiß, dass solche Geräte ständig im Hintergrund irgendwelche Kontakte und Kalender synchronisieren, Browser-Historien anlegen und viele mehr. Richtig gefährlich kann dieses ständige Sich-einwählen in Verbindung mit GPS-Daten sein. Google weiß nämlich, in welcher Bar Sie letzte Woche waren. Wichtig ist erstens, die GPS-Funktion immer wieder zu deaktivieren, zweitens in Google Maps sämtliche Funktionen, die Standorte melden und Standorte mit anderen teilen, zu deaktivieren. Quelle: dpa
Eine Methode, um Bewegungsprofile zu vermeiden, ist die Benutzung eines guten alten Navis statt eines Smartphones zur Orientierung. Navis lassen sich – anders als Telefone – auch vollkommen anonymisiert einsetzen. Quelle: REUTERS
Web-Browsing versteckenDer Einsatz eines Secure-socket layers (SSL) zur Datenverschlüsselung im Internet ist nicht völlig sicher, aber auf jeden Fall deutlich sicherer, als nichts zu tun. Eine Möglichkeit, SSL zu nutzen, ist die HTTPS Everywhere-Browsererweiterung der Electronic Frontier Foundation. Gibt es aber leider nur für Firefox und Chrome. Noch mehr Sicherheit bietet das Tor Browser Bundle, aber es kann das Surf-Erlebnis unter Umständen deutlich verlangsamen. Quelle: dpa
Keine Messages über externe ServerInstant Messaging über Google Hangouts, Skype und ähnliches landet zwangsläufig in den Händen Dritter, weil solche Nachrichten grundsätzlich nicht direkt, sondern über einen Server ausgeliefert werden. Quelle: REUTERS

Crypto Wars – eine Never-ending Story

Das Hin und Her in Sachen Hintertüren ist indes kein neues Phänomen, es gibt dafür gar einen Fachausdruck: Crypto Wars – der Kampf um die Verschlüsselung. Bereits in den Neunzigerjahren versuchten die USA, gegen Verschlüsselung von elektronischer Kommunikation vorzugehen. Ein entsprechendes Gesetzesvorhaben scheiterte und war letztendlich verantwortlich dafür, dass eine bis heute weit verbreitete Verschlüsselungslösung erst entstand: PGP.

Seither gab es in den USA immer wieder Vorstöße zur Untergrabung verschlüsselter Kommunikation, unter anderem durch bewusst geschwächte Zufallszahlengeneratoren wie Dual_EC_DRBG, die jahrelang standardmäßig in US-Kryptographielösungen eingesetzt wurden.

Und auch die Zerrissenheit der Europäer in Sachen Hintertüren und Verschlüsselung spricht Bände. Dem Argument der vermeintlich größeren Inneren Sicherheit durch staatliche Zugriffsmöglichkeiten auf verschlüsselte Kommunikation stehen wesentliche Grundwerte unserer westlichen Gesellschaft gegenüber: die Meinungsfreiheit und der Schutz der Privatsphäre.

Europa ist ein beispielloser Vertrauensraum, der durch eine Schwächung von Verschlüsselung massiven Schaden nehmen würde. Unser Datenschutzverständnis ist wahrscheinlich einzigartig auf der Welt. Umso dramatischer ist die derzeitige Zerrissenheit Europas in einer so elementaren Frage, von der Wertegemeinschaft EU bleibt da nicht viel übrig.

Auch für die Wirtschaft ist die Debatte ein Unding. Für die Unternehmen ist die Möglichkeit der vertraulichen Kommunikation genau so grundlegend wie der Zugang zu digitalen Infrastrukturen selbst. Auch Industrie 4.0 kann nur gelingen, wenn die Digitalisierung industrieller Prozesse optimal gegen Abhören, Manipulation und Sabotage abgesichert werden kann.

Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist der einzig wirksame Schutzmechanismus im Netz. Für Bürger, Wirtschaft und Gesellschaft. Für uns und unsere Demokratie. Sie darf nicht geschwächt werden.

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