Lebensmittel Die süßen Wunder aus Halle

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Trotzdem verliert die Familie nie die Bindung zum Unternehmen. Einzelkind Thiele, gerade mal Ende 20, wird als sozialistischer Werksdirektor eingesetzt, obwohl er kein SED-Parteibuch besitzt und dieses Amt daher gar nicht ausüben darf. Daraufhin wird er vor die Partei zitiert. „Kollege Thiele, Sie sind gar kein Genosse“, muss er sich vorhalten lassen. Die Partei stellt ihm ein Ultimatum einzutreten. Thiele weigert sich und wird zum Reservistendienst der Nationalen Volksarmee nach Schwerin abkommandiert. Nach sechs Monaten kehrt er zurück: Sein Name ist aus dem Handelsregister gestrichen, sein Auto konfisziert, sein Büro geräumt und ein neuer Geschäftsführer eingesetzt, der von der Sache überhaupt keine Ahnung hat. Thiele verlässt das Unternehmen und kommt im VVB Süß- und Dauerbackwaren Halle unter. Sein Vater stirbt 1985, die Mutter 1989, nur wenige Monate vor der Maueröffnung. Am Vorabend ihres Todes mahnt sie ihren Sohn: „Rainer, das System hat abgewirtschaftet, bitte versuche, das Unternehmen zurückzubekommen.“

Rainer Thiele versucht es, muss sich mit alten Funktionären in neuen Würden herumschlagen, die schon 1972 an der Enteignung des Betriebs beteiligt gewesen waren. Immer wieder verschwinden wichtige Akten, wird die Rückerstattung verschleppt. Thiele ist mit seinen Kräften am Ende, erleidet einen Herzinfarkt. Im Juni 1991 scheint alles geschafft, Thiele erhält sein Unternehmen zurück. Doch zum Neustart im wiedervereinigten Deutschland laufen Kathi die Kunden weg. Über 80 Prozent der Umsätze brechen weg, von den 110 Mitarbeitern können nur 32 gehalten werden. Die Ostdeutschen wollen West-Marke. Überleben kann Kathi nur, indem das Unternehmen westdeutsche Ware abpackt und in den neuen Bundesländern vertreibt. Aber nach und nach bekommen die Kunden wieder Appetit auf die Backmischungen aus ihrer Jugend.

Halloren setzt auf Prominenz

Ob Kathi oder Halloren, Ostalgie ist bis heute ein wichtiger Umsatzbringer für beide Unternehmen. Über Tausend Busse karren jährlich rund 130.000 Besucher in ein rund 700 Quadratmeter großes Schokoladenmuseum mit gläserner Produktion auf dem Firmengelände von Halloren. Der Biedermeier-Salon besteht fast nur aus Schokolade und Süßigkeiten. Das Museum dient Halloren zur Werbung. Geld für teure Spots im Fernsehen ist trotz des Börsengangs, der 9,5 Millionen Euro in die Kasse spülte, nicht vorhanden. „Ich habe es mit Milliardenkonzernen wie Mars, Ferrero oder Lindt zu tun. Ferrero steckt über 200 Millionen Euro in TV-Werbung, unser gesamter Marketing-Etat beträgt 3,5 Millionen Euro“, sagt Lellé.

Da bleibt dem Halloren-Chef nur, auf Prominenz aus Politik, Sport und Wirtschaft zu setzen, die als Schokoladenbotschafter mit Autogrammstunden die Marke bekannter machen sollen. Uwe Seeler gehört zum auserwählten Kreis ebenso wie Kugelstoß-Olympiasieger Udo Beyer. Und natürlich Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, der Ehrenbürger Halles, der sogar 1995 symbolisch einen Schlüssel für die Schokoladenfabrik erhielt.

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