Londoner Flughafen Der Horror von Heathrow

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Schlafende Passagierin in Quelle: REUTERS

FEHLER 14 Sobald Informationen da sind, müssen sie an die Kunden weitergegeben werden.

6.10 Uhr. Die ersten Koffer der ankommenden Passagiere liegen auf dem Band. Die Masse aber fehlt noch. Die Passagiere beschimpfen vor allem die zusätzlichen Hilfskräfte von BA und BAA. Die können nur Standardfragen beantworten. Über die aktuellen Probleme wissen sie so wenig wie das Personal der Gepäckermittlung.

FEHLER 15 Eine offene Kommunikation über zentrale Probleme mit dem Gepäcksystem per Lautsprecher hätte die Situation entschärfen können. Bei Problemen sind alle Mitarbeiter mit Kundenkontakt zu informieren, schlecht informierte Hilfskräfte schüren nur Aggressionen.

6.30 Uhr. Inzwischen arbeiten alle Sicherheitskontrollen – aber langsamer als erwartet. Und so wachsen die Staus. Die Gepäckcomputer funktionieren immer noch nicht. Die ersten sieben Maschinen starten ohne Koffer mit Verspätungen, die sie den Rest des Tages nicht mehr aufholen.

FEHLER 16 Bei Problemen vermeiden frühe Entscheidungen große Folgen. Statt zu versuchen, die aufgelaufenen Koffer abzuarbeiten, wäre es besser gewesen, früher das Gepäck der ersten Flüge aus dem System zu nehmen und einen kompletten Neuanfang zu versuchen.

7.00 Uhr. Die Techniker starten das Gepäcksystem nun neu. Weil es stockend arbeitet, wächst der gut Tausend Stücke große Kofferberg weiter. Ankommende Passagiere warten bis zu sechs Stunden auf ihre Koffer.

7.30 Uhr. Wegen der Schlangen an den Sicherheitskontrollen und der defekten Aufzüge und Rolltreppen kommen immer mehr Passagiere zu spät ans Gate. BA streicht die ersten Flüge. Doch die Passagiere können am Check-in und an den Flugsteigen nicht umgebucht werden. Das geht nur an den Buchungsschaltern und den 26 Serviceschaltern. Von denen sind laut Beobachtern nur zwei geöffnet, und es kommt zu langen Schlangen, und einige Passagiere verpassen auch ihre neuen Flüge.

FEHLER 17 Notfälle müssen an allen Schaltern gelöst werden können.

9.00 Uhr. Ein in den Vorversuchen nie aufgetretener Fehler schickt die Koffer von Umsteigern nicht wie geplant bis zum Anschlussflug in ein Hochregallager, sondern zur Gepäckausgabe. Dort müssen sie von Hand ins Lager zurückgeschickt werden. Im Kofferlager sind laut Presseberichten nach einem Computerabsturz von vielen Koffern die Kennungen verloren gegangen. Nun muss deren Zielort neu erfasst werden. Für beides fehlen die Leute. Der Kofferberg wächst auf mehrere Tausend Stück.

FEHLER 18 Bei Neuanläufen von komplexen Systemen kommt es immer zu unvorhersehbaren Vorfällen. Bei Maschinenpannen müssen Mitarbeiter mit Betriebserfahrung einspringen, die ad hoc durch den Aufbau von manuellen Prozessketten die Lage entschärfen können.

11.00 Uhr. In die Menge drängen ein paar Hundert Umweltschützer, die gegen den Flughafenausbau protestieren. Um sie herum stehen Polizisten mit Maschinenpistolen. So verpassen viele Passagiere ihre Abholer, und das Reinigungspersonal kommt nicht mehr durch. Die Toiletten verschmutzen, und an einigen Waschräumen geht laut Presseberichten die Seife aus.

FEHLER 19 Auf Proteste hätte das Krisenmanagement vorbereitet sein müssen. Widerstand gegen Prestigeprojekte macht sich gerne im Moment der größten Aufmerksamkeit Luft.

14.00 Uhr. In den Gepäckbereichen ist angesichts von wohl mehr als 5000 Koffern kein Durchkommen mehr. Bis jetzt haben die Gepäckarbeiter versucht, Passagieren ihre Koffer auf einem der nächsten Flüge hinterherzuschicken. Jetzt werden die Gepäckstücke mehr oder weniger ungeordnet in andere Terminals gebracht.

FEHLER 20 Auch bei radikalen Lösungen muss das Management sich bemühen, Strukturen vorzugeben.

15.00 Uhr. Bei den Gepäckarbeitern kommt es nach Presseberichten zu einer Rauferei zwischen 30 Arbeitern, die von den Sicherheitskräften getrennt werden müssen. BA sagt immer mehr Flüge ab. Weil BA die vorgeschriebenen Gutscheine für Mahlzeiten und Übernachtungen laut Berichten nur zögernd und in nicht ausreichender Höhe anbietet, kommt es zu kleineren Tumulten.

FEHLER 21 Bei Notfällen auch für Extreme vorsorgen. Wer hier seine Kunden über den Tisch ziehen will, verärgert sie dauerhaft.

16.30 Uhr. Im Gepäcksystem wird es eng. BA erlaubt nur noch Handgepäck. Viele packen rasch um – und das oft radikal: Die Passagierin Leigh Wallace, die am übernächsten Tag in Südafrika heiraten will, stopft ihr Brautkleid mit Gewalt ins Handgepäck. Kurz darauf bleibt das System nach einem Rückstau ganz stehen. Nun müssen die Arbeiter Koffer einzeln holen und wegschaffen.

22.00 Uhr. Der Tag geht vorbei. Reihenweise schlafen die Passagiere auf den harten und auf die Dauer unbequemen Designerstühlen. Erst in der Nacht verteilen Beschäftigte des Flughafens Decken Schlafsäcke und Wasserflaschen.

FEHLER 22 Um auf Krisen wirklich vorbereitet zu sein, kommen Organisationen wie Flughäfen nicht ohne detaillierte Katastrophenplanung aus. Rechtzeitige Nothilfe wäre das Mindeste gewesen.

23.00 Uhr. Weil die Ingenieure das System zur Sicherheit über Nacht abschalten und am nächsten Morgen nur langsam hochfahren, sagt BA vorsorglich auch Flüge für die nächsten Tage ab. Einige Hundert Passagiere müssen zwei Tage später als geplant reisen.

Donnerstag, 10. April

Nach fast zwei Wochen sind die meisten Probleme gelöst. Auf Dauer? Bei der Neueröffnung des Flughafens Denver 1995 dauerten die Gepäckprobleme fast ein Jahr.

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