Boom bei Fertighäusern Friedemann Kunz, der schillernde Fertighauskönig

Seite 2/2

Familieneigene Fassfabrik

Friedemann Kunz kommt aus Schweden, da ist er aufgewachsen, und so schön skandinavisch, wie er sein „S“ spricht, wird es auch im tristesten Plattenbau ganz hyggelig, wenn er zu erzählen beginnt. Vielleicht ist das aber auch Absicht, denn wenn Kunz von einer Sache etwas versteht, dann davon, wie man die Leute um den Finger wickelt, ohne dass sie es merken. Und sein Deutsch ist ansonsten astrein. Schließlich kommt seine Familie aus Marlow, sogar ein Unternehmen hatte die hier zwei Generationen vor ihm einmal. Dann kam der Sozialismus, aus der familieneigenen Fassfabrik wurde ein VEB, und die Familie teilte sich auf. Kunz’ Vater ging nach Schweden, die Großmutter blieb in Marlow.

Aufgrund seiner schwedischen Staatsbürgerschaft konnte er sie leicht besuchen, und als dann plötzlich der Sozialismus vorbeiging, da dachte Kunz an all die grauen Häuser und das neue Geld. Mann, was würde da alles gebaut werden. Klar, das dachten sich auch all die Bauunternehmen im Westen, von denen manche schon bald zu Baulöwen werden und große Skandale hinterlassen sollten. Doch Kunz war kein Westdeutscher, sondern Schwede. Also dachte er nicht nur an das viele Geld, sondern auch an das viele Holz. „In Schweden waren Holzhäuser in Fertigbauweise bereits sehr verbreitet, in Deutschland gab es das noch gar nicht.“ Sagt und dachte Kunz und probierte es mal.

Aus der kleinen Firma für Büroartikel, die er mit seinem Bruder betrieb, ließ er sich ausbezahlen und kaufte von dem Geld ein Fertighaus, dass er an einen ersten Kunden in Rostock verkaufte. „Als wir das Haus dort aufgebaut haben, da war die ganze Zeit eine große Gruppe von Leuten an der Baustelle, die sich das fasziniert angeschaut haben“, erinnert sich Kunz. „Da hab ich mir gedacht, was ist das denn für eine geile Kiste!“

Typische Mängel in Neubauten

Der absolute Bestseller in seinem Sortiment sind die einstöckigen Bungalows, mehr als 300 verkauft er im Jahr allein von diesem Modell. Erst wird das Fundament gegossen, dann kommen die Wandelemente aus dem Werk in Marlow, in zwei bis drei Tagen bauen zwei Techniker sie vor Ort auf, innerhalb von fünf bis sieben Wochen folgt der Innenausbau, Dach drauf, fertig ist die geile Kiste. Architektonische Meisterwerke sehen anders aus, aber diesen Anspruch hat seit Walter Gropius auch keiner mehr an das gewöhnliche Vorstadthaus gestellt. Robust soll es sein, geräumig, sparsam und günstig. Genau daran aber scheiterte das Fertighaus jahrelang.

Das hat sich in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt gewandelt, erst ist die Produktion der Bauteile effizienter geworden, dann wurde die Energiebilanz bei Neubauten immer bedeutsamer. Und da macht den Fertighäusern, bei denen die Dämmung gleich mit in der Wand verbaut werden kann, keine Styroporplatte was vor. Und so steigt die Nachfrage, zu langsam, als dass einer auf die Idee kommen würde, vom großen Hype zu sprechen, aber schnell genug, um den Herstellern blendende Geschäfte zu bescheren. Von gut 10 auf 17 Prozent ist der Anteil der Fertigbauten innerhalb von zehn Jahren gestiegen.

Kunz glaubt: Es könnten auch 30 werden. Zeit, über die Grenzen Marlows hinauszudenken, Werke in ganz Deutschland zu bauen, wo die Kunden sind, anstatt ganze Hauswände Hunderte Kilometer weit durchs Land zu fahren, oder?

In diesen Regionen zahlen Immobilienbesitzer ihr Häuschen am schnellsten ab
27 Jahre, so lange dauert es, bis ein Durchschnittsverdiener in Deutschland sein Eigenheim abbezahlt hat. Der Tilgungssatz liegt dabei im Schnitt bei 2,89 Prozent. Für die Postbank-Studie, aus der die Bild zitiert, wurden die Kaufpreise in allen 402 Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland ins Verhältnis zum jeweiligen Einkommensniveau gesetzt. Voraussetzung ist, dass für die Tilgung wie maximal 40 Prozent des Haushalt-Nettoeinkommensaufgewendet werden, 20 Prozent Eigenkapitalanteil vorhanden waren. Sonderzahlungen wurden nicht berücksichtigt. Quelle: dpa
In weniger als der Hälfte (43 Prozent) der Kreise und kreisfreien Städte zahlen Eigenheimbesitzer die Immobilie wie empfohlen in 30 Jahren ab. In besonders teuren Immobilienstädten wie München oder Köln zahlen Durchschnittsverdiener mit einem Haushaltsnettoeinkommen zwischen 1.700 und 2.600 Euro dagegen auch einmal mehr als 40 lang, bis 110 Quadratmeter Wohneigentum ihnen gehören. Im westlich von Köln gelegenen Rhein-Erft-Kreis haben sie das notwendige Darlehen für eine 110-Quadratmeter-Wohnung dagegen nach 29 Jahren beglichen. Quelle: dpa
Auch im Nordosten der Republik ist eine 110 Quadratmeter-Immobilie für Durchschnittsverdiener trotz moderater Immobilienpreise kaum erschwinglich: Wegen des geringen Einkommens in der Region zahlen Immobilienbesitzer in Berlin, Potsdam, Rostock & Co. deutlich länger als 40 Jahre ihren Kredit ab. Wer in Berlin arbeitet, findet allerdings im brandenburgischen Kreis Barnim nördlich der Hauptstadt Wohnungen mit 110 Quadratmetern, die in der Regel nach 25 Jahren abbezahlt sind. Quelle: dpa
Wer keine Angst hat, zu pendeln, findet jedoch im Umland der großen Metropolen finanzierbare Immobilien. Selbst in teuren Gegenden rund um Frankfurt am Main gibt es Schnäppchen. Allerdings sind hier die Einkommen im Bundesvergleich auch so hoch, dass sich auch Durchschnittsverdiener eine 110-Quadratmeter-Wohnung leisten können. Quelle: dpa
Auch in den unmittelbar an Hamburg angrenzenden Kreisen Stormarn und Segeberg sowie dem Herzogtum Lauenburg dauert die Tilgung eines Kredits im Schnitt 34 Jahre. Quelle: dpa
In Pirmasens (im Bild), dem Landkreis Altenkirchen (Westerwald) und dem Landkreis Wesermarsch dauert die Tilgung eines Kredites für eine 110-Quadratmeter-Immobilie für den Durchschnittsverdiener rund zwölf Jahre. Quelle: dpa
Im Saale-Orla-Kreis, dem Landkreis Nienburg (Weser), Landkreis Holzminden, dem Unstrut-Hainich-Kreis und dem Vogtlandkreis dauert das Abbezahlen der eigenen vier Wände dagegen elf Jahre. Quelle: dpa

Von wegen: „Eines kann ich ausschließen: dass wir woanders produzieren als hier in Marlow“, sagt Kunz. Und meint: Wer nur die Geschichte vom märchenhaften Wachstum erzählt, der hat den Kunz nicht ganz begriffen. Denn zu diesem Unternehmermärchen gehört, was auch im echten nicht fehlen darf: ein echter König. Kunz hüllt seinen Anspruch in die klassische Mittelstandsprosa: „Ich habe doch eine Verantwortung für die Mitarbeiter hier vor Ort. Wenn meine Werke über das ganze Land verteilt lägen, dann müsste ich mich nur noch um Zahlen kümmern. Ich kann aber doch nur wirklich verstehen, was ich auch mit eigenen Händen anfassen kann!“ Und so investiert Kunz seine Ideen und seine Gewinne darin, sich rund um Marlow ein kleines Reich zu errichten.

Angefangen hat alles mit dem Hotel. Anfangs verkaufte Kunz seine Häuser nur in Mecklenburg-Vorpommern, wenn sich ein neuer Kunde fand, dann schickte er seine Architekten vorbei, um mit denen die Planung durchzusprechen. Morgens Abfahrt, mittags der Termin, abends waren sie wieder zurück in Marlow. Doch je weiter sich die Kundschaft über das Bundesgebiet verteilte, desto aufwändiger wurden diese Ausflüge. „Da habe ich mir gedacht: Es wäre doch viel besser, wenn die Kunden zu uns nach Marlow kämen!“ Tolle Idee – für Kunz. Aber warum sollten Kunden aus Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen sich einen halben Tag lang ins Auto setzen, nur für eine Besprechung in diesem Nest namens Marlow?

In der örtlichen Diskothek Schützenhouse steigt, als sei der Name nicht genug, die Euro Night mit DJ Benny, Longdrinks gibt es ab einem Euro aufwärts, doch das dürfte als Reisegrund kaum ausreichen. Also hat Kunz sich seine Inspiration ein bisschen weiter entfernt geholt. „Sie kennen ja die Autowelt in Wolfsburg. So was, habe ich mir gedacht, brauchen wir auch für unsere Fertighäuser.“ Also baute Kunz das Hotel Recknitztal gegenüber seiner Fabrik, das mit seiner gehobenen Küche und seinem Wellnessbereich schnell Kunden anzog, die sich für Fertighäuser sonst gar nicht interessierten. Und wieder folgte Kunz dem Prinzip Geile Kiste: Wenn etwas im kleinen Rahmen funktioniert, warum probiere ich es dann nicht eine Nummer größer?

Seitdem kauft Kunz Immobilien an der Ostsee, wo sich eine Gelegenheit dazu bietet. Und verfügt in Rostock und Warnemünde inzwischen über einen Bestand im dreistelligen Millionenwert. Den jüngsten Geschäftszweig hat Kunz in sein Portfolio aufgenommen, als ihm das Bier nicht so recht schmecken wollte, das er in seinen eigenen Hotels serviert bekam. Seitdem steht nebenan die Marlower Brauerei, die seine Hotels versorgt und selbst zur Touristenattraktion geworden ist.

Wie ist es Kunz gelungen, den Erfolg beim Verkauf von Fertighäusern auf zwei andere Branchen auszuweiten? „Vielleicht liegt es daran, dass ich kein Ingenieur bin, sondern Vertriebler“, sagt Kunz und präzisiert. „Ich könnte auch Damenstrümpfe oder Fernseher herstellen, völlig egal. Ich bin ein Mann des Füllfederhalters!“ Dass da etwas dran sein könnte, zeigt sich bei einer Werksbesichtigung. Für die tüftelnden Maschinenbauer dieses Landes ist das gemeinhin der Zeitpunkt, an dem sie zuverlässig in Ekstase geraten. Für Kunz hingegen ist der Gang in die Produktion vor allem eine Gefahr, sich die Schuhe dreckig zu machen.

Mit der Abwärme von der Produktion lässt Kunz zwar den Chefparkplatz heizen, um ihn trocken und sauber zu halten, doch auf den Flächen dahinter wird gehobelt, oft gesägt, und so fallen die Späne. Und so hält sich Kunz immer am Rand und schließt die Begehung nach wenigen Sätzen ab. „Wollen wir vielleicht noch rübergehen und uns das Hotel ansehen?“

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%