Die Datenrevolution rollt Wir werden Weltmarkführer beim Internet der Dinge

Die Industrie 4.0 hört nicht bei der Vernetzung von Produkten und Maschinen auf. Die digitale Zukunft unserer industriellen Wertschöpfung liegt in der Nutzung von Daten – dabei hat Deutschland gute Karten.

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Industrie 4.0 ist nach wie vor das prägende Thema der Hannover Messe. Quelle: dpa

Die vierte industrielle Revolution erscheint meist bei weitem nicht so revolutionär, wie manch einer das geglaubt haben mag: In unseren Fabriken stehen immer noch Maschinen, unsere Ingenieurskunst ist nach wie vor gefragt und der Werksleiter steuert weiterhin anstelle eines Algorithmus die Produktion.

Für den Beobachter ergibt sich ein unübersichtliches Bild, denn die Realität und die mit der Industrie 4.0 verbundenen Erwartungen scheinen nicht zusammen zu passen. Manch einer glaubt gar, dass wir den Wettlauf um die digitale Vernetzung in der Industrie verschlafen würden.

Ich halte dagegen: Wir sind auf dem besten Wege, zum Weltmarkführer beim Internet der Dinge zu werden. Warum? Weil wir verstanden haben, dass digitale Daten die Zukunft unserer industriellen Wertschöpfung sind. Weil die Vorstände der Industrieunternehmen diese Erkenntnis mit großem Tatendrang in neue Anwendungen und Lösungen umsetzen. Und weil wir hervorragende Maschinen und Produkte herstellen, die als Grundlage für die datenbasierten Geschäftsmodelle von morgen dienen.

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Das wirkt wie eine Wette auf die Zukunft, verbunden mit etwas Lokalpatriotismus? Dieser Eindruck täuscht. Die deutsche Industrie hat tatsächlich beste Aussichten darauf, den Weg hin zur Industrie 4.0 zu meistern – vorausgesetzt, sie bewältigt die nächsten erforderlichen Schritte. Denn letztlich geht es darum, drei Stufen auf dem Weg hin zur datengetriebenen Wertschöpfung zu meistern.

Von der vernetzten Maschine zur digitalen Wertschöpfung

Die erste Stufe ist die Vernetzung von Maschinen und Produkten, mit dem Ziel, Daten zu erheben und Transparenz über Fertigungsabläufe herzustellen, um klügere – sprich: effizienter – Entscheidungen treffen zu können. Diesen Schritt auf dem Weg zur Industrie 4.0 haben viele Unternehmen bereits erfolgreich gemeistert. Sie haben Maschinen und Produkte digital um- und aufgerüstet ans Internet angeschlossen und begonnen Betriebsdaten zu erheben und zu sammeln. Dies übrigens sogar auch für ältere Maschinen, die mittels günstiger Nachrüst-Bausätze „digitalisiert“ werden.

Was die Besucher auf der Industrie-Messe erwartet
Hannover Messe 2017 Quelle: PR
Hannover Messe 2017 Quelle: PR
Hannover Messe 2017 Quelle: PR
Hannover Messe 2017 Quelle: PR
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Hannover Messe 2017 Quelle: PR
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Die zweite Stufe ist die Nutzung der gewonnenen Daten für mehr Effizienz in der Produktion und zur Vermeidung von ungeplanten Ausfällen der im Einsatz befindlichen Maschinen. Mit einer ausreichend großen Datenbasis ist die Vorhersage von Ausfällen dank intelligenter Algorithmen fast ein Kinderspiel. Unter dem Stichwort ‚Predictive Maintenance‘ kommen all die Lösungen auf den Markt, die statt fester Wartungsintervalle für Maschinen den tatsächlichen Verschleiß von Bauteilen und Komponenten betrachten. Das alles ist nur möglich, weil die Daten aus den Sensoren permanent über eine Datenbank in Echtzeit analysiert werden und so genaue Prognosen ermöglichen.

Außerdem liefern die Auswertung der Betriebsdaten und die damit erreichte Transparenz zahlreiche weitere Vorteile für Unternehmen: Die Produktionsplanung wird flexibler, die gesamte Lieferkette kann darauf abgestimmt und ineffiziente Prozesse – wie etwa ein hoher Stromverbrauch oder unnötige Laufzeiten – vermieden werden. Die Nutzungsdaten von Produkten bieten wertvolle Hinweise zur Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit im Einsatz.

Was Roboter schon heute alles können
Im Geschäft persönlich vom Roboter begrüßt zu werden - auch das kann bald für mehr Menschen Realität sein. „Pepper“ hat Knopfaugen, und er ist in astreinem Deutsch recht schonungslos: „Meiner bescheidenen Meinung nach ist dieses Modell nicht besonders schmeichelhaft für Ihre Figur. Dürfte ich Ihnen ein paar neu eingetroffene Modelle zeigen, die mir für Sie besonders gut gefallen?“ Eigene Infos werden per QR-Code auf dem Smartphone gespeichert, den der Roboter im Geschäft dann scannt. In Japan ist Pepper (von SoftBank) bereits aktiv. Quelle: dpa
„iPal“ ist ein künstlicher Freund und Spielgefährte. Der Roboter ist so groß wie ein sechsjähriges Kind. Er kann singen und tanzen, Geschichten vorlesen und spielen. Durch Gesichtserkennung und automatisches Lernen wird „iPal“ mit der Zeit immer schlauer. Er erinnert sich an Vorlieben und Interessen des Kindes. „iPal“ ist keine gefühllose Maschine“, behauptet John Ostrem vom Hersteller AvatarMind. „Er kann Emotionen erspüren und fühlt, wenn das Kind traurig ist.“ Der Roboter, der in rosa oder hellblau angeboten wird, übernimmt auch gleich ein paar vielleicht leidige Erziehungspflichten: Der eingebaute Wecker holt das Kind aus dem Schlaf. Die Wetter-App sagt ihm, was es anziehen soll, und eine Gesundheits-App erinnert ans Händewaschen. „iPal“ wurde vor allem für den chinesischen Markt entwickelt. Ostrem erläutert: „Dort gibt es in den Ein-Kind-Familien viele einsame Kinder, deren Eltern wenig Zeit haben und die einfach niemanden zum Spielen haben.“ Anfang 2016 soll es „iPal“ dort für etwa 1000 US-Dollar (knapp 900 Euro) geben. Quelle: dpa
Wer auf Reisen die Zahnbürste vergessen hat, kann sie bald von einer freundlichen Maschine aufs Zimmer gebracht bekommen. „Relay“, der Service-Roboter, wird in einigen US-Hotels im Silicon Valley getestet. Die Rezeptionistin legt Zahnbürste, Cola oder Sandwich in eine Box im Roboter, dann gibt sie die Zimmernummer des Gastes ein. „Relay“ kann sich selbst den Fahrstuhl rufen – auch wenn er noch ziemlich lange braucht, um wirklich einzusteigen. Er scannt vorher sehr ausgiebig seine gesamte Umgebung, um ja niemanden umzufahren. Vor der Zimmertür angekommen, ruft der Roboter auf dem Zimmertelefon an. Wenn der Hotelgast öffnet, signalisiert ihm „Relay“ per Touchscreen: Klappe öffnen, Zahnbürste rausnehmen, Klappe wieder schließen. „Das Hotel ist für uns erst der Anfang“, sagt Adrian Canoso vom Hersteller Savioke. „Wir wollen „Relay“ auch in Krankenhäuser, Altenheime und Restaurants bringen, einfach überall dahin, wo Menschen essen oder schlafen.“ Quelle: PR
„Budgee“ trägt die Einkäufe und rollt hinterher. Per Funksender in der Hand oder am Gürtel gesteuert, kann er bis zu 22 Kilogramm schleppen, so der US-Hersteller. Er folgt Herrchen oder Frauchen mit mehr als 6 Kilometern pro Stunde. Die Batterie hält angeblich zehn Stunden. „Budgee“ lässt sich zusammenklappen und im Kofferraum verstauen. Die ersten Vorbestellungen werden ausgeliefert, Stückpreis rund 1400 US-Dollar. Quelle: PR
Roboter können nicht nur Einkäufe schleppen, sondern auch für viele Menschen unliebsame Arbeiten im Haushalt abnehmen – und damit sind nicht nur die Staubsaug-Roboter gemeint. Der „PR2“ des Institute for Artificial Intelligence (IAI) der Universität Bremen kann auch in der Küche zur Hand gehen, zumindest in der Laborküche. Quelle: dpa
Ja, heutige Roboter können bereits feinmotorische Aufgaben übernehmen und etwa zuprosten, ohne dass das Sektglas zu Bruch geht. Das ist aber nicht die Besonderheit an diesem Bild. Der Arm rechts gehört Jordi Artigas, Wissenschaftler am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen bei München. Der Roboterarm wird von Sergei Wolkow gesteuert – und der war nicht in Oberpfaffenhofen, sondern auf der Internationalen Raumstation ISS, wie im Hintergrund auf dem Monitor schemenhaft zu erkennen ist. Der „Tele-Handshake“ war nach Angaben des DLR ein weltweit einzigartiges Experiment. Quelle: dpa
Solche Aufgaben, wie etwa dieses Zahnrad zu greifen und weiterzugeben, konnte der DLR-Roboter „Justin“ schon 2012. Dass er aus dem All gesteuert wird, ist jedoch neu und bislang einzigartig. Quelle: dpa

Weiterhin entstehen neue Ansätze im Vertrieb, die ohne Daten nicht möglich wären. Wurden früher einzelne Produkte verkauft – man rufe sich den dicken Papierkatalog des Vertreters in Erinnerung – werden nun konkrete Ergebnisse für den Kunden vermarket. Nehmen wir ein Beispiel: Einige Anbieter von Flugzeugturbinen verkaufen heute Flugstunden statt einzelner Triebwerke zum Stückpreis. Die Sensordaten aus der Turbine geben Aufschluss darüber, wann ein Triebwerk gewartet werden muss und wie der Treibstoffverbrauch weiter gesenkt werden kann. Der Hersteller verkauft also kein Produkt, sondern ist auch für den Betrieb, die Wartung, Leistungssteigerung und Kosteneffizienz verantwortlich.

Künstliche Intelligenz und Plattformen brauchen Daten

Solche As-a-Service-Modelle werden weiterhin ganze Industriesektoren von Grund auf verändern. Die Kunden profitieren, weil sie geringere Anschaffungs- und Wartungskosten sowie bessere Planbarkeit haben; der Anbieter hat umso höhere Einnahmen, je zuverlässiger eine Maschine bestimmte Leistungen erbringt. Zudem hat er Zugriff auf die Nutzungsdaten und kann sein Angebot ganz individuell auf die Bedürfnisse des Kunden zuschneiden und das Produkt weiter optimieren.

Auch diese Stufe ist heute bereits vielerorts Realität und Praxis – auch wenn viele Unternehmen noch mit Pilotprojekten und Feldversuchen experimentieren, die jeweiligen Technologien also noch nicht überall in der eigenen Organisation oder für neue Produkte und Dienstleistungen nutzen. Letzteres hat auch damit zu tun, dass die Daten meist noch nicht aus ihren „Silos“ befreit wurden; zudem denken Hersteller häufig noch immer zu stark in Produkten und zu wenig in übergreifenden Lösungen. Aber der Wandel ist angestoßen, die Richtung ist klar, und der geschäftliche Nutzen eindeutig.

Viele sehen die ‚Industrie 4.0‘ mit der zweiten Stufe erreicht – und vergessen dabei, dass die eigentliche Verheißung der Digitalisierung noch aussteht: die Daten zum Aufbau ganz neuer Geschäftsmodelle zu nutzen sowie Abläufe, Produkte und Dienstleistungen mittels Künstlicher Intelligenz wirklich ‚intelligent‘ zu machen. Ein häufig genanntes Stichwort sind in diesem Zusammenhang digitale Plattformen: Sie sind der zentrale Dreh- und Angelpunkt für die Daten aus der Industrie.

Wer seine Maschinen und Produkte an Plattformen anbindet, profitiert von einem vielfältigen Ökosystem aus Lösungen, Diensten und Technologien, die die Veredlung der eigenen Daten erst ermöglichen. Im Wettrennen um die Industrie 4.0 sind Plattformen die entscheidenden Bausteine, denn sie sind die Grundlage neuer digitaler Geschäftsmodelle, die nicht allein auf Effizienzsteigerung vorhandener Prozesse abzielen. Vielmehr geht es darum, aus der Kombination unterschiedlichster Daten ganz neue Zusammenhänge zu erschließen und diese in Lösungen für den Kunden zu vermarkten.

Diese Länder haben das schnellste Internet
Breitband-Internet Quelle: dpa
Platz 25: DeutschlandDeutschland landet mit einer durchschnittlichen Downloadrate von 14,6 Mbit/s noch knapp unter den 25 Ländern mit dem schnellsten Internet. Während das Internet in den Städten ordentliche Geschwindigkeiten vorweisen kann, tropft es in vielen ländlichen Gebieten mit nicht einmal zwei Megabit aus der Leitung. In einer zweiten Statistik hat Akamai erfasst, wie viele der Anschlüsse es über die Marke von recht lahmen 4 Mbit/s schaffen – hier liegt Deutschland mit nur 89 Prozent der Anschlüsse auf Rang 33.Anmerkung: Die Datenübertragungsrate wird in Megabit pro Sekunde (Mbit/s) gemessen. Ein Megabit entspricht einer Million Bit. Quelle: dpa
Platz 10: Niederlande Quelle: dpa
Platz 9: Japan Quelle: AP
Platz 8: Singapur Quelle: dpa
Platz 7: Finnland Quelle: dpa
Platz 6: Dänemark Quelle: dpa

Daten sind auch entscheidend für die weitere Verbesserung der Künstlichen Intelligenz, seien es nun Industrieroboter oder selbstlernende Algorithmen. Machine Learning benötigt möglichst vielen Daten, die intelligenten Maschinen immer autonomere Entscheidungen ermöglichen und sie eine im jeweiligen Kontext gewünschte Handlung ausführen lassen. Dafür sind übrigens weniger die Algorithmen entscheidend: Die Intelligenz einer Maschine hängt vor allem von einer möglichst breiten Datengrundlage ab. Der Algorithmus selber besitzt keinen Wert, die Daten dagegen schon.

Zusammengefasst, bedeutet das: Die Datenrevolution rollt – und die deutsche Industrie kann zu den Gewinnern dieses Umsturzes gehören. Mit hervorragenden Produkten, der einzigartigen Forschungslandschaft und dem neuen ‚digitalen Spirit‘ sind wir für die Zukunft bestens gerüstet. Der Anfang ist bereits gemacht. Jetzt gilt es, die digitalen Geschäftsmodelle von morgen aus den Pilotprojekten in echte Anwendungen zu überführen.

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