Maschinenbauer Trumpf "Veränderung ist wichtiger als Wachstum"

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Den moralischen und europäischen Kompass im Vordergrund

Die Bundeskanzlerin hat in der Flüchtlingsfrage die Unterstützung der Wirtschaft eingefordert.

Leibinger-Kammüller: Hoffentlich bekommt sie die nötige praktische Unterstützung. In unserem Unternehmen sind wir seit Längerem darauf vorbereitet, Flüchtlinge zu integrieren, ihnen im Alltag zu helfen – im Rahmen unserer Möglichkeiten, das ist klar. Aktuell beschäftigen wir fünf Flüchtlinge an den deutschen Standorten. Hinzu kommen bald weitere vier, die eine Ausbildung beginnen. Bei Trumpf heißt das in aller Regel, dass sie dann dauerhaft bei uns bleiben können.

Entspannt sich durch die Flüchtlinge der Mangel an Fachkräften in Baden-Württemberg?

Kammüller: Natürlich sind nicht alle Flüchtlinge gleichermaßen gut einsetzbar, weil sie vom Anforderungsprofil her oft nicht zu den anspruchsvollen Stellen passen. Aber es gibt andere Bereiche der Wirtschaft, gerade im Servicebereich und im Handwerk, wo händeringend Leute gesucht werden und Flüchtlinge ganz hervorragend passen dürften.

Viele sagen, Frau Merkel habe den Kompass verloren und müsse den Kurs in der Flüchtlingspolitik ändern.

Leibinger-Kammüller: Für mich stehen der moralische und der europäische Kompass nach wie vor im Vordergrund. Und diesen hat sie überhaupt nicht verloren, ganz im Gegenteil. Sie hat ihn – und andere haben ihn leider nicht. Wir haben jahrelang die Flüchtlingsdramen beobachtet und die Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusi Nicolini, klagen und warnen hören. Und doch praktisch nichts getan. Über viele Jahre haben wir es auch versäumt, Europa wirklich als Ganzes zu sehen und die europäische Einigung voranzutreiben. Jetzt kommt nach der globalen Finanzkrise die erste wirkliche Herausforderung für Europa, und schon geben wir auf. Das finde ich sehr, sehr bedauerlich.

Zerbricht Europa an den Herausforderungen?

Leibinger-Kammüller: Zurückgefragt: Ist die Rückkehr zu Grenzzäumen und nationalen Egoismen denn eine Option? Ich denke nicht. Wir haben alle von Europa profitiert und Deutschland im besonderen Maße. Der Rückfall in Nationalismus, weniger Freiheit, weniger Freihandel, birgt keine Lösungen, sondern nur neue Probleme. Da packen wir die Probleme in Europa jetzt doch lieber gemeinsam an, die jüngsten Gespräche in Brüssel weisen ja auch in diese Richtung. Wir sind 500 Millionen Menschen auf dem Kontinent. Wir brauchen die Einheit dieser 500 Millionen Menschen dringend, auch unabhängig von der Flüchtlingsfrage. Wie wollen wir denn weltweit eine Stimme haben, wenn wir nicht geschlossen auftreten?

Anteil der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung am Umsatz. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Die AfD ist mit 15 Prozent nun ein politisches Schwergewicht in Ihrer Heimat. Überrascht?

Leibinger-Kammüller: Nein, das war leider abzusehen. Dass die AfD hier in Baden-Württemberg auf einen zweistelligen Wert gekommen ist, finde ich schon beunruhigend. Nun müssen die anderen demokratischen Kräfte zusammenstehen und der AfD im Parlament mit Sachargumenten so begegnen, dass sie bei der nächsten Wahl wieder draußen ist.

Merkwürdig eigentlich, dass in Baden-Württemberg oder auch der Schweiz, wo es wirtschaftlich gut läuft, die Angst vor Flüchtlingen so ausgeprägt ist.

Leibinger-Kammüller: Wir müssen das ein Stück weit von den ökonomischen Rahmendaten trennen und als ein kulturelles Phänomen des Wandels verstehen. Die Menschen hier sind verunsichert, weil sie in ihren Unternehmen spüren, dass die Globalisierung überall den Druck erhöht, selbst wenn es den Unternehmen gut geht. Und erstmals ist die Globalisierung keine Einbahnstraße mehr – wir verkaufen Produkte in ärmere Länder –, sondern sie findet vor der eigenen Haustür statt, indem Menschen aus diesen Ländern nun zu uns kommen. Das erhöht die Globalisierungsängste enorm. Trotzdem machen mich die nationalistischen Tendenzen überall in Europa wahnsinnig. Gerade auch in der Schweiz. Kein Land hat so von der Globalisierung, dem Kapital aus dem Ausland, den Touristen profitiert. Und dann steht da so ein selbstgefälliger Schweizer vor einem und klopft fremdenfeindliche Sprüche. Das kann einen auf die Palme bringen.

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