Beine hochlegen, zurücklehnen, der Rest erledigt sich wie von selbst. Niemand mehr läuft abends durchs Haus und schließt einen Rollladen nach dem andern. Und wem im Taxi zum Flughafen einfällt, dass das Garagentor noch offen steht, schließt es per Smartphone.
Die Werbespots vor der ARD-Sportschau oder der ZDF-Heute-Sendung verraten viel über die Technik, die Rollläden, Markisen und Garagentore wie von Geisterhand surren lässt – aber nichts über Somfy, ihren Hersteller. Denn der ist keiner der zahlreichen deutschen Mittelstandschampions wie Kärcher oder Stihl, sondern eines der raren französischen Pendants.
Somfy spielt eine Sonderrolle auf der anderen Seite des Rheins. Während der Hochdruckreiniger- und der Kettensägenbauer aus dem Württembergischen ihr Made in Germany pflegen, spielt Somfy-Chef Jean-Philippe Demaël seine Herkunft herunter. Außerhalb Frankreichs weiß kaum ein Kunde, dass die fünf Buchstaben für „Société d’Outillage et du Mécanique du Faucigny“ (Gesellschaft für Werkzeuge und Mechanik der Region Faucigny) stehen. „Somfy ist brasilianisch in Brasilien, chinesisch in China und deutsch in Deutschland“, sagt Demaël. Made in France zählt für ihn nicht, im Gegensatz zu vielen seiner Managerkollegen.
Innovativ und exportstark
Damit beeindruckt der Franzose mittlerweile sogar seine eigentlich globalisierungskritische Regierung in Paris. Premierminister Jean-Marc Ayrault ist von Demaëls Einstellung so angetan, dass er ihn gemeinsam mit dem französischen Generalinspektor der Finanzen und dem Präsidenten der Region Rhône-Alpes beauftragt hat, ein Konzept für die Reform der staatlichen Unternehmensförderung zu erarbeiten.
So nutzen Mittelständler ihre Stärken im Wettbewerb um Fachkräfte
Diese Einschätzung stimmt allerdings nur zum Teil. Auf die Frage, welche Kriterien bei ihrer Jobauswahl eine Rolle spielen, landeten ein angenehmes Betriebsklima und interessante Arbeitsinhalte an erster Stelle der Wunschliste der potenziellen Bewerber (jeweils 8,7 Punkte auf einer Skala von eins bis zehn).
Für die Studenten spielen außerdem Arbeitsplatzsicherheit (7,9 Punkte), gute Karrierechancen (7,8 Punkte) und eine gute Bezahlung (7,7 Punkte) eine wichtige Rolle bei der Auswahl ihres künftigen Arbeitgebers. Die Unternehmensgröße ist den meisten nicht so wichtig (4,3 Punkte). Auch der Standort und das Image des Unternehmens sind für viele Bewerber nicht ausschlaggebend (jeweils 6,6 Punkte).
Vieles deutet darauf hin, dass der Mittelstand und Familienunternehmen nicht stärker vom Fachkräftemangel betroffen sind als Großkonzerne. Denn fast 80 Prozent der Studenten planen, sich sowohl bei mittelständischen als auch in großen Unternehmen zu bewerben. Nur elf Prozent wollen ausschließlich bei Großunternehmen arbeiten; neun Prozent sind nur auf mittelständische Unternehmen fokussiert.
Die Studenten, die mittelständische Unternehmen als eher attraktiv bewertet haben, wurden gebeten, eine Begründung für ihre Einschätzung zu geben. Auf die (ungestützte) Frage gaben 28,8 Prozent an, dass sie kleinere und mittelständische Unternehmen besonders schätzen, weil sie familiär und weniger anonym sind und dort ein besseres Betriebsklima erwarten. Außerdem erhoffen sie sich mehr Verantwortung und Freiräume (16,4 Prozent) sowie eine größere Anerkennung ihrer Leistungen (12,3 Prozent). Elf Prozent wissen die flacheren Hierarchien und Strukturen zu schätzen. Auf diese Vorteile sollten Mittelständler und Familienunternehmen in ihrer Kommunikation mit (potenziellen) Bewerbern eingehen.
Aus Sicht der befragten Studenten könnten Mittelständler noch attraktiver werden, wenn auch die Verdienstmöglichkeiten wettbewerbsfähig sind. Das sagen 23 Prozent der Befragten. Sie glauben auch, dass Werbung, gute Öffentlichkeitsarbeit und ein informativer Internetauftritt dazu beitragen können, die Attraktivität eines mittelständischen Unternehmens zu steigern. "Daran sollten Familienunternehmen und Mittelständler arbeiten und sich – wenn nötig – professionelle Unterstützung holen", empfiehlt Dr. Peter Bartels.
Um viele Bewerbungen von hochqualifizierten Absolventen zu bekommen, sollten Unternehmen früh mit den potenziellen Bewerbern in Kontakt kommen. Das geht beispielsweise, indem sie Studenten anbieten, ihre Abschlussarbeit in Kooperation mit dem Unternehmen zu schreiben. Für über 90 Prozent der befragten Bewerber ist dieses Angebot attraktiv. Die Möglichkeit, sich intensiv kennen zu lernen, bevor ein festes Arbeitsverhältnis geschlossen wird, bieten natürlich auch studienbegleitende Praktika.
Darüber hinaus sollten Unternehmen Studenten gezielt ansprechen. Zum Beispiel über Stipendienprogramme, Recruiting-Veranstaltungen oder auf Jobmessen. "In der Kommunikation mit den möglichen Bewerbern sollten sich mittelständische Unternehmen darauf konzentrieren, die Bewerber gut zu informieren – und zwar zu den Punkten, die ihnen bei der Jobwahl am wichtigsten sind, also zu den genauen Arbeitsinhalten sowie Karriere- und Weiterbildungsmöglichkeiten", so die Empfehlung von Dr. Peter Bartels.
Allerdings müssten sich Unternehmen auch bewusst sein, sagt Bartels, dass Informationen nicht ausreichen. Sie müssen den künftigen Kollegen auch etwas bieten können: Und dazu zählen in jedem Fall ein wettbewerbsfähiges Gehalt und gute Karrierechancen.
Den Ruf des Vorzeigemittelständlers in der von Konzernen geprägten Unternehmenswelt Frankreichs hat Somfy verdient. Das Unternehmen ist wie Kärcher und Stihl ein echter Weltmarktführer, nämlich für Antriebe und Steuerungen von Toren und Rollläden. Mit einem Jahresumsatz von zuletzt knapp einer Milliarde Euro und einem Nettogewinn von 82,9 Millionen Euro verkörpert die 7600 Mitarbeiter zählende Firma genau jene Eigenschaften, die sich die Regierung an der Seine für mehr Unternehmen des Landes wünscht: Somfy ist innovativ, exportstark und erfolgreich im internationalen Wettbewerb.
Jedes Jahr meldet das Unternehmen fast 40 Patente an. 73 Prozent des Umsatzes entfielen 2012 auf den Export. Deutschland ist nach Frankreich der wichtigste Markt, die Somfy GmbH mit Sitz in Rottenburg am Neckar und einem Umsatz von 139 Millionen Euro die größte Tochter. Schon im Gründungsjahr 1969 hatte Somfy im benachbarten Tübingen eine der inzwischen 76 Filialen in 60 Ländern eröffnet.
In Cluses, einer Kleinstadt am Fuß des Mont-Blanc-Massivs, wird dafür hart gearbeitet. In Tests müssen die Elektromotoren 400 Grad Hitze genauso standhalten wie 60 Grad Kälte, Feuchtigkeit, salziger Meeresluft, unregelmäßigen Stromspannungen und Strahlenbelastungen.
Internationalität in den Genen
Präzision ist das Markenzeichen der Region Hoch-Savoyen. Von hier holten die Schweizer Uhrmacher jenseits der nahen Grenze im 19. Jahrhundert die Bauersleute im Winter und spannten sie zur Arbeit in ihren Werkstätten ein. Damit legten sie – wie früher in armen Regionen Baden-Württembergs – das Fundament für die Entwicklung eines der ärmsten Landstriche Frankreichs zum Industriestandort. Während die Regierung in Paris dankbar ist, wenn sich das französische Exportdefizit wenigstens verringert, verdient die Alpenregion mit Ausfuhren richtig Geld.
Zahlreiche andere französische Mittelständler beschränken sich auf den Heimatmarkt. „Wir haben die Internationalität in den Genen“, sagt dagegen Somfy-Chef Demaël. „Wir sind überzeugt davon, dass weltweit der Wunsch nach einer Verbesserung der Lebensbedingungen zunimmt.“
Um davon zu profitieren, suchen die Franzosen den Schulterschluss mit Unternehmen im Ausland. So gründete Somfy mit dem dänischen Fensterhersteller Velux einen Verbund namens io-homecontrol, dem rund ein Dutzend Hersteller angehören. Der Benutzer kann über Fernbedienung die Haustechnikkomponenten der Verbundfirmen einzeln oder zusammen steuern: Dachfenster und Rollläden, Markisen, Heizung, Licht, Türen und Alarmanlage. Über das Internet lässt sich io-homecontrol zudem per Smartphone, PC, Notebook oder Tablet-Computer bedienen.
Digitale Haustechnik
Ziel ist eine „neue Welle des Wachstums“, sagt Demaël, indem Somfy das Bedürfnis nach mehr Komfort, Sicherheit und verstärkt auch nach Umweltschutz bediene. Deshalb wolle Somfy auch bei der Digitalisierung der Haustechnik zum Marktführer aufsteigen. 2012 stieg der Umsatz mit solchen funkgesteuerten Systemen bei Somfy um 131 Prozent. Dabei setzt Demaël auch auf das Umweltbewusstsein in Deutschland, das stärker ausgeprägt sei als in Frankreich. Immerhin ließen sich mit digitalisierter Haustechnik bis zu 30 Prozent Energie sparen.
Das entscheidende Wachstum aber verspricht sich Somfy von den Schwellenländern. 2015 soll das Unternehmen dort mindestens ein Drittel des Umsatzes erwirtschaften. 2009 waren es 15 Prozent, heute sind es 25. Beispiel Brasilien: Gerade haben die Franzosen für rund sieben Millionen Euro 51 Prozent an der Sicherheitstechnikfirma Giga erworben. Im August 2012 hatten sie sich die Kontrolle über den Haustechnikspezialisten Neocontrol geschnappt. Und bereits seit 2011 arbeitet Somfy mit dem Automatisierungsspezialisten Garen Automação zusammen.
In China ist der Mittelständler aus den französischen Alpen schon seit 2006 vertreten und beschäftigt dort inzwischen fast 2500 der weltweit 7600 Mitarbeiter. Das sind rund 500 mehr als in Frankreich. Zwar beschert das Somfy nicht nur Freunde. Globalisierungskritiker wie Industrieminister Arnaud Montebourg und die Gewerkschaften geißeln die Produktionsverlagerung französischer Unternehmen ins Ausland regelmäßig als unpatriotisch.
Forschung und Entwicklung made in France
Dennoch musste sich Montebourg vor wenigen Tagen ausgerechnet von Demaël die Empfehlung anhören, Paris solle die staatlichen Hilfen für Unternehmen in den Jahren 2014 und 2015 um drei Milliarden Euro reduzieren und den Rest vor allem in innovative Betriebe lenken. Dass diese ihr Geld möglicherweise aber nicht nur in Frankreich investieren, lässt Demaël außer Zweifel: „Unser Wachstum wird selbstverständlich auch von weiteren Übernahmen in den Schwellenländern abhängen.“
Die Mittel dazu hat Somfy. Das Unternehmen, das 2002 an die Börse ging und mehrheitlich der einstigen nordfranzösischen Textildynastie Despature gehört, hatte Ende vergangenen Jahres 36,5 Millionen Euro in der Kasse. Auf Demaëls Einkaufsliste stehen Unternehmen in China, Brasilien und Indien, danach folgen Russland, Mexiko, die Türkei und Nahost. „Das international ausgerichtete Wachstum ist eine der Stärken von Somfy“, loben die Analysten des auf Mittelständler spezialisierten Brokers Gilbert Dupont in Paris.
Der Somfy-Chef legt Wert darauf, dass seine Tochterfirmen von Einheimischen geführt werden. Auch mit der neuerdings von Paris mit Verve vertretenen Marketing-Offensive des Made in France kann er wenig anfangen. Wichtig sei, „dass ein Produkt in Frankreich erfunden wurde“. Seine rund 200 Zulieferer sitzen sowohl in Hoch-Savoyen als auch in Tunesien oder China. Gleichzeitig aber wird jedes noch so kleine Detail eines Motors von Somfy konzipiert und patentiert. „Ein Produktionswerk kann man relativ einfach ins Ausland verlagern“, sagt Demaël. „Mit Forschung und Entwicklung ist das schwieriger.“
Auch die im Vergleich zu Deutschland höheren Arbeitskosten in Frankreichs Industrie sprächen dafür, die höheren Margen durch eine Produktion im Ausland zu nutzen, um diese dann in Innovationen am Heimatstandort zu investieren. „Es gibt sehr wenig Solidarität unter den französischen Unternehmen“, bedauert Demaël allerdings. „Der Konkurrenzgedanke herrscht vor, es ist schwierig, Partnerschaften einzugehen.“ Von den inzwischen elf Verbundmitgliedern bei io-homecontrol sind nur zwei weitere französisch.
Demaëls Drang über die Grenzen ist auch aus der Not geboren. Die Verkaufszahlen sind unter Druck, das Geschäftsjahr begann mit einem Minus, die europäische Schuldenkrise schlägt sich in geringerer Nachfrage nieder. Und dann durchkreuzt auch noch das Wetter alle Pläne. Selbst jetzt, im Juni, liegt noch Schnee auf dem 2300 Meter hohen Gipfel des Grand Bargy, den der Somfy-Chef von seinem Büro aus sehen kann. Das ist kein Wetter, bei dem die Kunden in Europa an die Aufrüstung ihrer Terrassen denken – in China, Indien oder Brasilien dagegen schon.