Weltmarktführer Ost Die heimlichen Weltmarktführer aus den neuen Ländern

Von Gleichstand keine Spur: Auch nach 25 Jahren sind Topunternehmen in Ostdeutschland viel seltener als im Westen. Doch es gibt Ausnahmen.

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Die 30 Besten des deutschen Mittelstands
Produktion bei Ensinger Quelle: Presse
Sennheiser Produktion Quelle: Presse
Screenshot der Adva-Internetseite Quelle: Screenshot
Schiffsschraube Quelle: PR
Das Pfeiffer Vacuum Firmengebäude Quelle: Pfeiffer Vacuum Pressebild
Frank Blase, der Geschäftsführer von igus. Quelle: Presse
Armaturen in der Fertigung von Hansgrohe Quelle: REUTERS

Kleine Jungs beneiden Lutz Petermann. Der Mann baut riesige Schaufelbagger und klettert für seine Firma FAM durch die größten Baustellen der Erde. Denn sein Unternehmen ist Weltmarktführer für diese Technik und der größte Arbeitgeber der Stadt Magdeburg. Doch als Petermann ein neues Bürohaus am Firmengelände hochziehen wollte, ließen ihn 23 verschiedene Amtsstuben der Stadt drei Jahre lang schmoren, bis er endlich alle Zustimmungen hatte. Das wäre dem schwäbischen Schraubenkönig Reinhold Würth in Künzelsau sicher nicht passiert.

Weltmarkführer, Familienunternehmen – das sind in Ostdeutschland wenig ruhmreiche Titel. Gesellschaftliche Anerkennung? Hohe Identifikation der Arbeitnehmer?

Entwicklungen in Ostdeutschland

Was im Westen für viele Familienunternehmer selbstverständlich ist, bleibt im Osten auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung die Ausnahme. Was auch daran liegt, dass der erfolgreiche Familienunternehmer an sich heute im Osten ähnlich verbreitet ist wie Unternehmergeist vor dem Mauerfall: Nur 300 der 4400 größten Familienunternehmen der Republik sitzen dort. Und wer sie besucht, merkt schnell: Dort weht noch immer ein anderer Wind.

Profitiert im Westen die ganze Region von Unternehmen, kann im Osten ein Weltmarktführer residieren, und rechts und links der schicken Hauptverwaltung verrotten Wohnhäuser und Industrieanlagen. Aus dem Westen stammende Chefs treten oft viel selbstbewusster auf als ihre Ostkollegen. Im Osten kämpfen Facharbeiter um Löhne und Tarifverträge, die für Westkollegen längst selbstverständlich sind.

Es lebt der real existierende Unterschied.

Gerhard Heimpold, Wissenschaftler am Institut für Wirtschaftsforschung Halle, begründet es so: „Das Fehlen großer Unternehmen ist größtenteils ein Nachhall von Schwächen der alten Zentralverwaltungswirtschaft. Die großen Kombinate waren beim Übergang auf die Marktwirtschaft nicht konkurrenzfähig und wurden in kleinere Unternehmen aufgespalten, um sie besser privatisieren zu können.“ Die Konsequenz daraus: „Mangels großer Unternehmen bleiben die Produktivität, Exportintensität und Forschungsaktivitäten noch heute zurück.“

25 Jahre nach der Wende zeigt sich, dass weder die Höhe von Subventionen, noch die Herkunft als Vor-Kriegs-Familienunternehmen, Kombinat oder Nach-Wende-Neugründung über den Erfolg entschieden haben. Woran krankt es dann vor allem in Ostdeutschland?

Die Karte des HIE-RO zeigt die Standorte der Weltmarktführer in Ostdeutschland. Quelle: Presse

- Fehlende Familienunternehmen: Mehr als 90 Prozent aller deutschen Unternehmen gehören zum Mittelstand, meist inhabergeführt, häufig seit Generationen – das oft genannte Rückgrat der Wirtschaft. Doch im Osten verstaatlichte die DDR-Führung 1972 fast ausnahmslos die letzten mittelständischen Industriebetriebe. Davon hat sich die Unternehmenslandschaft bis heute nicht erholt.

- Mangelndes Eigenkapital: Im Westen gehört es zum Selbstverständnis vieler Unternehmer: Wir bilden seit Generationen Rücklagen und halten uns damit die Banken vom Hals. Dieses Kapital fehlt jungen Ostunternehmen. Zugleich werden die Banken hüben wie drüben immer restriktiver bei der Kreditvergabe, beklagen viele Unternehmer gesamtdeutsch.

Ausnahmen im Osten

Börsengänge wie im Westen sind selten. Analytik Jena ist eine Ausnahme im Osten. Der Spezialist für optische Analysegeräte öffnete sich 2013 Investoren. „Ohne den zwingend nötigen Börsengang hätten wir nicht ausreichend in Internationalisierung, Forschung und den Aufbau des Vertriebs investieren können“, sagt der Vorstandsvorsitzende Klaus Berka. Zudem soll ein Ankeraktionär eine feindliche Übernahme abwehren.

- Zu wenig Forschung: Es mangelt aber vielen Unternehmen nicht nur am Kapital, sagt Bernd Venohr, Unternehmensberater aus München: „Konkurrenten in unmittelbarer Nähe verstärken den Wettbewerb, daran fehlt es im Osten.“ Zudem kooperierten diese Unternehmen weniger als westdeutsche mit Fachhochschulen und Universitäten. Gerald Braun, Wirtschafts-Professor in Rostock, sagt: „Viele Hochschulen leisten noch immer zu wenig anwendungsorientierte Beiträge für die Betriebe.“

- Kein Nachfolger in Sicht: Nach 1990 wurde vor allem die Generation der 40-Jährigen Unternehmer. Jetzt naht die Rente und vielen fehlt der Nachfolger. Frank Wiethoff, Regionalvorstand Ost des Wirtschaftsprüfers KPMG, sagt: „Viele Ostunternehmer, als Inhaber der ersten Generation haben ihre Kinder nicht so strategisch an die Unternehmensnachfolge herangeführt wie wir es teilweise im Westen beobachten. Wenn aber die zweite Generation für die Nachfolge nicht in Sicht ist, haben wir zum einen das Problem des Unternehmsfortbestands als Familienunternehmen und zum anderen sind Seniorinhaber mit dringenden Themen wie beispielsweise Digitalisierung nicht so vertraut wie die Jüngeren.“

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- Facharbeitermangel: Erst der Geburtenknick nach der Wende, dann zog es immer mehr Bürger gen Westen. Heute leben 2,3 Millionen Menschen weniger im Osten als zu DDR-Zeiten. Deshalb mangelt es Ostbetrieben noch viel mehr an Facharbeitern und Akademikern. „Und versuchen Sie mal, junge Westingenieure für die Lausitz zu begeistern“, sagt Carsten Trentau, Geschäftsführer des Finsterwalder Plasmaspezialisten Kjellberg. Der Hightechlieferant schlägt sich wacker und ist wie viele Weltmarktführer Ost dennoch den meisten unbekannt.

Was sich mit einem ostdeutschen Witz erklären lässt: Worin unterscheiden sich West- und Ostmanager? Die Wessis haben zwei Semester länger studiert – für Schauspielunterricht. Jenseits dieser Frotzeleien und Klischees aber entsteht, wenn auch langsam und anders, eine kleine, feine Gruppe an Weltmarktführen. Hier sind drei ihrer Geschichten:

FAM -Die Treuhand-Ausgründung

FAM: 300 Mio. Euro Umsatz, 2000 Mitarbeiter

„Die sind clever“, sagt der Chef einer großen Magdeburger Behörde über den Fördertechnikspezialisten FAM vor seiner Haustür. „Kommen unauffällig daher, sind aber sehr erfolgreich und bilden exzellent aus.“ Chef und Miteigentümer des gerühmten Weltmarktführers ist Lutz Petermann. Und der könnte ein lesenswertes Buch über die Wendezeit schreiben. Fast alle Probleme, die ein Ostdeutscher mit Unternehmergeist damals haben konnte, hat er gehabt. FAM war zu DDR-Zeiten ein volkseigener Betrieb, den Petermann so beschreibt: „Anfang der Neunzigerjahre waren wir nicht überlebensfähig.“ Heute ist FAM mit Tagebautechnik, Verlade- und Hafenbautechnik erfolgreicher als je zuvor. Kaum eine Riesengrube weltweit, in der nicht ein Teil aus Magdeburg arbeitet.

Schweres Gerät: Lutz Petermann führt den Magdeburger Fördertechnikspezialisten FAM. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Christoph Michaelis für WirtschaftsWoche

Das war 1994 nicht wahrscheinlich. Damals kauften Petermanns Vater und ein anderer ehemaliger Mitarbeiter das Unternehmen gemeinsam mit zwei Beteiligungsgesellschaften von der Treuhand. „Wir waren nicht mehr als ein Start-up mit vielen alten Maschinen“, bilanziert der Sohn. Aber mit zwei Personalproblemen: Zum einen blieben von den einst 1600 Stellen nur noch 350 erhalten, zum anderen fehlte der Auslandsvertrieb, der über den Außenhandel der DDR gelaufen war.

Also entrümpelte FAM die Produktpalette und setzte an viele Schaltstellen neue Leute. Das kostete zwar auch Kontakte, aber auf einige Altgediente wollte FAM gerne verzichten. „Stattdessen haben wir über die Jahre zielgerichtet auch westdeutsche Mitarbeiter umworben, auch weil sie Englisch sprachen. Russisch war ja nicht mehr so gefragt“, sagt der Maschinenbauer lakonisch. Der osteuropäische Markt war dann auch nicht mehr so gefragt.

Aber das Glück ist mit den Tüchtigen: Die veralteten Abbaubetriebe der DDR wurden nach der Wende modernisiert. Und damit hatte FAM den Referenzmarkt direkt vor der Haustür. Von dort aus kämpfte sich der Kombinat-Rest weltweit nach oben. „Unser Ziel war: mehr als in der Vergangenheit das Risiko streuen, also möglichst viele Branchen in möglichst vielen Ländern bedienen.“ Heute liegen die größten Märkte in Nord- und Südamerika sowie China. Osteuropa macht heute noch zehn Prozent des Umsatzes aus.

Warum hat FAM überlebt, während andere scheiterten? Petermann überlegt recht lang: „Nach der Wende hatten wir den unbedingten Willen, dieses Unternehmen zu erhalten. Wir sind auch heute noch ein sehr motiviertes Team. Im Projektgeschäft ist das überlebenswichtig.“

Goldschmidt - Das Familienunternehmen

Goldschmidt Thermit Group: 127 Mio. Euro Umsatz, knapp 1000 Mitarbeiter

Ihrem Ururgroßvater Hans Goldschmidt sollten noch viele Kindeskinder auf Knien danken. 1895 meldete er ein chemisches Verfahren zum Patent an, das noch heute führend am Weltmarkt ist. Denn: Schienen werden beim Eisenbahnbau am Stück angeliefert, der Bahnreisende soll aber auch bei hohem Tempo kein Ratatata spüren, wenn eine neue Schiene angesetzt wurde. Das Leipziger Unternehmen Goldschmidt Thermit bietet dafür seit 120 Jahren die Lösung, nämlich Blecheimer oder Portionspäckchen in DIN-A 4-Größe, in denen sich viele dunkelgraue mit wenigen weißen Körnchen mischen – das sogenannte Thermit. Mit dieser Eisen-Aluminium-Mischung lassen sich Schienen verbinden, indem sie nicht geschweißt, sondern in einer Hohlform vergossen werden. Beide Enden werden erhitzt, das Granulat von oben hinzugefügt, und bei bis zu 3000 Grad verschmelzen die Enden nahtlos. 2014 geschah das weltweit rund 1,5 Millionen Mal.

Hans-Jürgen Mundinger, Chef der Goldschmidt Thermit mit Sitz in Halle und Leipzig:“Als gebürtiger Baden-Württemberger vom Bodensee und nun in Ostdeutschland arbeitend, habe ich beide Wahlergebnisse mit Spannung verfolgt. Für mich hat heute unabhängig von allen Parteien die Demokratie gewonnen: Die Menschen interessieren sich wieder mehr für Politik, die Wahlbeteiligung ist gestiegen.  Über Jahrzehnte haben drei oder vier Parteien die Regierungen unter sich ausgemacht, nun sind es bis zu sechs Parteien. Das finde ich grundsätzlich einen Gewinn. Den hohen Wahlerfolg der AfD, besonders in Sachsen-Anhalt, muss eine Demokratie aushalten. Aber ich würde nicht meinen Kopf dafür geben, dass das klappt. Doch die rund 15 Prozent der AfD in BaWü, dem Land der Liberalen, schocken mich noch mehr als die 24 Prozent in Sachsen Anhalt. Vermutlich sind es in BaWü eher Protestwähler, in Ostdeutschland sind viele Wähler grundsätzlich pessimistisch. Die CDU hat es nicht vermocht, das zu ändern, sie war unentschlossen und selbst zu pessimistisch. Der Erfolg der AfD könnte für die Wirtschaft noch schwierig werden. Großkonzerne oder internationale Unternehmen womöglich Ansiedlungen in Sachsen und Sachsen Anhalt meiden und stattdessen zum Beispiel nach Thüringen gehen. Der AfD-Erfolg erschüttert jetzt schon den Tourismus, dann würde er alle Industriesparten treffen. Es ist wichtig, dass die FDP wenigstens den Einzug ins Parlament schafft, das wäre dann eine Partei, die den Menschen Hoffnung geben kann.” Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

Der alte Goldschmidt erfand das Coca-Cola-Rezept seiner Branche. Nur das Unternehmen kennt die genaue Mischung, die Arbeit damit ist komplex und hochsicherheitsrelevant, aber sie sichert dem Konzern noch heute mehr als die Hälfte des Weltmarktes. Messgeräte und Seviceleistungen ergänzen mittlerweile das Programm.

Das chemische Know-how alleine hätte nicht gereicht, um als Unternehmer 120 Jahre zu überleben. Es liegt an der Gründerfamilie Goldschmidt, bei der klappt, was im Osten Deutschlands selten ist: Sie leitet das Unternehmen in vierter Generation. Mehr als 30 Familienmitglieder in Europa und Amerika bündeln ihre Anteile in einer Vermögensverwaltungsgesellschaft. Hans’ Ururneffe sitzt dem Aufsichtsrat vor.

Hans-Jürgen Mundinger sitzt heute der Geschäftsführung vor. Der Manager, zuvor bei vielen Westmaschinenbauern am Ruder, sagt: „Wir sind sehr glücklich mit dieser Familie. Sie hat Eisenbahn im Blut, hält mit hohem Einsatz zusammen und verlangt nicht, dass wir den ganzen Gewinn ausschütten.“ Er sagt es nicht, aber es schwingt mit: Die ticken so ganz anders als die Oetkers oder Haniels dieser Republik.

Das liegt an den schmerzhaften Erfahrungen der Goldschmidts. Während des Ersten Weltkriegs wurden alle Auslandsgesellschaften beschlagnahmt und enteignet. Aus einer der enteigneten Gesellschaften entstand ausgerechnet der auch heute noch größte Konkurrent auf dem Weltmarkt.

Familie Goldschmidt betrieb in den folgenden Jahren das Thermitgeschäft vom Werk Essen aus und übernahm 1922 das Werk Halle. 1946 griffen sich die DDR-Mächtigen das Werk bei Halle und erklärten es zum volkseigenen Betrieb Plastwerk. Goldschmidt baute derweil von Essen aus unverdrossen ein weltweites Firmennetz auf und bewahrte bis zur Wende über Jahrzehnte Geduld.

1990 kaufte die Familie einen Teil des beschlagnahmten Werks zurück und eröffnete soeben ein zentrales Forschungszentrum in Leipzig, wo auch die zentrale Holding der mehr als 20 Einzelunternehmen sitzt.

Von großen Unterschieden für Unternehmen in Ost und West mag der Ostchef aus dem Westen nichts mehr hören. Das sei längst vorbei. Kanzler Kohl habe sich nur in der Zeitachse vertan: Er habe Jahre mit Generationen verwechselt.

Grafe - Die Gründer aus dem Westen

Grafe Advanced Polymers: 20 Mio. Euro Umsatz 290 Mitarbeiter

Können vier Brüder wirklich gleichberechtigt und ohne alte Rechnungen zu begleichen ein Unternehmen leiten? „Und wie wir das können“, antwortet mit breiter Brust Matthias Grafe, Geschäftsführer des gleichnamigen Blankenhainer Farbpigmenteherstellers. „Was glauben Sie denn, wie wir uns schon als Kinder gekloppt haben? Wir sind unseren Wettbewerbern gerade deshalb überlegen, weil wir unsere unterschiedlichen Fähigkeiten schätzen, uns tief vertrauen und auch nach harten Auseinandersetzungen grummelnd wieder zusammenraufen.“ Das ist das eine. Das andere: Alle vier Westfalen wollten es 1991 ihrem Vater Clemens, einem Chemieunternehmer aus Rüthen im Kreis Soest, beweisen. Der produzierte sogenannte Kunststoff-Batches – Farbkonzentrate und Additive in Granulatform. Die Jungs wollten genauso erfolgreich wie er, ein Unternehmen managen können. Mindestens genauso erfolgreich.

Wegbereiter: Matthias Grafe wagte sich 1991 auf Neuland und gründete den gleichnamigen Kunststoffhersteller. (zum Vergrößern bitte anklicken) Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

1991 nutzte das Bruder-Quartett die Gunst und die Subventionen der Stunde. Sie suchten einen zentral gelegenen Standort auf den neuen Märkten in Ostdeutschland, entschieden sich auch wegen der Nähe zu Schott und Jenoptik für Jena und gründeten Grafe, das wie der Vater Kunststoff-Batches produziert. Heute gehört das Unternehmen zu den erfolgreichsten weltweit und hat sich in Blankenhain nahe Jena einen größeren Standort gegönnt.

„Wir profitierten damals von den vielen gut ausgebildeten Facharbeitern dieser Region, die nach der Wende neue Stellen suchten. Die waren technisch fit, gut in Mathe und Physik, nur beim Problemelösen durch Improvisieren haperte es“, erinnerte sich Grafe. Und zu improvisieren gab es in den ersten Jahren täglich.

Grafe profitierte aber auch von den staatlichen Subventionen. Trotzdem betrachtet sie der Chef Grafe höchst kritisch: „Ein sinnvoller Anschub, aber auf Dauer führen sie dazu, dass die Leistungsbereitschaft der Menschen sinkt.“

Heute steht das Unternehmen finanziell gut da. Für viele andere gilt das nicht. Das ist die Crux im Osten: Viele Unternehmen sind schon finanziell angeschlagen und ihre Kunden wollen deren Not für niedrige Preise nutzen. Nicht mit Grafe: „Wir setzen auf die besten Produkte, nicht die billigsten.“

Die attraktivsten Regionen für Fachkräfte

Einem Streit mit Kunden oder auch den kommunalen Politikern geht der kantige Westfale nicht aus dem Weg. Schließlich habe Grafe bewiesen, dass man auch in Ostdeutschland ein Unternehmen bei null gründen und seit mehr als 20 Jahren erfolgreich sein könne. Deshalb ärgert sich Grafe seit Neustem im Osten: „Ich verspüre einen Rückschritt in der Gesellschaft. Viele rufen immer häufiger nach dem Staat, fordern mehr Leitplanken für ihr Handeln. Die rot-rot-grüne Politik in Thüringen wird prompt gegenüber uns Unternehmern restriktiver.“ Warum gibt es denn aus seiner Sicht nur so wenig Unternehmer in Ostdeutschland? Für Grafe keine Frage: „40 Jahre wurde das Unternehmertum bekämpft. Wir brauchen mehr Leute mit dem festen Willen erfolgreich zu sein; mit Eigenverantwortung und auch Studenten mit mehr Antrieb.“

Harte Worte. Aber ausgesprochen von jemandem, der mit seinen Brüdern bewiesen hat, dass sich all diese Mühen lohnen.

Kjellberg - Die Stiftung

Kjellberg Finsterwalde: 164 Mio Euro Umsatz, 450 Mitarbeiter

Was für eine faszinierende Technik: Binnen Sekunden trennt der Lichtbogen eines Plasmaschneiders einen handgroßen Zahnkranz sauber aus einer massiven Stahlplatte. Im dem Finsterwalder Unternehmen Kjellberg fräst er sich sogar durch ein 16 Zentimeter dickes Werkstück.

Dieses Know-How machte das Unternehmen Kjellberg zu einem Weltmarktführer. Und dessen verschachtelte Historie nach der gescheiterten Privatisierung brachte den Betrieb 1997 in eine Gesellschafterform, die es nicht oft gibt in Ost-Deutschland. Das Unternehmen samt diverser Gesellschaften für Schweißelektroden, Schweißtechnik und Plasmaschneiden gehört zu 100 Prozent der Kjellberg-Stiftung und damit sich selber und unterliegt der Rechtsaufsicht des Landes Hessen.

Aus dem Herzen des Mittelstands
Die wirtschaftliche Elite Südwestfalens in den Räumlichkeiten der Trilux GmbH in Arnsberg Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Franz Rother Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Ralf Kersting Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Franz Müntefering Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Ein Teilnehmer des Weltmarktführer-Tages studiert die Tagungsunterlagen, die beim Empfang vergeben wurden. Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Tag der Weltmarktführer Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche
Katja Hofem Quelle: Jörn Wolter für WirtschaftsWoche

Der Stiftungszweck ist die Erforschung innovativer Materialbearbeitung, der Einsatz technischer Errungenschaften für den sozialen Fortschritt, die gemeinsame Verhinderung des Missbrauchs wirtschaftlicher Macht und die Strukturförderung der Niederlausitz, in der das Unternehmen sitzt. Diese Mixtur gibt es noch seltener als Stiftungen.

Zu DDR-Zeiten war das Unternehmen noch bis 1986 im Besitz eines schwedischen Konzerns, erst dann kaufte die DDR den Betrieb. Nach der Wende gab es mehrere Interessenten, Geschäftsführer Carsten Trentau ist nicht gut darauf zu sprechen: „Der Käufer wollte das Unternehmen mit diversen Winkelzügen zerlegen.“ 1997 wird stattdessen die Stiftung gegründet, die alle Anteile an dem margenstarken Unternehmen hält.

Und genau sie sei der Grund, warum Kjellberg, in der strukturschwachen Lausitz ansässig, so innovativ sei, sagt Trentau. „Wir können überdurchschnittlich viel Geld in Forschung und Entwicklung investieren, weil die Stiftung nicht wie ein privater Eigentümer Gewinne entnimmt. So können wir in der Zukunft noch stärker Grundlagenforschung betreiben“. Ein Luxus, andere Unternehmen investieren zu Gunsten des schnellen Nutzens lieber anwendungsorientiert. Aber gerade Grundlagenforschung hält Kjelleberg für eine Grundvoraussetzung, um sich mit Innovationen die Konkurrenz und Plagiatoren vom Hals zu halten. „China ist nicht keine Bedrohung“, drück es Trentau aus.

Aber Kjellberg kämpft zugleich mit einem Problem, das im Osten von Jahr zu Jahr größer wird: dem Mangel an Facharbeitern und Ingenieuren. Mehr als eine Stunde dauert die Anfahrt aus Dresden, Leipzig und Magdeburg noch länger. Kjellberg aber braucht dringend gut ausgebildete Mitarbeiter vom Mechatroniker bis zum Physiker. Also führen sie schon Schüler durchs Haus, betreuen studentische Diplomarbeiten, ködern mit Stipendien - ganz so wie die Weltmarktführer in Westdeutschland.

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