Anders gesagt: Die Digitalisierung der Arbeit wird von der Politik vertagt. Und so halten sich hartnäckig vor allem Mythen über die Arbeitswelt der Zukunft:
Mythos 1: Mehr Flexibilität macht Angestellte freier
Immer wenn ein neuer Monat beginnt, geht für Georgia Palmer die Planung los. Die 26-Jährige arbeitet als Kurierfahrerin für Foodora. Dort kann sie flexibel neben dem Studium arbeiten. 9,50 Euro bekommt sie für jede Stunde, in der sie auf dem Fahrrad Essenslieferungen ausfährt. Sie muss dafür weder in ein Büro gehen, noch muss sie einen Stundensoll erfüllen.
Tipps für digitale Nomaden
Die Community ist groß. Neben Tipps zu Jobs und Reiseländern, bietet sich deshalb auch die Arbeit in einem Coworking Space an. Andere digitale Nomaden können hier als eine Art Kollege fungieren und als Ratschlaggeber zur Seite stehen. Oftmals entstehen darüber auch Möglichkeiten des Zusammenarbeitens; Jobangebote werden innerhalb der Community verteilt.
Während für die einen das perfekte Konzept „Reisen und arbeiten von überall auf der Welt“ ist, kann für Andere der Aspekt „rein über die eigene Zeit verfügen“ entscheidender sein. Wer reisen will sollte zudem dem Aspekt des Reisens als Zweite Priorität setzen, da das Geld auch erst einmal verdient werden muss.
Ähnlich wie bei ortsgebundenen Selbständigen muss das Business erfolgreich sein, um Geld zu verdienen. Ohne Auftragsgeber und Kundenakquise kann man selbst an den günstigen Orten der Welt nicht überleben.
Nicht zu unterschätzen ist ebenso der Arbeitsaufwand, der am Beginn des Digitalen Nomaden Seins sehr groß ist, da man sich viele Dinge erst aneignen muss.
Auch Offenheit, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind Eigenschaften, die für einen Digitalen Nomaden unerlässlich sind. Erfolg stellt sich oft nicht mit der ersten Geschäftsidee ein.
Der Arbeitsplan wird per Algorithmus zugeteilt. Zwar können die Fahrer Wunsch-Schichten angeben, doch wer wann arbeitet, das ist unklar. „Ich weiß nie, wie viel ich arbeiten werde und wie viel Geld ich damit verdienen kann. Oft bekomme ich nicht genug Schichten zugeteilt und versuche dann mit anderen Fahrerinnen zu tauschen“, sagt sie. Darunter leidet vor allem das Privatleben.
Denn sobald der neue Einsatzplan kommt, muss sie das restliche Leben drumherum basteln. Nachmittage, an denen sie arbeiten wollte, werden plötzlich zur Leerlauf-Zeiten. Andere Verabredungen muss sie absagen, weil der Algorithmus das so will.
Am meisten ärgert die Studentin jedoch, dass all diese Organisation in ihrer Freizeit stattfindet. „Ich muss mich permanent darum kümmern, für das Unternehmen eingesetzt werden zu können. Das passiert nebenher und kostenlos“, sagt sie. Und jedes Mal, wenn sie die Termine in ihrem Kalender für die Arbeit umdisponiert, denkt die moderne Arbeiterin: Freiheit sieht anders aus.
Mythos 2: Je weniger Chefs, desto besser
Was Angestellte wollen ist eindeutig: 80 Prozent aller Fachkräfte in Deutschland wünschen sich flache Hierachien. Wie die Unternehmensberatung Kienbaum ermittelt, ist das auch gut begründet. 61 Prozent der Firmen, die mit wenigen Hierarchieebenen auskommen, sind aus Sicht ihrer Mitarbeiter besonders innovativ.
Doch die Studie zeigt auch, was dazugehören muss. So wünschen sich zwei Drittel aller Angestellten zumindest eine Führungskraft, die die Richtung vorgibt. Das heißt: Flache Hierarchien funktionieren als Struktur für Innovationen nur so lange klar ist, wohin es gehen soll. Es sollte zumindest jemanden geben, der Ziele vorgibt. Auf dem Lösungsweg kommen die Mitarbeiter dann auch ohne Chef aus. Und dabei werden sie erfinderisch.
Als Nicolaj Armbrust alle Hierarchien abschaffte, wollte er sein Unternehmen retten, eine Online-Vermittlungsplattform für Ferienwohnungen. Innerhalb weniger Jahre wuchs das Drei-Mitarbeiter-Start-up zum 100-Mann-Betrieb heran. Jede Entwicklungsstufe brachte mehr Struktur in Armbrusts Unternehmen. Vor zwei Jahren entschied er daher, aller Führungspositionen abzuschaffen. Inklusive seiner eigenen.
Knigge für das Großraumbüro
Im Großraumbüro sitzen die Menschen selten freiwillig zusammen oder weil sie sich besonders sympathisch sind – sondern, weil sie es müssen. Deshalb ist es wichtig, den Abstand zur Intimsphäre der Kollegen zu wahren. Der beträgt rund 80 Zentimeter. Absolut tabu: Sich auf den Schreibtisch des Kollegen zu setzen.
Ob Windhund oder Mops: Rein rechtlich liegt es in der Hand des Arbeitgebers, ob ein Hund im Büro erlaubt ist oder nicht. Studien belegen, dass die Anwesenheit von Hunden das kollegiale Klima befördert und das Wohlbefinden der Mitarbeiter fördert. Einerseits. Doch Hunde haben nicht nur weiches Fell und lassen sich ohne Unterlass streicheln – sie bellen schon mal und riechen auch nicht immer angenehm. Wen das stört oder wer gar unter Hundehaarallergie leidet, sollte den Kollegen darauf aufmerksam machen. Und zur Not auch den Chef mit ins Boot holen.
In fast jedem sozialen Gefüge gibt es besondere Charaktere, die einen besonderen Umgang erfordern – zum Beispiel Choleriker. Das Tückische: Der Ausbruch kommt oft völlig unerwartet. Ist es dann so weit, sollte man nicht noch Feuer ins Öl gießen. „Spielen Sie den Anlass nicht herunter, aber geben Sie auch nicht zu stark Kontra“, rät Knigge-Experte Horst Hanisch. Etwa indem man dem unreifen Schreihals zumindest in einigen Punkten recht gibt.
Einmal akzeptiert, gibt es keinen Weg zurück: Wer sich aufs Duzen einlässt, kann es nur sehr schwer rückgängig machen. Deshalb sollte man sich genau überlegen, wie nah man Kollegen verbal kommt. Wer deutlich macht, lieber erst mal beim Sie bleiben zu wollen, begeht keinen Fauxpas. Eine vorläufige Absage impliziert nämlich auch, dass sich das künftig noch ändern kann.
Ob Döner mit Knoblauchsoße, Schnitzel mit Pommes oder eine Stulle mit Leberwurst: Nahrungsmittel haben am Arbeitsplatz grundsätzlich nichts zu suchen. Und das nicht nur aus hygienischen Gründen: Das Mittagessen am Schreibtisch einzunehmen ist schlicht ungesund.
Wegen eines lockeren Spruchs sollte das Bürogefüge nicht gleich ins Wanken geraten. Aber nicht jeder Kollege kann mit flapsigen Bemerkungen umgehen. Also lieber eine Pointe zu wenig als eine zu viel.
Egal, ob der Kollege nebenan viel und laut telefoniert oder die Kollegin hinten links einen penetranten Klingelton eingestellt hat: Der Geräuschpegel ist Dauerstreitpunkt im Großraumbüro. Kleiner Trick, große Wirkung: Bitten Sie die Kollegen Bescheid zu sagen, wenn ein langes Telefonat ansteht – und kündigen an, das Büro während dieser Zeit zu verlassen. Dann sollte er merken, dass es Sie stört.
Jeder Mitarbeiter sollte seinen Arbeitsplatz sauber halten – abgekaute Apfelreste oder eine Sammlung leerer Pfandflaschen sind im Büro tabu.
Sprechen Sie Kritik immer als Ich-Botschaft aus: „Ich bin gegen Kälte sehr empfindlich – vielleicht könntest du das Fenster wieder schließen?“ So fühlt sich der Kollege nicht persönlich angegriffen.
Dieses Thema führt häufig zu Konflikten – Väter und Mütter schulpflichtiger Kinder wollen meist gleichzeitig frei nehmen, kinderlose Kollegen müssen die Stellung halten. Da empfiehlt sich frühzeitige Planung – am besten hängen Sie einen großen Plan sichtbar im Büro auf, dann sind alle auf dem gleichen Stand.
Karneval, Oktoberfest oder Halloween: Ob zu solchen Anlässen gefeiert werden soll, lässt sich in größeren Büros selten einstimmig lösen. Wenn jemand verkleidet im Büro erscheint, ist das meist in Ordnung. Wer aber auf laute Karnevals- oder Blasmusik und das Fässchen Bier nicht verzichten mag, eckt schon mal an. Am besten vorher erkundigen, wie die Kollegen das in der Vergangenheit gehandhabt haben.
Auch wenn es nur eine Büroklammer ist: Sich etwas ungefragt vom Tisch des Kollegen zu leihen ist tabu. Auch schlecht: Sich munter am Kaffee zu bedienen, ohne sich finanziell zu beteiligen.
Ob kurzes Röckchen, knielange Shorts oder schulterfreies Oberteil: Wer sich vom Anblick nackter Haut gestört fühlt, sollte das ansprechen. Weisen Sie den Kollegen einfach höflich auf den Büro-Dresscode hin.
Ein Großraumbüro ist nichts anderes als eine große, sozial sensible Zone – da muss jeder Mitarbeiter auch mal schlucken, was ihn nervt. „Stört aber etwas so penetrant, dass die eigene Arbeit davon beeinträchtigt wird, muss es natürlich angesprochen werden“, sagt Knigge-Experte Horst Hanisch.
Kollegen, die immer alles besser wissen, gibt es in jeder Bürogemeinschaft. Wenn es Ihnen zu viel wird, müssen Sie den Kollegen ansprechen. Weisen Sie höflich darauf hin, dass Sie seinen Rat sehr zu schätzen wissen, aber ihre Arbeit machen müssen.
Sie haben den Kollegen schon gefühlte 20 Mal auf seine nervigen Privattelefonate angesprochen und trotzdem beschallt er das Büro täglich mit seinen Problemen? Suchen Sie den Kollegen erneut auf und machen Sie deutlich, dass Sie sich ja nicht beim Chef beschweren wollen, aber langsam wisse man einfach nicht weiter. Passiert wieder nichts, suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten.
Ein kurzes Gespräch mit dem Kollegen ist auch im Großraumbüro erlaubt – sollte es allerdings länger als ein paar Minuten dauern, ist es höflicher sich in die Küche oder einen Besprechungsraum zurückzuziehen.
Vom Rosenblüten-Raumspray bis zum Pausenbrot mit altem Gouda: Gerüche können so nerven wie die Lautstärke – jeder Kollege ist an anderer Stelle sensibel. Grundsätzlich sollten Sie auf Extreme verzichten – was den einen erfrischt, könnte der Büronachbar als unangenehm empfinden.
Jegliche Art von Bildern oder Sprüche mit sexistischen, politischen oder religiösen Motiven haben am Arbeitsplatz nichts zu suchen.
Frischluftfanatiker versus Heizkörperhocker – dieser Konflikt ist vermutlich genauso alt wie das Großraumbüro selbst. Da gibt’s nur eines: Miteinander reden und einen Kompromiss schließen.
Geben Sie ihren Kollegen immer erst die Chance, ihr Verhalten zu ändern. Direkt mit dem Gang zum Chef zu drohen schießt über das Ziel hinaus und wirkt auf Dauer unglaubwürdig.
Ob Einzelkemenate oder Massenbüro: Kranke Mitarbeiter sollten grundsätzlich zu Hause bleiben. Aber gerade im Großraumbüro kann ein mit Viren verseuchter Kollege verheerenden Schaden anrichten.
„Sprechen Sie Konflikte nicht im Eifer des Gefechtes an, sondern atmen Sie erst einmal tief durch und lassen Sie etwas Zeit vergehen“, sagt Knigge-Experte Hanisch. Suchen Sie das Gespräch an einem neutralen Ort, wie etwa der Kaffeeküche und nicht vor den anderen Kollegen.
Xenophobie – also die feindliche Einstellung gegenüber Fremden – hat im Großraum wirklich keinen Platz. Diese Kollegen sollten sich schleunigst ein Einzelbüro suchen.
Wenn der Kollege vor seinem Bildschirm regelmäßig einen Lachanfall bekommt oder das Video gar ohne Kopfhörer anschaut, sollten Sie das Gespräch suchen – am Arbeitsplatz hat das nichts verloren.
Der Schreibtisch sollte in erster Linie Arbeitsplatz sein und kein Ausstellungsort für Souvenirs, Porzellanpuppen oder andere Sammelleidenschaften. Grundsätzlich ist es positiv, wenn sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen, aber auch hier gilt: Die eigene Freiheit endet dort, wo die des Kollegen beginnt.
In den ersten Monaten nach der Umstellung waren die Mitarbeiter orientierungslos. Eine Handvoll Leute verließ die Firma; ihnen war die neue Freiheit zu anstrengend. Die Übrigen forderten Leitplanken. Armbrust reagierte erneut – und gibt nun wenigstens die strategischen Ziele vor. Den Weg dorthin überlässt er aber weiter seinen gleichberechtigten Mitarbeitern.
Kann es das tatsächlich geben: zu viel Freiheit im Berufsleben? Jedenfalls „mussten wir uns professionalisieren, um profitabel zu werden“, sagt Frauke von Polier, Personalchefin des Online-Modehändlers Zalando. Als das Unternehmen 2008 an den Start ging, herrschte praktisch Anarchie. Sie passte Prozesse, Abläufe und IT-Systeme an, organisierte die Buchhaltung, legte Hierarchien fest – brachte Ordnung in das Chaos. Am Ende war „die alte Start-up-Kultur, in der jeder mitmischen und sich selber seinen Platz suchen konnte, nicht mehr da“, sagt von Polier. Seither ist sie auf der Suche nach einer kulturellen Synthese aus Start-up und Old Economy: Jeder wird gehört, aber nicht zu jeder Zeit.