Pendeln Pendler haben keine Zeit für Sport

Sport hält gesund - aber wann sollen Tagespendler noch joggen oder Tennis spielen? Arbeitgeber sollten sportliche Aktivitäten ihrer Mitarbeiter tagsüber fördern.

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Das Arbeitsleben der Deutschen in Zahlen
Neben Österreich sind die Deutschen die „Frühaufsteher-Nation“. Quelle: obs
Ein Berufspendler geht am Donnerstag (29.06.2006) auf dem Weg zur Arbeit über eine Straßenkreuzung in Düsseldorf. Quelle: dpa
Laut der Studie der Michael Page Group nutzen sieben von zehn Arbeitnehmern in Deutschland das Auto oder das Motorrad, um zur Arbeit zu kommen Quelle: dpa
Kaffee trinken zwei Drittel (66 Prozent) der Angestellten in Deutschland auf der Arbeit bereits vor 8:30 Uhr. Quelle: dpa
Studenten arbeiten am Rande des "Großrechner-Gipfels" am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam an ihren Laptops Quelle: ZB
Das Symbol "Neue E-Mail-Nachricht" wird auf einem Computer Monitor angezeigt. Quelle: dpa
Menschen in einem Meeting telefonieren Quelle: Fotolia

Dienstreise nach Berlin. In dieser Sekunde beiße ich in einen Kinderriegel. Ein Milka Nussini habe ich auch schon intus. Immerhin gab es einen Salat zum Mittag. Dennoch ist meine Kalorienbilanz in diesem Jahr eine Katastrophe. Zu fett, zu süß, zu viel Brot und Butter. Wäre halb so wild, wenn ich – wie bis zum vergangenen Jahr – mindestens zweimal die Woche Sport machen würde. Aber wann? Und mit welcher Energie?

Als ich im Januar wieder mit dem Pendeln begann, standen schon Lauftermine bis zum Februar im Kalender. Ein detaillierter Trainingsplan war das, mit dem Ziel, im Mai einen Marathon zu laufen.

Diese Termine fielen dem neuen Leben als Erstes zum Opfer. Genauso wie regelmäßige Tennisduelle mit einem guten Kumpel. Wann sollten wir spielen? Abends wird es dunkel, morgens kümmere ich mich um meine drei Kinder oder sitze im Zug, und am Wochenende holt man nach, was unter der Woche liegen blieb. Flaschen zum Altglascontainer, Reinigung, Frisör.

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Das Fatale ist, dass ich mich daran gewöhnt habe. Ich vermisse den Sport kaum. Aus dem Marathon wurde schließlich ein Halbmarathon, und damit mein Scheitern nicht allzu sichtbar wurde, habe ich mich als Wasserträger meiner Frau ausgegeben (die genauso wenig Zeit hatte zur Vorbereitung).

Wenn ich mit meinem relativ luxuriösen Pendlerleben (Gleitzeit, Bahnfahrten im ICE, später Arbeitsbeginn) schon nicht zum Sport komme, wie geht es dann einem Bäckergesellen, der vom Land in die Stadt fährt und die Backstube auf- und zuschließen muss? Einem Bandarbeiter, der jeden Morgen im Stau steckt? Einer Verkäuferin, die von zehn bis 20 Uhr im Laden steht?

Für die meisten wird es nur einen Ausweg geben: Man muss einen Teil der Pendlerstrecke zum Sport nutzen. Ein Freund von mir lebt in Berlin und arbeitet in Potsdam. 20 Kilometer davon fährt er mit dem Rad, die andere Hälfte mit der S-Bahn. Diese kleine Anstrengung wird ihm viele Arztbesuche ersparen. Martin Halle, ärztlicher Direktor des Zentrums für Prävention und Sportmedizin an der TU München, hat einmal gesagt: "Drei- bis viermal wöchentlich 30 Minuten Rad fahren verlängert das Leben eines gesunden Menschen um bis zu zehn Jahre."

Die ganze Latte der Zivilisationskrankheiten – von Rückenschmerzen, Burnout und Kopfschmerzen bis hin zu Depressionen – verdoppelt oder verdreifacht sich für Pendler, die mindestens 30 Minuten am Tag für eine Strecke unterwegs sind. In Deutschland sind das derzeit über acht Millionen. Zahnarzttermine, Hausarztbesuche und Vorstellungen beim Dermatologen werden regelmäßig versäumt oder verschoben.

Die vergebliche Hatz zur U-Bahn

Es gibt sogar viel zitierte Studien, wonach Pendeln so anstrengend sein kann wie das Fliegen in einem Kampfjet. Kann das stimmen? Ich mache den Test. Mit meiner Pulsuhr verkabelt, bringe ich erst meine Tochter in den Kindergarten und versuche dann den nächsten Zug nach Hamburg zu erwischen.

In der Spitze schlug mein Herz 150 mal in der Minute. Das war in dem Moment, als ich der U-Bahn hinterherrannte und sie gerade nicht mehr bekam. Schon vorher lief mir der Schweiß den Nacken runter, denn die Tochter wollte trotz Regen lieber Kleid als Hose anziehen. Die Zeit bis zur Abfahrt tickte und tickte.

Bin ich nun anfälliger für einen Herzinfarkt? Das hängt vermutlich ganz davon ab, wie ich diesen Stress empfinde. Man kann die vergebliche Hatz zur U-Bahn sportlich nehmen oder innerlich kochen. Letzteres regt im Körper die Produktion von Cortisol an. Das kann im Dauerzustand dazu führen, dass die Hirnleistung sinkt und sich Magengeschwüre bilden. Wer hingegen mit einer gewissen Leichtigkeit unterwegs ist, dem können die Pulsausschläge sogar gut tun. Kurze Rennen zu Bus und Bahn sind der Gesundheit sogar förderlich.

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Viel wichtiger aber wäre es, wenn Arbeitgeber mal auf die Idee kämen, die sportlichen Aktivitäten ihrer Mitarbeiter tagsüber zu unterstützen. Das beginnt meist damit, ordentliche Duschen zur Verfügung zu stellen. In der ZEIT-Redaktion beispielsweise gibt es eine großzügige Kantine, in der morgens geschnittene Rohkost für Mitarbeiter bereitsteht, es gibt Einzelbüros für die Redakteure und dienstags eine Masseurin. Es gibt aber auch: die winzigste Dusche der Welt. Wer die Tür zu früh öffnet, steht halbnackt auf dem Flur des Feuilletons; wer sie zu spät öffnet, fühlt sich angesichts der Luftfeuchtigkeit von annähernd 100 Prozent wie im Regenwald. Höchstens eine Handvoll Redakteure soll dort je gesichtet worden sein.

Nächste Hürde: die Akzeptanz. Ein Arbeitsessen setzen die meisten auf die Spesenrechnung. Versuchen Sie das mal mit der Tennisstunde mit Ihrem Geschäftspartner.

Vielen Pendlern wird die Ignoranz der Arbeitgeber zum Verhängnis. Pendeln ist Privatsache. Mit der Folge, dass Sport Privatsache ist. Mit der Folge, dass Pendler weniger Sport treiben und häufiger krank sind als ihre Kollegen. Am Ende zahlt die Krankenkasse – und damit letztlich die Gesellschaft.

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