Deutsche Auktionshäuser Wie lange hält die Hausse am Kunstmarkt?

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Gute Geschäfte

Was soll’s. Die deutschen Mittelständler fühlen sich wohl in ihrer Nische, die Geschäfte gehen gut. Das Auktionsvolumen von Grisebach hat sich von 26,4 Millionen (2000) über 47,8 Millionen (2007) auf rund 56 Millionen Euro (2015) dynamisch entwickelt, auch über die schwierigen Krisenjahre hinweg. Analog zum Umsatz, sagt Geschäftsführerin Micaela Kapitzky, hat sich „auch die Zahl der Bieter seit 2000 mehr als verdoppelt“.

Das gleiche Bild bei Lempertz: Seit 30 Jahren, berichtet Henrik Hanstein, habe es „ständig steigende Umsätze“ gegeben, „allenfalls mal Stagnation“. Auf gut 26 Millionen Euro beziffert Hanstein die Erlöse des ersten Halbjahrs 2015 – ohne die Schmuckauktion Ende Juli in Monte Carlo, die noch einmal 9,1 Millionen Euro erbrachte. Auch Robert Ketterer, Inhaber des Münchner Auktionshauses, spricht von einer „stabilen Wertentwicklung“. Ketterer hat eine „Delle“ wahrgenommen Anfang der Neunzigerjahre, als er das Haus mitten in der Kuwaitkrise von seinem Vater übernahm. „Seitdem sind wir kontinuierlich besser geworden“, so Ketterer – vor allem durch eine Konzentration des Angebots auf klassische Moderne und Gegenwartskunst.

Auch in der Dotcom-Krise 2001, als die Objektakquise „extrem schwierig“ wurde, weil sich die Sammler mangels alternativer Wertanlage nicht von ihren Stücken trennen wollten, habe Ketterer „einen starken Aufschwung genommen“. Und in der Finanzkrise seien die Preise „durch die Decke gegangen“. Ketterer verbuchte mit Bildern von Emil Nolde und Max Pechstein Rekordzuschläge von 2,5 und 3,5 Millionen Euro. Grisebach erlöste für die Rüstungsphantasien von Adolph Menzel 3,3 Millionen.

Der geheime Kunstschatz der WestLB-Nachfolgerin
"Gartenbild" von August Macke Quelle: Creative Commons
Andy-Warhol-Kunstwerke Quelle: AP
Ansicht Konstantinopels von Paul Signac Quelle: Creative Commons
Stierlitographie von Pablo Picasso aus einer anderen Sammlung Quelle: dpa Picture-Alliance
Dreiergruppe von Säulen von Max Bill Quelle: Creative Commons
Joseph Beus Quelle: dpa
Hilla Becher (l.) und Bernd Becher im Museum K21 in Düsseldorf Quelle: dpa-dpaweb

Die Gründe für die anhaltende Hausse des Kunstmarkts sind komplex. Neben den individualpsychologischen Motiven – Distinktionsbedürfnis und Wunsch nach Selbstauszeichnung – spielt eine ganze Reihe von neuen Aspekten eine Rolle, die soziologisch noch nicht aufgeschlüsselt sind, sich aber wechselseitig bedingen und verstärken: erstens die schiere Ubiquität von zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum, auf Messen und Kunstbiennalen, in Galerien und immer neuen (Privat-)Museen.

Zweitens die scheinbare Transparenz des Kunsthandels, die Sichtbarkeit und Vergleichbarkeit von Künstlern, Werken und Preisen im Internet. Drittens die Objektivität von Auktionsergebnissen: Sie sind der „öffentliche Beweis“, sagt Grisebach-Geschäftsführer Florian Illies, „dass ein bestimmtes Kunstwerk einen bestimmten Marktpreis hat“. Viertens schließlich die „Demokratisierung“ des Auktionsgeschäfts durch den gezielten Abbau von Schwellenängsten sowie durch laufend neue Angebote für Inhaber schmalerer Portemonnaies (Lithografien, Editionen) und verbreiteter Spezialinteressen (Fotografie).

Die Museen mit den meisten Besuchern weltweit (in Millionen)

Christiane Lange, Direktorin der Stuttgarter Staatsgalerie, rechnete zuletzt der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vor, dass seit 1990 allein in Deutschland 700 neue Kunstmuseen eröffnet und weltweit 105 Biennalen gegründet wurden. Die großen Stelldicheins der Branche von Kassel bis Venedig und die etablierten Sammlermessen in Basel oder Köln werden in Berlin, München und Hamburg rund ums Jahr ergänzt von „Gallery-Weekends“, „Stroke“-Tagen und „Affordable Art Fairs“, die das Geschäft sprichwörtlich auf die Straße bringen.

Sei es die Hoffnung des Entdeckers auf den nächsten Jeff Koons, sei es das Interesse des Narziss am Unikat, sei es das Gefühl, zur gesellschaftlichen Avantgarde zu gehören, oder auch nur der Wunsch, eine Weißwandlücke hinter dem Esstisch zu schließen – der norwegische Anwalt, Abenteurer und Sammler Erling Kagge hat im Frühjahr mit „A Poor Collector’s Guide to Buying Great Art“ das Buch zum Trend geschrieben.

Ein wichtiger Treiber der Entwicklung (auch im eigenen Interesse) sind kaufkräftige Sammler, die wortwörtlich zeigen, wie es geht. Sie haben Deutschland mit einem engmaschigen Netz aus Privatmuseen überzogen: Christian Boros (Berlin) und Viktor Langen (Neuss), Hans Grothe und Ulrich Ströher (Duisburg), Reinhold Würth (Künzelsau) und Frieder Burda (Baden-Baden). Die Werke vieler Künstler, die dort ausgestellt sind, waren noch vor wenigen Jahrzehnten preiswert-exklusive Einrichtungsgegenstände für eine hippe Vor-Ort-Szene; sie haben erst durch Wiedererkennbarkeit und Variation, Verbreitung und Zirkulation an Marktwert gewonnen.

Heute sind Anselm Kiefer, Markus Lüpertz, Gerhard Richter, Arnulf Rainer oder Georg Baselitz schwindelerregend teure Klassiker, die jeder haben will. Schlüsselwerke der besonders nachgefragten Zero-Künstler Günther Uecker, Otto Piene und Heinz Mack sind nicht mehr unter 200.000 Euro zu haben.

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