Florian Illies „Wie bei Snapchat und Instagram“

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"Das 19. Jahrhundert wird immer wichtiger"

Apropos Preise. Wieviel Umsatz machen Sie mit dem 19. Jahrhundert?

Zuletzt 6 Millionen Euro. Also etwa 10, 15 Prozent des Gesamtumsatz.

Viel ist das nicht.

Na, Sie haben ja Ansprüche! Wir sind jetzt 5 Jahre nach der Gründung der Sparte klarer Marktführer für das 19. Jahrhundert in Deutschland. Eine Öl-Studie, die vor fünf Jahren 1000 Euro kostete, bringt heute womöglich 10.000. Das 19. Jahrhundert wird immer wichtiger, nicht zuletzt, weil wir damit mögliche Rückgänge auf anderen Märkten ausgleichen können. Wir freuen uns über unser Angebot der klassischen Moderne in der Auktion am 1. Dezember: Das ist der Hauptumsatztreiber und Teil der von Bernd Schultz geschaffenen DNA von Grisebach. Der Nolde-Sammler muss wissen, dass er bei uns die besten Nolde-Bilder bekommen kann. Zugleich müssen wir tatkräftig darauf hinarbeiten, dass in fünf Jahren die Zeitgenossen mit den Klassikern gleichziehen werden. Und das sieht sehr gut aus. Der Geschmack ist im Wandel begriffen, und wir mit ihm. 

Wie nehmen Sie Einfluss auf den Geschmack? Wie erzieht ein Auktionshaus seine Kundschaft

Wir versuchen es, indem wir etwa bei den Abendauktionen neben prominenten Expressionisten den bislang viel weniger prominenten Konstruktivisten Walter Dexel platzieren. Durch die Nachbarschaft zu einem Millionen-Los wird Dexel natürlich geadelt – zuletzt sehr erfolgreich. Jetzt kosten seine besten Bilder genauso viel. Für das 19. Jahrhundert haben wir von Beginn an versucht, den Publikumsgeschmack mit zu formen, etwa indem wir streng selektiert haben und eben nicht jeden Achenbach oder Koester oder Lenbach in die Auktion nehmen. Mein Kollege Markus Krause, der die klassische Moderne verantwortet, nennt das „Arbeit am Kanon“. Die macht uns viel Freude. 

Der Künstler Christo verhüllt einen Steg auf dem italienischen Iseosee. Dabei verlässt er sich auf echte deutsche Ingenieurskunst: Die Stoffe kommen vom westfälischen Unternehmen Setex.
von Lin Freitag

Sie kuratieren die Auktionen?

Ja, wir versuchen das, auch um uns von unseren Mitbewerbern zu unterscheiden, aber man darf’s nicht übertreiben. Es muss sich rechnen. Ein Auktionshaus ist kein Museum, sondern ein Wirtschaftsunternehmen. Jeder Katalog ist vor allem eine wunderbare Collage aus Zufällen.

Vom kommenden Jahr an übernehmen Sie mit Micaela Kapitzky die Leitung des Auktionshauses. Dann sind Sie neben dem 19. Jahrhundert auch für die zeitgenössische Kunst zuständig. Welche Trends sehen Sie?

Dafür muss man kein Prophet sein: Nach der Zero-Welle werden jetzt die Sechzigerjahre dran sein, dann der „German Pop“, auch die Neuen Wilden, die Siebziger-, Achtzigerjahre werden wiederkommen. Da ist viel passiert in Deutschland, und wir wachsen in diesem Bereich sehr stark. Die Villa Grisebach versteht sich als Haus der deutschen Kunst, von Caspar David Friedrich bis Günther Förg. Und wie Sie sehen, beißt sich das gar nicht. Im Gegenteil: Es macht uns Spaß, wenn die Qualität stimmt, alle Zeiten zu inszenieren und neu zu kombinieren. Ich freue mich jedenfalls, dass das aufregende 19. Jahrhundert wieder ein selbstverständlicher Teil der Kunstgeschichte geworden ist. Und wer weiß: Vielleicht hängt in zehn, 15 Jahren ein Menzel oder Max Klinger im Kanzleramt – und konkurriert dann dort mit Kirchner und Polke und Fruhtrunk um die ästhetische Deutungshoheit, das sind doch herrliche Aussichten.

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