Schon seit einigen Tagen werde ich mit Werbung zu dieser „Volksaktie“ zugeschüttet, dennoch bin ich immer noch skeptisch an diesem Novembertag. Befreundete Banker aber sagen mir: „Das Ding wird ein Erfolg.“ Das Ding ist die T-Aktie. Es sind noch fünf Minuten bis zum Ende der Zeichnungsfrist, als ich die Aktie zeichne. Was ich noch eine Woche zuvor für unmöglich gehalten habe, ist nun passiert: Ich steige als Aktionär bei der Deutschen Telekom ein.
Ausgerechnet der Telekom, gerade erst aus den Fängen der Politik entlassener Beamtenladen mit mäßiger Dynamik und zweifelhaften Erfolgsaussichten. Aber wenn alle dabei sind, bin auch ich eben dabei. 1425 D-Mark investiere ich in das Papier.
So beginnt am 18. November 1996 eine Geschichte, die bis heute nicht nur die damalige Skepsis bestätigen, sondern auch ungeahnte Kreise ziehen sollte. Es ist die Geschichte vom Börsengang eines ehemaligen Staatskonzerns, der nicht nur einfach an die Börse gehen, sondern zugleich auch aus den Deutschen, einem Volk der Sparer, ein Volk der aufgeklärten Anleger machen sollte. „Volksaktie“ nannten sie die Telekom-Aktie deswegen damals und hofften in Politik und Wirtschaft, dass das Papier aus Bonn den Deutschen endlich beibrächte, ihr Geld nicht mehr nur auf Sparbücher und Tagesgeldkonten zu tragen, in Lebensversicherungen und Bausparverträge zu stecken, sondern es auch der Börse anzuvertrauen.
Ausgerechnet die Telekom, ein träger Staatskonzern mit schwachen Kennziffern und ungewisser Perspektive sollte das leisten. Heute, 20 Jahre später, weiß man: Daraus wurde nicht nur nichts. Die Folgen der überfrachteten Erwartungen für das Verhältnis der Deutschen zum Geld sind verheerend. Weil sich von Ende 1999 bis heute der Börsenwert der Telekom um 150 Milliarden Euro verringert hat. Weil diese Verluste bis heute die Gerichte beschäftigen.
Und weil Erwartungen geweckt wurden, die viele börsennotierte Unternehmen regelmäßig erfüllen, ausgerechnet die Telekom aber nicht erfüllen konnte. So sucht sich das Kapital einst risikobereiter Anleger bis heute einen anderen Weg; meist wird es scheu versteckt.
Am 18. November 1996 ist es das Ereignis. Der T-Aktien-Börsengang wird in Frankfurt gefeiert. 713,7 Millionen Aktien bringt die Telekom beim ersten Gang an die Börse unter die Leute. Die Emission ist fünffach überzeichnet. 1,9 Millionen deutsche Privatanleger kaufen die T-Aktie, 650.000 investierten erstmals überhaupt Kapital in Aktien. Der offizielle Ausgabepreis beläuft sich auf umgerechnet 14,57 Euro. Bei Einhaltung spezieller Bedingungen können Privatanleger in Deutschland T-Aktien zu einem ermäßigten Preis von 14,32 Euro erwerben. Zehn Milliarden Euro frisches Kapital nimmt die Telekom so ein.
Der Kurs legt um bis zu 16,5 Prozent zu, an diesem Freitag alleine. Ohne Verzögerung stürmt die Telekom auch in den Leitindex Dax. Erstmals übersteigt der Marktwert aller an deutschen Börsen notierten Aktien die Grenze von 1000 Milliarden D-Mark. Alle jubeln. Ich aber bleibe skeptisch und steige schon am Morgen aus, mache 14 Prozent plus. 14 Prozent mit diesem Papier an einem Tag, ich kann es nicht fassen.
Und so startete Deutschland in ein börsenverliebtes halbes Jahrzehnt. Die Zahl an Aktionären schnellte ebenso wie die Zahl an börsennotierten Unternehmen nach oben. Waren zu Beginn des für Aktionäre goldenen Jahrzehnts gut 400 deutsche AGs auf den Kurszetteln, standen dort Ende 1996 schon um die 700, vier Jahre später dann mehr als 1000. Und mit der Zahl der an der Börse aktiven Unternehmen stieg auch die Zahl der dort aktiven Deutschen: In der Spitze hielten fast zehn Prozent im Alter über 14 Jahren oder 6,2 Millionen Privatanleger direkt Aktien, derzeit sind es wieder weniger als sieben Prozent.