Börsengang Sieben Gründe, Facebook nicht zu kaufen

Es ist der Börsengang des Jahrhunderts: bis zu 14,8 Milliarden Dollar Einnahmen, mehr als 100 Milliarden Dollar Börsenwert. Investoren reißen sich um die Aktie. Doch für Anleger gibt es sieben Gründe, die Papiere nicht zu kaufen. Und einen guten Grund, der dafür spricht.

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Facebook-Netzwerk

Hamburg, Rödingsmarkt. Neben dem Starbucks-Café geht es rechts durch eine Glastür zwei Treppen hoch, durch einen engen Gang in ein Großraumbüro, ganz ohne Vorzimmer. Auf 120 Quadratmetern, vollgestellt mit Tischen und Flachdisplays, sitzt ein Dutzend junger Männer und Frauen, viele mit Headset auf dem Kopf und einem Kaffeebecher vor sich. Es ist erstaunlich still.

Eine Szenerie wie bei einem Startup, das entweder gerade richtig loslegt – oder schon wieder abgewickelt wird. Doch dem ist nicht so: Der spartanische Großraum beherbergt die Deutschlandzentrale von Facebook. Von hier wird, unterstützt von der Europazentrale in Dublin und dem Hauptquartier im kalifornischen Menlo Park, mit einer winzigen Belegschaft der größte und wichtigste Internet-Markt des Kontinents betreut – oder, besser: als Marktführer für soziale Netzwerke beherrscht.

Wenig ist hier zu spüren vom Hype, den Facebook-Chef Mark Zuckerberg gerade an der Wall Street im fernen New York auslöst. In der abgelaufenen Woche gaben sich dort milliardenschwere Investoren die Klinke in die Hand, um dem 27-Jährigen zu lauschen. Zuckerberg, mit Kapuzenpulli, Jeans und Sneakers bekleidet, verkaufte ihnen seine Story.

Das IPO des Jahrhunderts

Die Story vom Wachstum des weltweit führenden sozialen Netzwerks, die Anleger dazu bewegen soll, dem nur acht Jahre alten Unternehmen zum Börsengang (IPO) am 18. Mai einen Marktwert von bis zu 104,2 Milliarden Dollar zuzuerkennen. Auch wenn es 10 oder 20 Milliarden weniger würden: Es ist das IPO des Jahrhunderts. Nie zuvor wurde ein Börsenneuling nur annähernd so hoch bewertet.

Voraussichtlich am kommenden Freitag, so der Plan, geht das größte soziale Netzwerk der Welt unter dem Kürzel „FB“ an die Technologiebörse Nasdaq. Facebook wird seine Gründer, seine frühen Investoren und Vorstandsfrau Sheryl Sandberg aus dem Stand zu Milliardären machen und viele seiner weltweit 3500 Mitarbeiter zu Aktienmillionären – wahrscheinlich auch einige der jungen Leute vom Hamburger Rödingsmarkt.

Google billig, Facebook teuer 
Bei den wichtigsten Kennzahlen hinkt der Börsen-Newcomer der Konkurrenz hinterher, einzig das Wachstum der vergangenen Jahre kann bisher überzeugen. Doch Facebook wuchs von niedrigem Niveau aus, weiter oben wird die Luft dünner. 
UnternehmenKurs Börsenwert U.-wert1 Umsatz 2012U.-wert zu
Umsatz 2012 
Umsatzplus
'09 bis '13 (p.a.) 
Amazon220,95 $99,3 Mrd. $93,6 Mrd. $63,4 Mrd. $

1,5

35 %
Apple583,09 $525,2 Mrd. $415,1 Mrd. $162,4 Mrd. $3,240 %
Ebay39,57 $51,1 Mrd. $47,3 Mrd. $14,0 Mrd. $3,417 %
Google604,03 $196,6 Mrd. $151,8 Mrd. $45,5 Mrd. $3,324 %
Facebook38,003 $106,34 Mrd. $95,4 Mrd. $5,0 Mrd. $19,1
71 %
UnternehmenGewinn
(netto 2012)

KGV

2012/13 

Gewinnplus p.a.
'09 bis '13
Marge
(netto 2012)
Op. Cashflow 2011Börsenwert zu Cashflow 2011 Chance/ Risiko2
Amazon0,6 Mrd. $

184,5/84,4

17 %

0,9 %

3,9 Mrd. $

25

6/6
Apple43,8 Mrd. $

12,0/10,5

58 %

27,0 %

37,5 Mrd. $146/5
Ebay2,5 Mrd. $20,4/17,513 %17,8 %3,3 Mrd. $155/5
Google12,5 Mrd. $

15,7/13,2

24 %

26,6 %

14,6 Mrd. $136/4
Facebook1,0 Mrd. $

106,3/59,4

95 %

25,5 %

1,5 Mrd. $

68,4

5/7
grün = relativ günstige Bewertungskennziffer, rot = relativ hohe Bewertungskennziffer; 1 Börsenwert minus Nettoliquidität; 2 1 = niedrig, 10 = hoch; 3 Emissionspreis am oberen Ende der Spanne; 4 Bewertung bei 38 Dollar je Aktie inklusive ausstehender Aktienoptionen und noch auszugebender Aktien für die Übernahme von Instagram; 5 Börsenwert minus aktuelle Nettoliquidität minus 6,8 Milliarden Dollar Einnahmen aus dem IPO (Zufluss, der Facebook zusteht bei Vollzuteilung inklusive Mehrzuteilung); Zahlen von 2012 an: Analystenschätzungen; Zahlen teilweise gerundet; Quelle: Bloomberg, Value Line, JP Morgan, eigene Berechnungen

FB soll Aktionäre reich machen

Die Gewinner des Facebook-Börsengangs
Peter Thiel ist bekannt für seine verrückten Investmentideen. Quelle: REUTERS
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg Quelle: dapd
Dustin Moskovitz Quelle: dapd
Facebook-Managerin Sheryl Sandberg Quelle: REUTERS
Napster-Gründer Sean Parker Quelle: AP
Internet-Invester Yuri Milner Quelle:
Accel Partners & James BreyerZusammen mit der Investmentfirma Accel Partners war James Breyer (r.) einer der ersten Geldgeber Facebooks: 12,7 Millionen Dollar investierten die Partner 2005 in das soziale Netzwerk. Mit 201,34 Millionen Aktien hat sich dieses Investment auf jeden Fall gelohnt. Zum Börsengang planen die Geldgeber jetzt 38,2 Millionen Aktien davon zu verkaufen – und würden damit 1,34 Milliarden Dollar einstreichen. Quelle: dapd

Aktien für bis zu 14,7 Milliarden Dollar sollen verkauft werden. Rund die Hälfte des Erlöses bekommt Facebook, die andere Hälfte kassieren Risikokapitalfonds, Hedgefonds, Vehikel der Investmentbank Goldman Sachs, die russische Mail.ru und Einzelinvestoren wie der Deutsch-Amerikaner Peter Thiel – und natürlich Zuckerberg selbst. Der will damit vor allem Steuern bezahlen. Facebook dürfte seine Milliarden in den Aufkauf von Technologieunternehmen und den Aufbau von neuen Diensten stecken.

Die ersten Aktien, die auch Zuckerberg bekam, wurden zu sechs Cent ausgegeben. An die Mitarbeiter verteilte Papiere kommen in die Gewinnzone, wenn der Facebook-Kurs über 94 Cent liegt. Daran dürfte es nicht scheitern: Facebook bietet die Aktien in einer Spanne von 34 bis 38 Dollar an. Früheinsteiger, die in der Gründungsphase investierten, fahren Fabelrenditen ein. Peter Thiel etwa, der Facebook einst mit 500.000 Dollar stützte, erhält nun eine Verzinsung auf sein Kapital von 700.000 Prozent.

Und es könnte noch mehr werden. Denn die Facebook-Aktie dürfte zum Börsenstart wegen der sehr hohen Nachfrage in den USA gleich deutlich zulegen. Fragt sich nur, wann und ob deutsche Privatanleger, die das Papier nicht zeichnen können, an der Börse noch zuschlagen sollten.

Optimisten erwarten, dass mit Facebook in den nächsten Jahren ein neuer Online-Gigant entsteht, wie Google, Ebay oder Amazon, ein Riese, der mit fast monopolähnlicher Macht seine Märkte dominiert – und seine Aktionäre reich macht. Die kurze Geschichte des Internets lehrt, dass sich in seinen Marktsegmenten meist ein dominanter Spieler herausbildet, der das Gros des Marktes abgreift.

Möglicherweise ein Modetrend

Bleibt Facebook also die Schaltzentrale des sozialen Internets, des Mitmach-Webs, eine Art freiwilliges Einwohnermeldeamt, das stets über Vorlieben, Geschmack und manchmal sogar Aufenthaltsort seiner Nutzer informiert ist – und vor allem: schafft Facebook es, daraus bei Werbekunden noch mehr Kapital zu schlagen? Denn so viel steht fest: Facebook ist zwar allgegenwärtig, hat aber den kommerziellen Wert seines Wissens über seine 900 Millionen Mitglieder weltweit noch nicht mal ansatzweise ausgeschöpft.

Möglich ist aber auch, dass vor dem Börsengang mal wieder viele ihren Verstand an der Garderobe abgegeben oder aus Gier das Denken ausgesetzt haben. Soziale Netzwerke wie Facebook könnten nur ein Modetrend sein, vergänglich, abhängig vom Wohlwollen ihrer schnell gelangweilten Nutzer, voller ungelöster Konflikte über Datenschutz und Urheberrecht – und womöglich in Kürze abgelöst vom „next big thing“, der nächsten großen Sache im Internet, so wie es Facebooks Vorläufern Friendster und MySpace erging; anfällig zudem für politische Sanktionen, mit Geschäftsmodellen, die erst noch entwickelt werden müssen und die Facebook-Fans vergraulen könnten, wenn sich diese mit zu viel Kommerz konfrontiert sehen.

Kurz: Wird hier viel heiße Luft teuer verkauft wie zuletzt Ende der Neunzigerjahre, als im ersten Dotcom-Rausch allein an der Nasdaq zwischen Anfang 2000 und 2002 fast 4000 Milliarden Dollar vernichtet wurden, als hochfliegende Pläne vom immerwährenden Wachstum jäh zerplatzten? Sozusagen eine Neuauflage des „Krieges um die Augäpfel“, bei dem Umsatz und Gewinn bewusst geopfert werden, um möglichst schnell viele Nutzer auf sich zu vereinen?

Es klang nach Größenwahn

Facebook-Zentrale Quelle: dapd

Unbestritten – die unternehmerische Leistung von Facebook-Gründer Zuckerberg ist phänomenal. Als die WirtschaftsWoche im Herbst 2006 in einer Titelgeschichte Facebook als den Hoffnungsträger des neuen Internets („Web 2.0“) benannte, war das soziale Netzwerk noch klein (siehe Cover Seite 128). Der von Medienzar Rupert Murdoch gekaufte Konkurrent MySpace war die erste Adresse bei sozialen Netzwerken. Facebook hatte gerade eine Übernahmeofferte von Yahoo in Höhe von rund einer Milliarde Dollar abgeschmettert.

Als die WirtschaftsWoche Thiel fragte, wie viel Facebook wert wäre, sagte er: mindestens vier Milliarden Dollar. Das klang nach Größenwahn. Sechs Jahre später soll Facebook nun genauso wertvoll sein wie der Online-Händler Amazon, der 2012 rund 13-mal so viel umsetzt wie Facebook.

Ob Facebook heute schon rund 100 Milliarden Dollar wert ist, bei Kurssteigerungen am ersten Börsentag sogar möglicherweise deutlich mehr, ist die wichtigste von acht Fragen, deren Antworten für oder gegen einen Einstieg in die Aktie gleich nach dem Megabörsengang sprechen.

Ist der Börsenwert von Facebook – gerechnet wird mit 93 bis 104 Milliarden Dollar – gerechtfertigt?

Den besten Vergleich bieten etablierte und bereits börsennotierte Technologieunternehmen, wie etwa Ebay, Google oder auch Apple. Wettbewerber Google ist derzeit knapp 200 Milliarden Dollar wert. Abzüglich 45 Milliarden Barmitteln kostet die Suchmaschine gut 150 Milliarden Dollar – etwa 60 Prozent mehr als Facebook nach dem IPO. Der Suchgigant erzielte 2011 rund das Zehnfache an Umsatz, und während Facebook eine Milliarde Dollar Gewinn erzielte, scheffelte Google fast zehn Milliarden.

Würde man Googles Umsatz als Basis nehmen, dann dürfte Facebook maximal 20 Milliarden Dollar kosten, gemessen an den für 2012 erwarteten Gewinnen, würde man Facebook auf 16 Milliarden Dollar Börsenwert taxieren. Zumal Facebook mit seiner Gewinnmarge von gut 25 Prozent hinter Google und Apple herhinkt und – gemessen an den Barmittelzuflüssen aus seinen Geschäften – zum IPO etwa das Vier- bis Fünffache der Wettbewerber kosten soll.

Doch Gegenwart und nahe Zukunft kümmern die meisten Anleger kaum. Sie setzen auf die Zukunft – und darauf, dass Facebook in den nächsten zehn Jahren seinen Umsatz von 3,7 Milliarden Dollar 2011 auf über 50 Milliarden Dollar steigern wird.

Hält das Wachstum?

Kann Facebook die hohen Erwartungen an sein Wachstum überhaupt erfüllen – selbst dann, wenn alles glattläuft?

Die Zeiten des dreistelligen Wachstums sind vorbei. Immerhin ist Facebook schon acht Jahre alt. 2010 stieg der Umsatz noch um 154 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 2011 sank das Wachstum schon auf 88 Prozent. Sollte Facebook die Erwartungen der Analysten erfüllen, schafft das Netzwerk über die Jahre 2009 bis 2013 einen jährlichen durchschnittlichen Umsatzzuwachs von gut 70 Prozent, der Gewinn stiege bis 2013 um jährlich 95 Prozent und damit jeweils deutlich stärker als der der anderen Giganten.

Allerdings startete Facebook in diesem Vergleich im Jahr 2009 von einer niedrigen Basis. Heute, kurz vor dem Börsengang, liegt die Latte schon deutlich höher. Facebook aber springt nicht mehr so dynamisch.

Im ersten Quartal wuchs Facebook gegenüber den ersten drei Monaten 2011 nur noch um 45 Prozent. Google steigerte seinen Umsatz im ersten Quartal um knapp 25 Prozent von 8,5 auf 10,6 Milliarden Dollar. Der Abstand zwischen den Wachstumsraten, der naturgemäß groß sein sollte, weil Facebook um den Faktor zehn kleiner ist, ist damit merklich geschrumpft.

Schlimmer: Facebook leistete sich gleich zwei Patzer. Der Umsatz ging gegenüber dem vierten Quartal um sechs Prozent zurück, der Gewinn sank gegenüber dem ersten Quartal 2011 sogar um zwölf Prozent. Sonnyboy Zuckerberg erklärt die schwachen Zahlen mit „saisonalen Einflüssen“. Tatsächlich werden im Weihnachtsgeschäft des vierten Quartals die meisten Anzeigen geschaltet. Doch Google schien das nicht zu berühren. Im Gegenteil: Dem Wettbewerber gelang sogar ein Umsatzzuwachs von einem Prozent. Facebooks Ausrutscher überrascht. Vor allem, weil seine Werbeverkäufer sich im Vorfeld des Börsengangs besonders intensiv ins Zeug gelegt hatten, wie es im Silicon Valley hieß.

Google könnte bald – womöglich schon in diesem Jahr – die Umsatzmarke von 50 Milliarden knacken. Um dahin zu kommen, müsste Facebook bis 2020 jährlich gut 33 Prozent wachsen. Ausgehend von einem Börsenwert von 100 Milliarden Dollar hätten die Anleger dann ihren Einsatz verdoppelt – falls Facebook in acht Jahren dieselbe Bewertung erführe wie heute Google (vier Dollar Börsenwert pro Dollar Umsatz).

Eine neue globale Wirtschaftskrise aber würde das Facebook-Wachstum deutlich verlangsamen. Das bekam Google während der Finanzkrise zu spüren. 2009 fiel Googles Wachstum erstmals nicht zweistellig aus – gerade mal neun Prozent waren noch drin. Der Kurs crashte binnen eines Jahres um 65 Prozent; 157 Milliarden Dollar Börsenwert waren erst mal futsch.

Selbst wenn in der Weltwirtschaft und an der Börse alles einigermaßen glattlaufen sollte, ist die Vorgabe für Facebook sportlich. Seit 2010 hat sich der Umsatzzuwachs jedes Jahr ungefähr halbiert. Rechnerisch dürfte Facebook in diesem Jahr maximal 50 Prozent zulegen, im Jahr darauf noch 28 Prozent. So weit die Modellrechnung.

Falls Facebook die Preise für seine Anzeigen aber deutlich erhöhen kann, mehr Werbekunden aufspringen und das Netzwerk umsatzfördernd Tech-Unternehmen zukauft, könnte die Rate wieder klettern.

Mehr Umsatz pro Nutzer?

Ein Kugelschreiber liegt am 06.05.2012 auf einem Ausdruck des Facebook-Börsenprospekts Quelle: dpa

Um zu wachsen, muss Facebook vor allem den Pro-Kopf-Umsatz seiner Nutzer stark steigern. Ist das machbar?

901 Millionen Menschen haben sich bislang ein Facebook-Konto zugelegt. Täglich wird die Seite von 526 Millionen Nutzern aufgerufen, mehr als jeder zweite Nutzer ist also täglich auf Facebook. Daran gemessen ist der Pro-Kopf-Umsatz je Facebook-Freund sehr gering: Er betrug 2011 gerade einmal 4,35 Dollar – im ganzen Jahr. Selbst unter Berücksichtigung von Karteileichen und gefälschten Profilen liegt der Jahresumsatz je Nutzer immer noch bei nur fünf Dollar – ungefähr die Summe, die Starbucks im Silicon Valley für zwei kleine Milchkaffees verlangt.

Die teuersten Suchbegriffe von Google, zum Beispiel „Lebensversicherung“, bringen schon mal bis zu 50 Dollar Umsatz, wenn sie als Werbung am Rande der Google-Web-Seite auftauchen und angeklickt werden; 50 Dollar pro Klick.

Um auf Googles derzeitiges Umsatz-je-Nutzer-Niveau zu kommen, müsste Facebook seinen derzeitigen Erlös je Nutzer ungefähr verzehnfachen. Denkbar ist das nur, wenn es Zuckerberg gelingt, das in Facebooks Geschäftsmodell verborgene Potenzial endlich auf die Straße zu bringen.

Wie viel Potenzial steckt in der maßgeschneiderten Werbung, die das Netzwerk seinen Anzeigenkunden verspricht?

Theoretisch ist Facebook ein Paradies für Werbekunden. Kein anderes Unternehmen weiß so viel über die Vorlieben seiner Nutzer, kennt deren Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen. Dadurch sind maßgeschneiderte Kampagnen möglich, die weit über alles bisher Bekannte hinausgehen. So kann Facebook nicht nur Nutzer identifizieren, die gern campen gehen, sondern auch solche, die lieber an der See als in den Bergen ihr Zelt aufschlagen.

87 Prozent seines Umsatzes macht Facebook mit Werbung, vor allem mit Kleinanzeigen, die auf den individualisierten Facebook-Seiten der Nutzer erscheinen. Doch in der Praxis ist umstritten, wie stark diese Anzeigen wahrgenommen werden – und ob sie zusätzlichen Umsatz für die Werbetreibenden generieren.

Einer der Skeptiker ist Martin Sorrell. Zwar wird der Gründer und Chef des Werbekonglomerates WPP seine Werbeausgaben auf Facebook in diesem Jahr auf 400 Millionen Dollar verdoppeln. Auf einer Fachtagung in Los Angeles ließ der Werbe-Tycoon allerdings durchblicken, dass das Budget vor allem deshalb erhöht wurde, weil seine Kunden – die Marketingchefs der Konzerne – sich unter Druck fühlen, auf Facebook vertreten zu sein, seit kein Tag mehr ohne Facebook-Schlagzeilen ins Land geht. Den Marketingchefs aber sitzen die Controller im Nacken.

Die wollen wissen, wie genau die wachsenden Facebook-Ausgaben den Umsatz ankurbeln. Der über Google auf die Web-Seiten der Konzerne fließende Verkehr lässt sich messen. Wie Kaufentscheidungen durch Werbung in sozialen Netzwerken beeinflusst werden, ist dagegen weitgehend unbekannt.

John Scandalios, der den 600 Millionen Dollar schweren Franklin Templeton Technologiefonds leitet, hält sich deshalb bei sozialen Medien zurück: „Bei den Geschäftsmodellen gibt es noch zu viele offene Fragen“, sagt er. In Google und Amazon hatte er dagegen schon früh investiert.

Wachstum zukaufen?

Der Aufstieg von Facebook
Februar 2004
Juni 2004
Herbst 2004
Herbst 2005
September 2006
Mai 2007
Januar 2008

Kann Zuckerberg den Umsatz auf einen Schlag ausbauen, indem er mit den frisch eingenommenen Börsenmilliarden Unternehmen übernimmt?

Theoretisch schon. Die chinesische Facebook-Kopie Renren etwa wird an der New Yorker Börse nur mit 2,5 Milliarden Dollar bewertet. Doch Peking würde eine Übernahme aus politischen Gründen vereiteln. Zudem macht es wenig Sinn, ein soziales Netzwerk in ein anderes zu integrieren. „Das funktioniert in der Praxis nicht“, sagt Jeff Weiner, Chef des Businessnetzwerks LinkedIn.

Zu groß ist die Gefahr, dass Nutzer, die an Bedienoberfläche und Funktionen ihres Netzwerks gewöhnt sind, dann abspringen. Letztlich dürfte es günstiger sein, Nutzer selbst zu gewinnen. Zuckerberg liefe zudem Gefahr, viel Geld für Kunden anderer Netzwerke zu bezahlen, die ohnehin schon auf Facebook sind.

Laut Gerüchten bereitet Zuckerberg deshalb eine Megatransaktion vor, um seine zweite große Umsatzsäule – die Einnahmen aus Gebühren – auszubauen. Von jedem Dollar, den etwa der Online-Spieleanbieter Zynga mit dem Verkauf von virtuellen Gütern wie Traktoren via Facebook erzielt, bekommt Facebook 30 Cent. Zynga steuert so rund zwölf Prozent der Facebook-Umsätze bei.

Das ist gefährlich. Denn wenn Zynga seine Umsatzziele verfehlt oder auf andere Vertriebskanäle ausweicht, würde sich das sofort in Facebooks Zahlen niederschlagen. Bislang gingen Experten im Silicon Valley deshalb davon aus, dass Facebook Zynga übernehmen werde. Tatsächlich soll das diskutiert worden sein. Doch damit würde Zuckerberg auf einen Schlag seine Neutralität gegenüber anderen Spieleanbietern verlieren.

Spekuliert wird deshalb, dass Facebook in andere Transaktionsgeschäfte einsteigt, beispielsweise Online-Bezahldienste. Zuckerberg will, dass seine Nutzer künftig statt ihrer Kreditkarte ihre Facebook-Identität und ihr Passwort für Einkäufe verwenden. Dafür könnte Facebook nicht nur eine Provision verlangen, sondern auch beweisen, dass der Kauf über das soziale Netzwerk initiiert wurde.

Als attraktives Zielobjekt gilt dafür das Silicon-Valley-Startup Square, das von Twitter-Gründer Jack Dorsey geleitet wird. Dessen Wachstumsaussichten sind zwar gigantisch, doch die Margen sind wegen des erbitterten Wettbewerbs mit Paypal und Kreditkartenunternehmen minimal. Facebook würde bei einer Übernahme zwar an Umsatz zulegen, doch bei den Erträgen verlieren.

Hilft die Microsoft-Allianz?

Selbst T-Aktionäre leicht im Plus. Wie viel Anleger aus 1000 Dollar Einsatz in Tech-Aktien machten.

Kann die Allianz mit dem weltgrößten Softwarekonzern die Facebook-Aktien beflügeln?

Als Microsoft-Chef Steve Ballmer im Herbst 2007 entschied, 240 Millionen Dollar in Facebook zu investieren, hielten das viele für einen Fehler. Microsoft erhielt nur 1,6 Prozent des sozialen Netzwerks, das damals mit 15 Milliarden Dollar bewertet wurde. Ballmer, der zuvor höchstpersönlich einen langen Spaziergang mit dem damals 23-jährigen Facebook-Gründer unternommen hatte, sah das Investment als Brückenkopf im Silicon Valley gegen Google. Eine Übernahme hatte Zuckerberg zuvor abgelehnt, was Ballmer imponierte.

Über die Jahre wurden die Bande zwischen Microsoft und Facebook gestärkt. Um die Ergebnisse seiner Suchmaschine Bing zu verbessern, integrierte Microsoft Inhalte von Facebook. Jüngst griff Ballmer Zuckerberg im Patentstreit mit Yahoo unter die Arme und reichte das Gros der für eine Milliarde von AOL erworbenen Patente zum Freundschaftspreis von 550 Millionen Dollar an Facebook weiter. Microsoft hofft, dass Facebooks Popularität den Absatz des Handybetriebssystems Windows Phone beflügeln kann.

Seit Langem halten sich Gerüchte, dass Zuckerbergs Entwickler sogar an einem eigenen Mobiltelefon basteln, bei dem, ähnlich wie bei Googles Android, eigene Dienste prominent herausgestellt werden. Wenn Zuckerberg dafür Windows Phone verwenden würde, wäre das ein Gewinn für Microsoft.

Doch eine Allianz mit dem Softwarekonzern muss nicht unbedingt förderlich sein. Das beste Beispiel ist dessen enger Schulterschluss mit dem einstigen Handyweltmarktführer Nokia. Das finnische Vorzeigeunternehmen ist abgestürzt und verbrennt so viel Geld, dass bereits offen über einen drohenden Bankrott spekuliert wird.

Macht es Sinn, die Aktie schon am ersten Tag zu kaufen?

Im Gegensatz zum Internet-Boom der Neunzigerjahre steigen Anleger diesmal schon zum Start mit einer hohen Bewertung ein, was den Raum für Kurssprünge begrenzt. Der Online-Händler Ebay startete sein Börsendebüt im September 1998 bei einem Börsenwert von 1,9 Milliarden Dollar. Amazon, derzeit rund 100 Milliarden Dollar wert, legte im Mai 1997 sogar nur 440 Millionen Dollar vor. In der vergangenen Dekade waren die Preise schon höher. Als Google im Sommer 2004 an die Börse ging, wurde das Internet-Unternehmen mit 23 Milliarden Dollar bewertet.

Je höher der absolute Eingangsbörsenwert, desto niedriger die Gewinnchance, so simpel lässt sich aus vergangenen Tech-Börsengängen eine Formel entwickeln.

Die Aktien der alten und neuen Internet-Riesen
Intershop
Lycos Europe
T-Online Bis heute das größte Internet-IPO aller Zeiten, was das Einspielergebnis betrifft: Umgerechnet 2,9 Milliarden Dollar nahm die Telekom-Tochter im April 2000 ein. 27 Euro je Aktie bezahlten Anleger. 2004 bot die Telekom 8,99 Euro als Rücknahmepreis. Ex-Aktionäre erstritten 2010 erst eine Nachzahlung über 1,38 Euro; 2011 wies sie das Bundesverfassungsgericht dann ab. Quelle: Bloomberg
Groupon Der Rabatthändler startete mit einer ambitionierten Bewertung im vergangenen Jahr an der Börse. Den Ausgabekurs haben Aktionäre der ersten Stunde seither nicht wieder gesehen. Und dabei konnte Groupon erst vor kurzem den ersten Gewinn vermelden. Aber die Zweifel am Geschäftsmodell nehmen zu. Quelle: Bloomberg
Pandora Nightmare on Wall Street: Der Kurs des Internet-Radiobetreibers Pandora hat sich schnell halbiert. Wegen Urheberrechtsprobleme hat sich Pandora auch vom deutschen Markt zurückgezogen. Quelle: Bloomberg
Yandex Die russische Suchmaschine lässt Google im Heimatmarkt keine Chance. Nach dramatischen Kursverlusten 2011 erholt sich die Aktie seit Jahresbeginn wieder, liegt aber immer noch fast die Hälfte unter dem Kurs bei Erstnotiz. Quelle: Bloomberg
YelpNoch recht frisch an der Börse, hat die Yelp-Aktie bereits einige Kurskapriolen hinter sich und liegt derzeit deutlich im Minus. Quelle: Bloomberg

Yahoo beispielsweise konnten Anleger zur Emission im Frühjahr 1996 zu einem Gesamtwert von 658 Millionen Dollar kaufen. Keine vier Jahre später hatten Sparer, die mutig 1000 Dollar investierten, daraus das 220-Fache gemacht, wenn sie denn zum Höhepunkt ausstiegen. In derselben Zeitspanne – über knapp vier Jahre – verneunfachte sich eine Investition in Google zum Börsenstart nur noch, weil die Suchmaschine eben schon mit einem absolut hohen Wert an die Börse gegangen war. Zum Vergleich: Um in der Spitze eine Performance wie mit der Yahoo-Aktie zu erzielen, müsste Facebook in knapp vier Jahren fast 23.000 Milliarden Dollar wert sein. Das entspräche rund der Hälfte des heutigen Wertes aller börsennotierten Unternehmen weltweit.

Wie schnell sich hohe Bewertungen rächen, zeigen die Abstürze der letzten großen Internet-Börsengänge an der Nasdaq. Der Kurs des Internet-Radiodienstes Pandora etwa hat sich seit seiner Erstnotiz 2011 halbiert. In Deutschland müssen Anleger schon weit ältere Depotauszüge hervorkramen, um derart hohe Fabelgewinne und -verluste zu finden. Intershop, T-Online, Lycos – die Liste derer, die erst zur Jahrtausendwende Reichtum versprachen, dann aber arm machten, ist lang.

Wunderknabe Zuckerberg?

Zuckerberg gilt als Wunderknabe Quelle: dapd

Kann der Gründer, der am 14. Mai seinen 28. Geburtstag feiert, trotz allem das Unternehmen in die nächste große Wachstumsphase führen?

Obwohl Zuckerberg nach dem Börsengang nur noch 18,4 Prozent an Facebook besitzt, kontrolliert er dank Mehrfachstimmrechten und Stimmrechtsvereinbarungen über 57,3 Prozent unangefochten das Unternehmen. Ohne oder gar gegen Zuckerberg geht nichts. Anleger sind nur geduldete Teilhaber.

Kein großer Internet-Unternehmer hat so viel Macht wie der Facebook-Gründer. Bei Google, das ebenfalls via Mehrfachstimmrechten von den Gründern Sergey Brin und Larry Page sowie Verwaltungsratschef Eric Schmidt kontrolliert wird, müssen sich immerhin noch drei Personen verständigen.

Zuckerberg kann allein entscheiden.

In einem sich schnell verändernden Markt kann das von Vorteil sein, macht aber eine Kontrolle unmöglich. Von seiner Machtfülle machte er Ostern 2012 schon mal fleißig Gebrauch.

Da verhandelte der Facebook-Chef weitgehend allein den Aufkauf des Startups Instagram für eine Milliarde Dollar. Der Verwaltungsrat wurde von der Entscheidung erst danach informiert.

Eine Milliarde ist viel Geld für einen Betrieb mit zwölf Mitarbeitern, dessen Handyfotoservice zwar schon 50 Millionen Menschen nutzen, der aber weder Umsatz noch Gewinn macht. Instagram kann ein Geniestreich sein, weil die dort mit Freunden und Verwandten geteilten Fotos noch mehr über ihre Schöpfer preisgeben und diese emotional an den Service binden. Die Übernahme könnte aber auch ein Riesenflop werden: Niemand weiß, ob Instagram mit kostenpflichtigen Zusatzdiensten überhaupt Geld verdienen kann – oder ob seine Nutzer bald vom nächsten Gratisservice angelockt werden.

Allerdings: Es ist genau diese Risikofreude, mit der Harvard-Studienabbrecher Zuckerberg Facebook aus dem Nichts zum weltweit größten sozialen Netzwerk geformt hat. Seine Entscheidung, Facebook im Mai 2007 für externe Entwickler zu öffnen, war heiß umstritten. Im Verwaltungsrat fürchtete man, die Kontrolle über das Netzwerk zu verlieren und die Nutzer zu verärgern.

Tatsächlich verhalf die kühne Entscheidung Facebook zum Durchbruch. Heute ist Facebook über seine Schnittstelle „open graph“ mit Funktionen wie „Gefällt mir“ und einer Kommentarbox in Millionen von Web-Seiten und externen Services integriert und bekommt von denen fleißig Feedback darüber, was die Internet-Nutzer gerade umtreibt.

„Ein Gründer mit viel Einfluss hat in der Regel mehr Durchsetzungsvermögen“, sagt Technologiebeobachter Paul Saffo. Apple-Gründer Steve Jobs etwa setzte Ende der Neunzigerjahre darauf, dass sich der mit viel Aufwand und Ressourcen entwickelte Musikplayer iPod am Markt durchsetzen würde. Ein angestellter Manager hätte so eine riskante Wette nicht eingehen können. Sollte Zuckerberg, und Anzeichen dafür gibt es, auch nur ansatzweise ein ähnliches Unternehmergenie sein, dann wären mehr als 100 Milliarden Dollar für sein Geschöpf am Ende doch gerechtfertigt.

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