Börsenprofi Lingohr "Es wird langsam etwas heiß"

Seite 2/4

"Wir sichern uns nicht ab"

Wie sichern Sie Ihre Fonds denn gegen eine drohende Korrektur oder einen Crash ab?
Wir sichern uns nicht ab, das haben wir noch nie gemacht. Wir kaufen einfach unterbewertete Titel. Der Grund ist einfach: Wenn Sie die 40 stärksten Monate in den vergangenen 80 Jahren verpasst hätten, dann wäre Ihre Performance sehr, sehr schlecht gewesen. Dann hätten Sie aus dem Aktienmarkt nur so viel wie bei Staatsanleihen herausgeholt.

Sie schützen sich nicht einmal vor Wechselkursrisiken?
Nein. Wir sind der Überzeugung, dass wir Wechselkursveränderungen nicht vorhersehen können. Daher würde eine Absicherung nur Kosten für unsere Kunden verursachen. Außerdem sichern viele global agierende Unternehmen wie die Volkswagen AG ihre Währungsrisiken selbst ab – mit eigenen Mechanismen könnten wir möglicherweise die Strategie, die Volkswagen verfolgt, konterkarieren. Das ergibt keinen Sinn. Längerfristig und global gleichen sich die Wechselkursschwankungen ohnehin aus.

Was betrachten Sie als langfristig? Wie lange halten Sie Ihre Titel?
Die durchschnittliche Haltedauer liegt ungefähr bei 600 Tagen.

Wenn ich das richtig gesehen habe, schlagen Sie mehr als ein Drittel Ihres Portfolios einmal im Jahr um.
Der wahre Turnover liegt vermutlich noch höher, weil wir ja immer nach einem halben Jahr ein „Rebalancing“ vornehmen. Es gehört zu unserer Philosophie, dass wir systematisch investieren. Alle sechs Monate stellen wir das Gleichgewicht unter den Ländermodulen, die aus einem oder mehreren kleineren Länder bestehen können, wieder her und innerhalb der Ländermodule auch das Gleichgewicht zwischen den Aktien. Davon abgesehen haben wir eigentlich eine umschichtungsarme Strategie.

Ihr zweites Prinzip ist die computergestützte Titelauswahl.
Wir haben nur eine computergestützte Vorauswahl. Diese Titelauswahl ist nur vorläufig und nicht endgültig. Damit finden wir anhand einer Vielzahl von Faktoren unterbewertete Aktien. Danach fängt die Arbeit erst an: Wir müssen die Papiere finden, die wirklich unterbewertet sind und fundamental gute Chancen haben. Wenn man sich komplett auf den Computer verlässt, erlebt man mittel- bis langfristig einige böse Überraschungen.

Trotzdem geht Ihr Kalkül, wie jüngst mit asiatischen Aktien, nicht immer auf.
Es gibt eine Reihe von Investoren, die auf die Nase fallen, bei uns passiert das auch. Wir müssen von einem Investment überzeugt sein. Ein Beispiel: Der US-Energiekonzern Enron war lange Jahre der Liebling der wertorientierten Investoren. Wir haben die Aktie damals glücklicherweise nicht gekauft, weil wir uns nicht erklären konnten, dass ein Unternehmen in einer zyklischen Branche ein so viel stärkeres Margenwachstum haben kann als alle Wettbewerber. Weil wir uns die Kapitalströme nicht erklären konnten, haben wir die Finger davon gelassen. Später ging Enron spektakulär Pleite. Die Bilanzen waren gefälscht.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%