Geldanlage Warum wir das Sparbuch jeder Rendite vorziehen

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Negativzinsen könnten das Anlageverhalten ändern

Der Kognitionspsychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman hat gezeigt, dass es bei finanziellen Entscheidungen nicht darum geht, Erträge zu maximieren. Gewinne und Verluste werden vielmehr im Verhältnis zur gegenwärtigen Lage, dem Referenzpunkt, abgewogen, wobei Verluste regelmäßig stärker zu Buche schlagen. Negatives, nicht Positives dominiert unsere Wahrnehmung. Dafür gibt es einen evolutionsbiologischen Grund: „Lebewesen, die Bedrohungen vordringlicher behandeln als Chancen, haben höhere Überlebens- und Fortpflanzungschancen.“ Wichtige Ausnahme: Die Risikofreude steigt, wenn man tiefer in die Verlustzone gerät. Bei der „Wahl zwischen zwei Übeln“ traut man sich wieder etwas: Der Angstsparer könnte also aufgrund von Negativzinsen sein Anlageverhalten überdenken und das Risiko von Aktien und Fonds eingehen.

  • Drittens: Der „Besitztums-Effekt“ oder „Was man hat, das hat man.“ Menschen hängen an ihrem Besitz. Sie neigen dazu, Dinge, die sie haben, höher einzuschätzen als Dinge, die sie nicht haben, auch wenn beide gleichwertig sind oder die Dinge, die sie durch Änderung ihres Verhaltens erreichen könnten, sogar objektiv wertvoller sind. So ist das Sparbuch für den Sparer auch deshalb ein emotional besetzter Gegenstand, weil er es gleichsam physisch besitzt.
  • Viertens: Status-quo-Fixierung. Der Neurobiologe Gerhard Roth spricht vom Beharrungsvermögen der Menschen: Wir neigen dazu, unser bisheriges Verhalten „auch unter erheblichen Kosten fortzusetzen“, wenn uns Verhaltensalternativen zu aufwendig oder unkalkulierbar erscheinen. Menschen scheuen Veränderungen auch dann, wenn sie ihnen Vorteile bringen. Der Grund für diese scheinbar irrationale Verweigerungshaltung: „Ein Weiter wie bisher“, so Gerhard Roth, „trägt eine starke Belohnung in sich als Lust an der Routine, am Statusbewahren. Hinzu kommt die Angst vor dem Neuen, das immer auch das Risiko des Scheiterns in sich birgt.“ Mit anderen Worten: Dem eingefleischten Sparer muss einiges geboten werden, damit er sein Verhalten ändert. Weil uns die Folgen unseres Handelns stärker zusetzen als die Folgen unserer Unterlassungen, legen wir lieber die Hände in den Schoß.
  • Fünftens: Menschen sind stur. Sie suchen gezielt nach Bestätigungen für ihre Urteile, zum Beispiel dass die Kapitalmärkte chaotisch und unberechenbar sind. Mehr noch: Sie streben, wie der Ökonom Hanno Beck sagt, „nach Kongruenz, nach einem widerspruchsfreien Leben“, weshalb sie sich Fehler nicht eingestehen wollen und „die Dinge so bleiben, wie sie sind“.
Wenn ein Minus von fünf Prozent schon Freude macht

„Keine Experimente“. So plakatierte die Adenauer-CDU 1957. Sie appellierte an das Sicherheitsbedürfnis der Deutschen. Noch Bundeskanzler Schröder versprach in seiner Regierungserklärung 2002 „materielle, soziale und kulturelle Sicherheit“. Könnte es sein, dass, wie der Historiker Eckart Conze vermutet, die „Suche nach Sicherheit“ tatsächlich der „rote Faden“ der bundesrepublikanischen Geschichte ist? Die aus den Erfahrungen mit Krieg und Inflation resultierende Vorsicht in Geld-Dingen, sie hätte den Sinn der Deutschen für die Risiken der Finanzmärkte nicht verblendet. Sie hätte ihn geschärft.

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