Dabei ist der Zins der als Vergleich herangezogenen US-Staatsanleihen ebenfalls verzerrt durch die Politik der Notenbanken. Selbst wenn man konzidiert, dass die tiefen Zinsen auch Ausfluss anderer Faktoren wie vor allem der Demografie sind, bleibt unstrittig, dass derart verzerrte Zinsdifferenzen nur durch eine erhebliche Intervention der Notenbanken zustande kommen. Es gibt einen Käufer, der den Preis manipulieren will und dies aufgrund der per Definition unbegrenzten Mittel auch kann.
Die Bilanz der sechs Notenbanken, die nach Beginn der Überschuldungskrise auf Quantitative Easing – also den Aufkauf von Wertpapieren – gesetzt haben, wuchs seit 2007 immerhin auf 15.000 Milliarden US-Dollar. Spitzenreiter ist die EZB (umgerechnet 4.900 Milliarden US-Dollar), gefolgt von der Bank of Japan (4.530 Milliarden US-Dollar) und der US-Fed (4.470 Milliarden US-Dollar). Die Bank of England, die Schweizer Nationalbank und die schwedische Reichsbank folgen auf den Plätzen.
Am liebsten kaufen die Notenbanken die Staatsanleihen der eigenen Regierung – beziehungsweise in Europa der verschiedenen Euro-Mitgliedsländer. Immerhin 9.000 Milliarden US-Dollar haben sie dafür per Mausklick geschaffen. Das sind rund 20 Prozent der gesamten Staatsschulden dieser Länder.
Spitzenreiter bleibt die Bank of Japan, die 85 Prozent ihrer Bilanzsumme in japanische Staatsanleihen „investiert“ hat und bereits heute rund 40 Prozent der japanischen Staatsanleihen hält. Ende 2018 dürften es mehr als 50 Prozent sein.
Davon sind wir in der Euro-Zone noch weit entfernt, dennoch dürfte unstrittig sein, dass die Zinsdifferenzen zwischen den einzelnen Staaten deutlich höher lägen ohne die 2.000 Milliarden an Staatsanleihen, die die EZB bisher gekauft hat.
Verzerrte Zinsen – verzerrte Preise
Ist das Zinsniveau manipuliert, stimmen auch die Preise anderer Vermögenswerte nicht mehr. Alles erscheint „billig“ im Vergleich zu Staatsanleihen. Anleihen schlechterer Schuldner, Aktien, Immobilien, Kunst und weitere Dinge, die als „Geldanlage“ gesehen werden, erreichen damit Bewertungsniveaus, die ähnlich geringe künftige Renditen erwarten lassen wie die Staatsanleihen selbst. Vorausgesetzt, es geht nichts schief.
Damit fehlt unserer Wirtschaft das Korrektiv. Wo Risiken nicht adäquat verzinst werden, wo der Glaube vorherrscht, es gäbe immer einen Käufer, da kann keine sinnvolle Allokation „knapper“ Ressourcen stattfinden. Einfach, weil sie eben nicht mehr knapp sind. Wer immer den Investoren eine höhere Rendite verspricht, wird mit Geld überschüttet, wie der Run auf Anlagen bei Private Equity beweist.
Der Zinssozialismus wirkt überall.
Geldpolitik der EZB
Die EZB setzt ihre ultralockere Geldpolitik unverändert fort: Der Leitzins bleibt bei null Prozent. Monatlich kauft die Notenbank weiter Staatsanleihen und andere Wertpapiere im Milliardenumfang. Basierend auf den aktuellen Daten halte der EZB-Rat die expansive Geldpolitik nach wie vor für angemessen, begründete Draghi. Immerhin sagt Europas oberster Währungshüter, dass die Notenbank derzeit keine Notwendigkeit sehe, noch mehr Geld in die Hand zu nehmen - etwa über neue Langfristkredite für Banken.
Die EZB strebt für den Euroraum eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an - weit genug von der Nulllinie entfernt. Im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft im gemeinsamen Währungsraum robust um 1,7 Prozent. Im Februar 2017 dann knackte die Teuerung erstmals seit vier Jahren wieder die Marke von zwei Prozent - die von den Währungshütern angepeilten Ziele scheinen erreicht. Allerdings sind die Unterschiede zwischen den 19 Ländern des gemeinsamen Währungsraumes groß. „Die EZB hat einen Auftrag für den Euroraum insgesamt, und darauf muss sie ihre Geldpolitik ausrichten“, sagte der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing dem „Handelsblatt“.
Hauptgrund für den Anstieg der Inflation ist ein kräftiger Sprung der Energiepreise. Ökonomen rechnen damit, dass der Höhepunkt zunächst erreicht ist. „In den nächsten Monaten dürfte die Inflationshysterie wieder etwas nachlassen“, erklärt die Commerzbank. Wichtig ist für die Währungshüter eine nachhaltige Entwicklung der Verbraucherpreise. Dabei haben sie auch die Kerninflation im Blick - also die Teuerung ohne stark schwankende Energie- und Nahrungsmittelpreise. Im Februar verharrte diese Rate bei vergleichsweise niedrigen 0,9 Prozent.
„Der große Belastungstest steht vermutlich am 7. Mai an, wenn die Stichwahl darüber entscheidet, ob mit Marine Le Pen eine erklärte Euro-Feindin französische Präsidentin wird“, erläutern Ökonomen der Landesbank Helaba. Solange dies nicht geklärt sei, dürfte EZB-Präsident Draghi keine geldpolitische Kursänderung zulassen. Ähnlich sieht das ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski. Sollte sich die politische Unsicherheit nach den Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich legen, könnte die Notenbank im Sommer Hinweise auf einen Ausstieg im Jahr 2018 geben. „Dieses Timing könnte helfen, das EZB-Bashing im beginnenden Wahlkampf in Deutschland zu dämpfen“, sagt Brzeski.
Das dürfte noch eine Weile dauern. Draghi bekräftigte erneut, dass die Zinsen auf absehbare Zeit niedrig bleiben werden - mindestens bis zum Auslaufen der Anleihekäufe Ende 2017. Für Sparer ist das Zinstief bei steigender Inflation bitter. Sparbuch und Co. werfen ohnehin kaum noch etwas ab. Solange die Teuerungsrate nahe der Nulllinie dümpelte, glich sich das in etwa aus. Bei steigenden Verbraucherpreisen bleibt Sparern unter dem Strich aber weniger Geld.
Alle, die Kredite aufnehmen, zum Beispiel Immobilienkäufer. Auch wenn die Zinsen wieder leicht steigen, sind Hypothekenkredite immer noch günstig. Die ultralockere Geldpolitik kommt auch dem deutschen Fiskus zugute, weil er sich günstig verschulden kann. „Wären die Zinsen auf dem Niveau des Jahres 2007 geblieben, hätte der deutsche Staat über die Zeit um rund 250 Milliarden Euro höhere Zinsausgaben stemmen müssen“, rechnete Bundesbank-Präsident Jens Weidmann jüngst in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor.
Die EZB kann nicht von heute auf morgen einfach den Geldhahn zudrehen. Das würde zu schweren Turbulenzen an den Finanzmärkten führen. Um den Markt vorzubereiten, müssten die Währungshüter das Auslaufen der Wertpapierkäufe einige Monate vorher ankündigen, erläutert Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Friedrich Heinemann, Experte am Wirtschaftsforschungsinstitut ZEW, mahnt: „Dringend nötig wäre eine klare Perspektive für 2018 mit einer realistischen Strategie zum Auslaufen der Anleihekäufe. Wie bei jedem Ausstieg aus einer Droge ist mit Entzugserscheinungen an den Anleihemärkten zu rechnen, auch Panikattacken sind denkbar.“
Abnehmende Kontrolle der Produktionsmittel
Doch damit nicht genug. Die Notenbanken gehen dazu über, direkt Anteile von Unternehmen zu erwerben. Vorreiter sind dabei die Schweizer Notenbank und die Bank of Japan.
Die Schweizer sind sicherlich unschuldig in die Situation geraten, mussten sie doch in einem Umfeld der Geldschwemme ein weiteres Ansteigen des Frankens zumindest aufschieben. Neben Staatsanleihen aus dem Euro-Raum haben die Eidgenossen für 80 Milliarden US-Dollar Direktinvestitionen in führende US-Firmen getätigt: Apple (2,7 Milliarden US-Dollar), Microsoft (1,7), Johnson&Johnson, Exxon, Amazon, Facebook, AT&T und General Electric sind die größten Einzelpositionen.