Das Brexit-Votum der britischen Wähler sorgt nicht nur an den Börsen und Devisenmärkten für Turbulenzen. Zu den Opfern des „No!“ der Wähler zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) gehören seit Montag auch britische Immobilienfonds. Gleich fünf von ihnen, darunter der größte des Landes mit umgerechnet allein 5,2 Milliarden Euro Volumen, stellten den Handel mit Fondsanteilen ein. Zu viele Anleger hatten aus Furcht vor sinkenden Immobilienpreisen und Renditen aussteigen wollen und gaben Anteile zurück. Wer nicht schnell genug war, kommt jetzt nicht mehr an sein Geld.
Wo die großen Brexit-Baustellen sind
Seit der konservative Premier David Cameron seinen Rücktritt angekündigt hat, tobt ein Kampf um seine Nachfolge - nicht nur hinter den Kulissen. Als aussichtsreichste Kandidaten gelten Brexit-Wortführer Boris Johnson und Innenministerin Theresa May. Johnson werden die besten Chancen eingeräumt, auch wenn er erbitterte Feinde in der Tory-Fraktion hat. May könnte als Kompromisskandidatin gelten, sie war zwar im Lager der EU-Befürworter, hielt sich aber mit öffentlichen Äußerungen zurück.
Labour-Chef Jeremy Corbyn laufen nach dem Rauswurf seines schärfsten Kritikers Hilary Benn die Mitglieder seines Schattenkabinetts in Scharen davon. Mehr als die Hälfte seines Wahlkampfteams trat bereits zurück. Sie werfen Corbyn vor, nur halbherzig gegen einen EU-Austritt geworben zu haben, und stellen seine Führungsqualitäten in Frage. Dahinter steckt auch die Befürchtung, es könne bald zu Neuwahlen kommen. Viele Labour-Abgeordnete befürchten, mit dem Linksaußen Corbyn an der Spitze nicht genug Wähler aus der Mitte ansprechen zu können. Corbyn war im Spätsommer vergangenen Jahres per Urwahl an die Parteispitze gerückt, hat aber wenig Unterstützung in der Fraktion.
Der scheidende Premier David Cameron kündigte an, die offiziellen Austrittsverhandlungen mit der EU nicht mehr selbst einzuleiten. Der Ablösungsprozess könnte damit frühestens nach Camerons Rücktritt beginnen - womöglich erst im Oktober. Äußerungen anderer britischer Politiker lassen befürchten, dass sich die Briten gern sogar noch mehr Zeit lassen würden. Am allerliebsten würden sie schon vor offiziellen Austrittsverhandlungen an einem neuen Abkommen mit der EU basteln. Brüssel, Berlin und Paris dringen aber auf einen raschen Beginn der Austrittsverhandlungen.
Seit dem Brexit-Votum liegt die Frage nach der schottischen Unabhängigkeit wieder auf dem Tisch. Die Schotten stimmten - anders als Engländer und Waliser - mit einer Mehrheit von 62 Prozent gegen einen Brexit. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte in Edinburgh an, Vorbereitungen für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum einzuleiten. Boris Johnson deutete jedoch bereits an, dass er als Premierminister da nicht mitspielen würde: „Wir hatten ein Schottland-Referendum 2014 und ich sehe keinen echten Appetit auf ein weiteres in der nahen Zukunft“, schrieb Johnson in einem Gastbeitrag im „Daily Telegraph“. Auch Premierminister David Cameron erteilte einem erneuten Schottland-Referendum eine Absage.
In beiden Teilen der Insel herrscht Sorge, der Brexit könnte dazu führen, dass wieder Grenzkontrollen eingeführt werden und der Friedensprozess gestört wird. Irlands Ministerpräsident Enda Kenny versicherte, seine Regierung arbeite eng mit Belfast und London zusammen, um die Grenzen offenzuhalten. Ähnlich wie in Schottland stimmte auch in Nordirland eine Mehrheit der Wähler gegen den Austritt des Königreichs aus der EU. Die nordirische nationalistische Partei Sinn Fein forderte bereits eine Abstimmung über eine Wiedervereinigung Irlands und Nordirlands.
Das britische Pfund verlor seit dem Brexit-Votum massiv an Wert gegenüber dem Dollar und fiel auf den niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten. Auch die Börsenkurse stürzten zeitweise in den Keller. Der britische Finanzminister George Osborne versuchte am Montag, Sorgen an den Märkten zu zerstreuen. Großbritannien sei auf alles vorbereitet, sagte Osborne. Noch am Tag nach der Brexit-Entscheidung war Notenbank-Chef Mark Carney vor die Kameras getreten und hatte angekündigt, die Bank of England könne bis zu 250 Milliarden Pfund in die Hand nehmen, um weitere Verwerfungen zu verhindern. Trotz allem verlor das Pfund weiter an Wert.
Bei deutschen Fondsanlegern weckt das unangenehme Erinnerungen an das Jahr 2008. Damals – unmittelbar nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers - hatten sich auch Hunderttausende deutsche Anleger auf einen Schlag die Anteile an ihren Fonds auszahlen lassen. Die Folge: Den Fondsgesellschaften gingen die Barmittel aus, sie mussten die Notbremse ziehen und die Rücknahme von Fondsanteilen aussetzen. Zeitweise lagen 34 Milliarden Euro an Kundengeldern auf Eis. Acht Fonds blieben dauerhaft eingefroren und mussten am Ende abgewickelt werden – ein Prozess, der bis heute nicht vollständig abgeschlossen ist. Anlegern bescherte die Krise der Fonds bis dato schätzungsweise vier Milliarden Euro Verlust.
Drohen deutsche Fonds jetzt erneut so in Bedrängnis zu kommen wie vor sechs Jahren? Schließlich sind auch die hiesigen Anbieter offener Immobilienfonds in Großbritannien engagiert. Nach Angaben des Branchenverbands BVI liegt der Anteil von Immobilien in Großbritannien über die gesamte Branche gesehen bei rund zehn Prozent.
Sollten Mieten und Preise sinken, würde sich dies auch negativ auf die Werte der Immobilien in deutschen Fonds auswirken, damit den Anteilswert senken und die Rendite schmälern. Spätestens dann könnten Fondsanleger über einen Verkauf ihrer Anteile nachdenken.
Tatsächlich konzentriert sich der Großteil der Investments deutscher Fonds auf London, dem bei weitem bedeutendsten europäischen Markt für Bürogebäude, Shoppingcenter oder Hotels. Und insbesondere in der britischen Hauptstadt dürften die Preise für Gewerbeimmobilien durch das Brexit-Votum unter Druck geraten. Experten erwarten Wertverluste im Bereich von zehn bis 15 Prozent.
Allerdings sind die einzelnen deutschen Fonds in Großbritannien sehr unterschiedlich engagiert: Im Hausinvest etwa, einem Immobilienfonds der Commerz Real Gruppe, liegt der Anteil britischer Immobilienwerte bei fast 25 Prozent.
Beim Fonds Uni-Immo Europa von Union Investment Real Estate, Fondstochter der Volks- und Raiffeisenbanken und größter deutscher Anbieter von Immobilienfonds, liegt der Anteil bei gerade fünf Prozent. Im weltweit investierenden Global-Fonds von Union Investment ist der Anteil mit knapp zwölf Prozent gemessen an den Verkehrswerten aber mehr als doppelt so hoch. Auch im Deka-Fonds Immobilien Europa aus der Sparkassenfamilie sind mit 18 Prozent der Immobilienwerte große Summen im Vereinigten Königreich investiert.
Torsten Knapmeyer, Chef des Fondsmanagements von Deka Immobilien, sieht keine Anzeichen für eine Gefahr. „Bei unseren Immobilienfonds mit signifikanten Anteilen von Objekten in Großbritannien spüren wir kein geändertes Kundenverhalten. Es werden keine Anteile auf Grund des Brexits zurückgegeben“, sagt Knapmeyer.