Er ist ein modernes Orakel, ein Experte für heißgelaufene Märkte, für Übertreibungen in Beton: Konstantin Kholodilin, Wissenschaftler am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, hat vor zwei Jahren für das Bundesfinanzministerium ein Frühwarnsystem entwickelt. Es schlägt Alarm, wenn sich am Immobilienmarkt eine Preisblase aufpumpt. Wann sind die Preise zu stark gestiegen? Wann drohen sie einzubrechen, weil zu viele Wohnungen und Häuser angeboten werden und Käufer und Mieter die aufgerufenen Preise nicht mehr zahlen können?
Damals war das akademischer Denksport, motiviert von den katastrophalen Zusammenbrüchen der Häusermärkte in den USA und Spanien. „Von einer Blase am Immobilienmarkt in Deutschland sprach 2011 noch niemand“, sagt Kholodilin. Nur drei Jahre zuvor, 2008, hatte er noch eine andere Studie publiziert: „Immobilienkrise? Warum in Deutschland die Preise seit Jahrzehnten stagnieren.“
Die Zeiten haben sich geändert. Heute wundern sich viele über die stark gestiegenen Preise für Wohnimmobilien. Kaum offenbart sich jemand als Immobilienkäufer, haken Freunde nach: „Jetzt noch? Bei den hohen Preisen?“ Andere pflichten bei: „Klar doch, bei den niedrigen Zinsen!“ An Immobilien scheiden sich die Geister. Selbst kaufwillige Interessenten sorgen sich darum, zu viel Geld für die Wohnung oder das Haus auszugeben – und es dann in einigen Jahren zu bereuen.
Zeit also für einen Faktencheck: Wo lohnt der Kauf von Haus oder Wohnung noch - und wo nicht? Die WirtschaftsWoche hat die Lage in den 50 größten deutschen Städten analysiert, Daten zu Immobilienpreisen und wichtigen Standortfaktoren ausgewertet und so ermittelt, wo Käufer gute Chancen auf weitere Wertzuwächse haben. Das komplette Ranking inklusive aller wichtigen Standortfaktoren sowie ausführliche Tabellen mit Wohnungspreisen, Wohnungsmieten und Hauspreisen aus den 50 größten Städten (jeweils mit Angaben für den stadtweiten Durchschnitt und im Detail für einfache, mittlere und gute Wohnlagen) finden Sie hier (Preis: 1,99 Euro). Eigentümer bekommen Hinweise darauf, wie viel ihre Immobilie heute wert ist. Kaufinteressenten können sehen, wie viel sie in etwa einplanen müssen und wo der Kauf aussichtsreich ist.
Chancen in Münster
In der Gesamtwertung der 50 Städte holt sich Münster den Sieg und löst damit Hamburg erstmals ab.
Die Stadt, vor allem bekannt für ihre Universität und Armeen von Fahrradfahrern, wird in den kommenden Jahren weitere Einwohner gewinnen. Bis 2022 soll sie um knapp zwei Prozent wachsen. Die Uni, gemeinsam mit der Uniklinik Münsters wichtigster Arbeitgeber, prägt auch die Wirtschaft. Biotechnologie-Unternehmen etwa profitieren von der Nähe zur Forschung. Die Arbeitslosenquote lag im Januar bei niedrigen 6,2 Prozent – 1,2 Punkte unter Bundesschnitt.
Prognosen für die Top-Immobilienstandorte
+ 8 Prozent (Wohnungspreise 2012)
Preise und Mieten steigen weiter. Potenzial haben Wohnungen für Studenten. Die leben und feiern gern rund um den Prinzipalmarkt. Top-Lagen für Wohnungen: Kreuzviertel, Sentruper Höhe; für Einfamilienhäuser: Aasee-Viertel, St. Mauritz.
+ 11 Prozent (Wohnungspreise 2012)
In Oldenburg werden Preise und Mieten weiter kräftig steigen. Begehrt bleiben Top-Lagen wie Dobben- und Gerichtsviertel. Neubauprojekte, etwa Passivhäuser am Bloherfelder Anger, weiten das Angebot etwas aus. Es bleibt aber knapp.
+ 10 Prozent (Wohnungspreise 2012)
Die Immobilienpreise steigen weiter, aber weniger stark. Die Mieten holen etwas auf. Top-Lagen für Wohnungen: Hafencity, Harvestehude, Hoheluft und Winterhude. Stadtteile mit besonders viel Potenzial: Eimsbüttel, Altona und Barmbek.
+ 5 Prozent (Wohnungspreise 2012)
Preise und Mieten haben noch Spielraum nach oben. Besonders gute Anlagechancen bieten mittlere Lagen, etwa Plagwitz und die Südvorstadt. Begehrt sind in Leipzig vor allem sanierte Altbauwohnungen. Top-Lagen bleiben Bach-, Musik- und Waldstraßenviertel.
+ 13 Prozent (Wohnungspreise 2012)
Die Preise steigen, obwohl die Schmerzgrenze für viele Freiburger schon erreicht ist. Top-Lagen für Häuser und Wohnungen sind Wiehre und Herdern. Familien ziehen gern in die Neubauten in Rieselfeld oder Vauban. Aufstrebend mit Potenzial: Ebnet.
Schon jetzt ist der Anteil leer stehender Wohnungen und Häuser sehr niedrig. Die Aussichten auf weiter steigende Preise sind gut – zumal sich die Münsteraner das Wohnen vor Ort noch gut leisten können. Wohnungsmieter zahlen mit 7,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter und Monat zwar rund neun Prozent mehr als im Durchschnitt der 50 Städte. Dafür verdienen die Bewohner aber auch überdurchschnittlich gut: Ihr verfügbares Einkommen, pro Kopf werden es 2013 voraussichtlich über 20 000 Euro sein, liegt 13 Prozent über dem Schnitt.
Der Immobilienmarkt bietet Käufern damit beste Chancen. Gute wirtschaftliche Perspektiven, der niedrige Leerstand, aber auch Verbesserungen bei der Standortqualität und der Sozialstruktur bringen Münster in der Gesamtwertung 4,4 von 5 möglichen Punkten. (Das komplette Ranking finden Sie hier)
Hamburg und Oldenburg auf dem Treppchen
Dicht dahinter, mit jeweils 4,3 Punkten in der Gesamtwertung, landen im Ranking der Immobilienmärkte der Vorjahressieger Hamburg und das sehr viel kleinere Oldenburg. Obwohl beide Immobilienmärkte Welten trennen – in Oldenburg zahlen Käufer für Wohnungen im Schnitt nur 1550 Euro je Quadratmeter, in Hamburg fast 1000 Euro mehr – bieten sie Immobilienkäufern ähnlich gute Chancen auf langfristigen Wertzuwachs. Die Nachfrage wird hoch bleiben, das Angebot knapp. Auch im Rückblick sind die Immobilienpreise in beiden Städten ähnlich stark gestiegen: In Hamburg verteuerten sich Wohnungen seit 2008 um 34 Prozent, in Oldenburg um 32 Prozent.
Solche Preissprünge sind, allen Schlagzeilen von steigenden Preisen und Wohnungsnot zum Trotz, eher die Ausnahme. In den vergangenen Jahren sind die Immobilienpreise nur moderat gestiegen. Für Wohnungen zahlen Käufer heute im bundesweiten Durchschnitt schlappe elf Prozent mehr als Anfang 2008, pro Jahr sind die Preise damit nur um etwa zwei Prozent gestiegen. In weiten Teilen Deutschlands müssen Käufer nicht einmal 1500 Euro für den Quadratmeter einplanen.
Prognose für Eigentumswohnungen bis 2015
Durchschnittspreis 2012: 2.352 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +15,7 Prozent
Quelle: Feri Eurorating Service AG
Durchschnittspreis 2012: 3.401 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +11,3 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 1.279 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +10,1 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 2.331 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +9,8 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 1.148 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +9,6 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 2.212 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +9,3 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 1.813 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +8,8 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 2.600 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +8,4 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 2.268 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +8,3 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 1.894 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +8,0 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 1.131 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +7,6 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 1.585 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +7,2 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 1.975 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +7,1 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 2.459 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +6,8 Prozent
Durchschnittspreis 2012: 766 Euro/qm
Preisentwicklung bis 2015: +4,8 Prozent
Trotzdem ist der Immobilienboom keine Fata Morgana. Es gibt ihn – aber fast ausschließlich in größeren Städten. Dort hat er sich 2012 noch einmal beschleunigt: In den 50 größten deutschen Städten sind die Wohnungspreise um 5,5 Prozent gestiegen, zeigen Daten des Internet-Portals Immobilienscout24. Im Jahr 2011 lag der Preisanstieg noch gut einen Prozentpunkt niedriger, 2010 sogar nur bei 2,3 Prozent.
Niedrige Zinsen bergen Risiken
Entsteht sie also doch, die Immobilienblase, die irgendwann unweigerlich platzen muss? Experte Kholodilin greift bei dieser Frage nach einer Statistik zur Verschuldung der deutschen Haushalte. In der Regel zeigen sich Blasen daran, dass viele Menschen anfangen, geliehenes Geld zu investieren. Sie gehen so sicher von Wertzuwächsen aus, dass ihnen das Risiko, sich heillos zu verschulden, als sehr gering erscheint. Besonders groß ist diese Gefahr, wenn die Zinsen für Kredite niedrig sind – wie zurzeit.
Eine Weile kann die Spekulation gut gehen, doch sobald sich abzeichnet, dass die tatsächliche Nachfrage – bei Immobilien ist das die Nachfrage derer, die nicht von Wertsteigerung profitieren, sondern tatsächlich einziehen wollen – nicht mehr mit dem Interesse der Spekulanten mithält, brechen die Preise ein. Die Spekulanten müssen verkaufen, damit sie die Kredite für ihre leer stehenden Objekte zurückzahlen können.
Tatsächlich haben die Deutschen pro Kopf aber nur drei Prozent mehr Geld als Kredit für Wohnung oder Haus aufgenommen als noch 2002. Über einen solch langen Zeitraum gesehen, ist der Zuwachs verschwindend gering. Außerdem sind die Kredite sehr viel leichter zu schultern, weil die verfügbaren Jahreseinkommen aller Haushalte viel stärker zugelegt haben.
Spuren großer Risikofreude finden sich selbst in den aktuellsten Daten der Immobilienfinanzierer nicht, im Gegenteil. So haben Käufer, die Kredite aufgenommen haben, im Dezember ihre Immobilien zu 78 Prozent beliehen. Das zeigt eine Auswertung der Kreditplattform Europace, über die etwa 15 Prozent aller privaten Immobilienfinanzierungen abgewickelt werden.
Mitte 2009 lag der Kreditanteil mit 80 Prozent noch deutlich höher, er ist seitdem kontinuierlich gesunken. Er sehe in den Kreditstatistiken deshalb „keine Anzeichen für eine Preisblase“, sagt Kholodilin.
Das klingt beruhigend. Aber: Die Kreditdaten zeigen nur einen Teil des Immobilienmarkts. „In steigendem Maße kaufen Kapitalanleger die Wohnimmobilien in deutschen Großstädten“, sagt Markus Schmidt, Leiter Research beim Maklerunternehmen Aengevelt. Viele Kapitalanleger brauchen keine Kredite, sondern wollen eigenes Geld investieren – aus Mangel an renditeträchtigen Alternativen. Heute kann jeder Großstadtmakler von Käufern berichten, die 100 Prozent Eigenkapital auf den Tisch legen – früher die absolute Ausnahme.
Wohin mit dem Geld?
Auch Profi-Investoren drängen verstärkt in den Markt. So kauften und verkauften sie 2012 große Wohnungspakete für 10,5 Milliarden Euro, ergeben Auswertungen des Immobiliendienstleisters Savills. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Plus von 46 Prozent.
Unter diesen Käufern tummeln sich nicht nur klassische Immobiliengesellschaften, sondern auch Versicherungen, Versorgungswerke und Pensionsfonds. Sie steckten insgesamt 2,2 Milliarden Euro in solche Wohnungspakete. Auch für 2013 rechnet Savills mit einem „überdurchschnittlichen Transaktionsvolumen“.
In besonders begehrten Lagen gibt es kaum noch Angebot, das die steigende Nachfrage befriedigen könnte. So berichtet der Gutachterausschuss für die Stadt Frankfurt, dass die Anzahl der Transaktionen im vergangenen Jahr gefallen sei, „aufgrund der begrenzten Angebotslage“. Es fänden sich kaum Verkäufer, da diese nicht wüssten, wie sie das frei werdende Geld sicher und rentabel anlegen sollten. Das Interesse der Käufer sei hingegen groß. Die Preise sind entsprechend gestiegen, je nach Baujahr um bis zu 14 Prozent.
Besonders gefragt waren in Frankfurt Wohnungen im Westend, Nordend und in Sachsenhausen. Angebote sind Mangelware. Nur bei den Neubauwohnungen hat das zwischen Messe und Frankfurter Hauptbahnhof entstandene Europaviertel für etwas Entspannung gesorgt. Fast jede zweite 2012 neu verkaufte Wohnung steht dort. Neubau-Eigenheime sind ebenfalls knapp – besonders beliebt und teuer waren solche im neu entstehenden Holbein-Viertel, das im Stadtteil Sachsenhausen auf dem Gelände eines alten Güterbahnhofs wächst. Sie kosteten laut Gutachterausschuss im Schnitt 500.000 Euro.
Wer feststellen will, wie tragfähig ein Preisanstieg wirklich ist, muss neben der Preisentwicklung vor allem Faktoren untersuchen, die künftig auf Wohnraumnachfrage und -angebot wirken. Für die Nachfrage ist das Bevölkerungswachstum wichtig, vor allem die Anzahl der Haushalte. Daneben spielt eine Rolle, wie viel die Haushalte verdienen. Nur wenn sie sich das Wohnen vor Ort leisten können, bleiben sie und kaufen oder mieten eine Immobilie. Das Angebot wiederum wird vor allem von der Zahl der Neubauten und den dafür ausgewiesenen Flächen bestimmt.
Überraschender Zustrom
Die Nachfrage nach Wohnraum wird in den kommenden Jahren noch steigen. Das Statistische Bundesamt rechnet in seinen Prognosen bis 2025 mit einer steigenden Anzahl von Haushalten, vor allem durch immer mehr Singlehaushalte. Der Höchststand wäre 2025 dann bei 41,1 Millionen Haushalten erreicht, etwa 700.000 mehr als aktuell. In den alten Bundesländern soll die Anzahl der Haushalte sogar bis 2029 steigen, in den neuen Bundesländern sinkt sie schon heute.
Dabei gehen die Statistiker davon aus, dass pro Jahr maximal 200.000 Menschen mehr nach Deutschland ein- als auswandern. Für die vergangenen Jahre war diese Annahme aber deutlich zu vorsichtig, da vor allem aus den Euro-Krisenländern wie Spanien und Griechenland mehr Menschen nach Deutschland zogen: 2011 kamen netto 280 000 Einwanderer, im vergangenen Jahr dürften es über 340 000 gewesen sein. „Die Zuwanderer ziehen überwiegend in die Großstädte und dort in die Innenstädte“, sagt Tobias Just, Immobilienwissenschaftler der Uni Regensburg. Genau dorthin also, wo ohnehin schon viele Menschen nach einer Wohnung suchen und das Angebot, wie in Frankfurt, besonders knapp ist.
Kein Druck auf die Preise absehbar
Strömen weiter so viele Zuwanderer nach Deutschland, würden insgesamt noch mehr Wohnungen benötigt als die bisher prognostizierten 200.000 bis 250.000 pro Jahr. Selbst diese werden aber noch nicht gebaut: 2011 wurden nur 183 000 Wohnungen fertiggestellt. Immerhin: Das sind knapp 15 Prozent mehr als 2010. Der Markt reagiert also auf die gestiegene Nachfrage. Der Trend dürfte anhalten: 2012 haben Bauherren für über 240 000 neue Wohnungen eine Baugenehmigung bekommen.
Dass ein Überangebot die Preise drücken könnte, ist nicht absehbar. Neben der Zuwanderung sorgt dafür auch die steigende Zahl der Ein- und Zweipersonenhaushalte für Nachfrage. „In Hamburg, München oder Berlin sind deutlich weniger Wohnungen fertiggestellt worden, als zusätzliche Haushalte gebildet wurden“, sagt Just.
Immobilien sind erschwinglich
Die gute Nachricht: In den meisten Städten können sich Käufer Immobilien auch noch leisten. Die meisten von ihnen, vor allem Selbstnutzer, finanzieren ihre Immobilie zum größten Teil per Kredit und profitieren von den stark gefallenen Zinsen für Baugeld. Der Zinsrückgang habe den Preisanstieg bei Immobilien „deutlich überkompensiert“, ergab eine aktuelle Studie des Verbands deutscher Pfandbriefbanken. Es sei daher nicht schwerer, sondern leichter geworden, Wohneigentum zu bilden.
Selbst in Städten mit stark anziehenden Preisen glichen die niedrigeren Zinsen den Preisanstieg demnach aus. Da zugleich das verfügbare Haushaltseinkommen in den vergangenen Jahren gestiegen ist (allein zwischen 2007 und 2011 um neun Prozent), ist die tatsächliche Belastung der Käufer, gemessen an ihrer Kaufkraft, noch stärker gefallen.
Setzt man die Immobilienpreise und das verfügbare Einkommen ins Verhältnis und definiert den langfristigen Durchschnitt dieses Verhältnisses als Grenze zwischen Unter- und Überbewertung des Immobilienmarktes, sind die Immobilienpreise in Deutschland sogar zu niedrig. Sie könnten bis 2020 jedes Jahr um drei Prozentpunkte mehr steigen als das verfügbare Einkommen, ohne dass der langfristige Durchschnitt dieses „Erschwinglichkeits-Index“ überschritten würde, zeigt eine Studie von Deutsche Bank Research. Aktuell wäre der deutsche Markt nach diesem Maß noch „20 Prozent unterbewertet“.
Niedrigere Renditen
Für einen tragfähigen Aufschwung am Immobilienmarkt spricht auch, wenn die Mieten mit dem Preisanstieg mithalten. Dahinter steckt folgende Überlegung: Steigen die Mieten um fünf Prozent, sind Investoren bereit, fünf Prozent mehr für eine Immobilie zu zahlen – ihre Rendite bliebe unter dem Strich die gleiche.
Steigen die Kaufpreise hingegen, ohne dass die Mieten anziehen, müssen Investoren sich mit geringeren Renditen zufriedengeben. Das Risiko, dass sie verkaufen oder gar nicht erst kaufen, nimmt bei stagnierenden Mieten und steigenden Kaufpreisen also zu.
In den vergangenen Jahren der Euro- und Staatsschuldenkrise sind die Renditen risikoarmer Geldanlagen gesunken. Deutsche Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit etwa bringen nur noch 1,7 Prozent Zins pro Jahr. „Selbst wenn die Mieten in vielen Städten etwas langsamer gestiegen sind als die Preise, sind die Mietrenditen weiterhin deutlich höher als die Anleihezinsen – sogar in den Top-Lagen in München, Hamburg oder Berlin“, sagt Just. Der Renditeabstand zu Anleihen sei heute sogar höher als vor drei oder fünf Jahren. Das sichert den Markt gegen eine Verkaufswelle ab.
Risiko Mietpreisbremse
Nach Daten von Immobilienscout24 sind unter den 50 größten Städten nur in München, Freiburg und Hamburg die Wohnungspreise seit 2008 deutlich stärker gestiegen als die Mieten. In München steht dem Preisanstieg von 39 Prozent nur ein Mietzuwachs von zwölf Prozent gegenüber. Im Durchschnitt aller 50 Städte sind die höheren Preise aber weitgehend durch höhere Mieten gedeckt. 2012 stiegen die Mieten in den 50 Städten durchschnittlich um 3,1 Prozent. Einen leichten Mietanstieg bei rückläufigen Kaufpreisen gab es in den vergangenen Jahren im Ruhrgebiet, vor allem in Dortmund, Bochum und Gelsenkirchen. Hier wollen Käufer für die langfristig mauen Anlagechancen wohl mit noch höheren Mietrenditen entschädigt werden.
Ein gewisses Risiko droht Investoren von der Politik: Steigende Mieten werden eines der Top-Themen im Bundestagswahlkampf sein. Die SPD plant eine stärkere Deckelung von Mieterhöhungen. Die Politiker könnten steigenden Mietrenditen damit einen Riegel vorschieben, würden langfristig aber neue Bauherren verschrecken und für ein knapp bleibendes Immobilienangebot sorgen. Dann könnten die Preise sogar noch stärker steigen – und Eigentümern weitere Wertzuwächse bescheren.
Farbbeutel gegen Mietsprünge
Der Deutsche Mieterbund warnt schon vor unbezahlbaren Mieten: In Groß- und Universitätsstädten müssten neue Mieter heute oft 30 Prozent mehr zahlen als die Durchschnittsmiete vor Ort. Da hilft es kaum, dass der Maklerverband IVD vorrechnet, dass Mieter in den vergangenen Jahren einen nahezu konstanten Anteil ihres Nettoeinkommens für Wohnkosten aufbringen müssen.
Selbst aus Sicht der Kapitalanleger ist es wichtig, dass Mieter sich das Wohnen vor Ort noch leisten können. Sonst kommt es schnell zu sozialen Spannungen, die auch dem Immobilienmarkt schaden. In Berlin ist das in Teilen Kreuzbergs zu beobachten, etwa in der Lausitzer Straße. Kaum ist dort, zwischen Altbauten und Nachkriegswohnblocks, ein Haus frisch saniert, fliegen Farbbeutel auf die frisch getünchte Fassade. Um die Ecke wird auf einem großen Transparent auf die nächste Aktion Mitte Februar hingewiesen: „Zwangsräumung blockieren!“
Im Ranking (erhältlich im WiWo-Shop) schneiden Städte schlechter ab, wenn die Bewohner vor Ort einen größeren Teil ihres Einkommens für das Wohnen vor Ort aufbringen müssen als anderswo. Vor allem in München und Frankfurt ist die Belastung für Mieter groß. In Hamburg hingegen sind Mieten und Kaufpreise für die Bewohner vor Ort eher zu verschmerzen. Das absolute Niveau ist dort zwar hoch, aber nicht spitze, das verfügbare Einkommen dafür mit knapp 23.000 Euro pro Kopf deutlich höher als in den meisten anderen Städten. Im Ranking ist das entscheidend und macht Hamburg für Immobilienkäufer attraktiver als etwa Frankfurt und München, die bei den übrigen Standortfaktoren ähnlich gut abschneiden.
Für die fünf größten Städte, Hamburg, Berlin, Frankfurt, Köln und München, hat die WirtschaftsWoche die Preise auch auf Stadtteilebene ausgewertet und mit der dortigen Kaufkraft verglichen.
In Berlin sind zum Beispiel im noblen Stadtteil Grunewald, im Südwesten gelegen, die Preise am höchsten. Gemessen an der Kaufkraft der gut verdienenden Bewohner vor Ort, sind Mieten und Preise zwar teuer, aber besser tragbar als zum Beispiel in Kreuzberg. Obwohl Mieten und Kaufpreise dort gut ein Viertel günstiger sind, sind sie für die weniger einkommensstarken Kreuzberger relativ teurer. Die detaillierten Tabellen für die Stadtteile der Großstädte mit Wohnungspreisen, Wohnungsmieten, Preis-Kaufkraft-Relation und Preisprognose finden Sie ebenfalls im WiWo-Shop.
Münchner müssen flüchten
Sind Preise und Mieten für die Bewohner vor Ort erträglich, steigert das die Chance auf einen anhaltenden Preisanstieg. In einigen Städten sei „die Grenze des Bezahlbaren schon erreicht“, sagt Michael Kiefer, Leiter Immobilienbewertung bei Immobilienscout24. Bauträger bräuchten bei hochpreisigen Wohnungen auch an beliebten Standorten mittlerweile länger, bis sie Käufer gefunden haben.
Außergewöhnlich große Preissprünge von über zehn Prozent pro Jahr werden daher kaum zur Regel werden. Selbst die berufsbedingt optimistischen Makler gehen davon nicht aus. „Derart starke Preis- und Mietsteigerungen, wie wir sie 2011 und 2012 in den besonders begehrten Wohnlagen vieler Großstädte und Ballungsräume erlebt haben, werden 2013 höchstwahrscheinlich nicht mehr auftreten“, sagt Jürgen Schick, Vizepräsident des IVD.
In Zukunft dürften auch regionale Faktoren wieder eine stärkere Rolle spielen: So ließen sich in Berlin problemlos weitere Wohnungen in städtischen Lagen bauen, es gibt genügend freie Flächen. Obwohl die Hauptstadt seit Jahren Einwohner dazugewinnt, hat sie immer noch eine Million Einwohner weniger als zum Höchststand vor gut 70 Jahren. Steigt das Angebot dann kräftig, was derzeit noch nicht absehbar ist, könnte das den Preisanstieg dämpfen.
In Hamburg oder München dagegen ist kaum Platz für große Neubauprojekte vorhanden. Hier müssen Wohnungssucher künftig noch stärker auf Randlagen ausweichen, was die Preise in den Innenstädten stützen und die im Umland weiter antreiben dürfte. So müssen nach städtischen Prognosen bis 2030 in München 116.000 neue Wohnungen entstehen. Die vorhandenen Bauflächen reichen dafür nicht aus. Deshalb muss München „nachverdichten“, wie das im Jargon der Städteplaner heißt – nachträglich in gewachsenen Stadtteilen neue Bauflächen ausweisen und dafür auch Grünflächen aufgeben. Etwa die Hälfte des Bedarfs soll so gedeckt werden.
Selbst dann werden viele Wohnungssuchende noch außerhalb Münchens Ausschau halten müssen. Schon heute suchen sie im Umkreis von bis zu 60 Kilometern nach einer Bleibe. Entlang der A 8 zwischen Augsburg und München etwa sind die Quadratmeterpreise für Einfamilienhäuser auch auf dem Land untypisch hoch.
Rechnen Münchner Arbeitnehmer nach, ziehen sie sowieso besser nach Augsburg. Eine 80 Quadratmeter große Wohnung kostet dort pro Jahr durchschnittlich 6800 Euro Kaltmiete, in München wären 11 500 Euro fällig. Mit dem ICE schaffen Pendler die Strecke zwischen beiden Städten in einer halben Stunde. Die Monatskarten für die Bahn kosten pro Jahr nur 2650 Euro, die sich auch noch von der Steuer absetzen lassen.
Unter dem Strich hätte ein Arbeitnehmer am Jahresende rund 2850 Euro mehr in der Tasche, wenn er, statt in München zu wohnen, von Augsburg pendeln würde. Zu mäßigen 1,0 Prozent Zinsen aufs Tagesgeldkonto gelegt, wären dies nach zehn Jahren 30.115 Euro. Damit ließen sich in Augsburg gut 20 Prozent einer 80-Quadratmeter-Wohnung anzahlen – zu heutigen Preisen, versteht sich.
Hier finden Sie das komplette Immobiliendossier der WirtschaftsWoche mit dem exklusiven Ranking der 50 größten Städte von Aachen bis Wuppertal, Daten zu Immobilienpreisen und wichtigen Standortfaktoren. Außerdem die Angaben für die einzelnen Stadtteile von Berlin, Hamburg, München, Köln und Frankfurt. Plus: Teil I und Teil II der Serie Wohnungsmarkt (Politische Lösungsansätze gegen die Wohnungsnot; Reportagereise zu Brennpunkten des Wohnungsmarkts). Preis: 1,99 Euro