Verursacher der Finanzkrise Jagd auf Goldman Sachs, Deutsche Bank & Co.

Die US-Aufsicht SEC attackiert die Wall Street wegen zweifelhafter Finanzkrisen-Geschäfte. Banken und Hedgefonds wie der von John Paulson verdienten an den Deals Milliarden, zum Beispiel auf Kosten der IKB-Bank. Neben Goldman Sachs steht auch die Deutsche Bank im Feuer.

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john paulson Quelle: Getty Images

Steve Eisman vom Hedgefonds Front Point konnte es kaum fassen. Das Angebot war einfach zu gut: Greg Lippmann, Wertpapierhändler der Deutschen Bank in New York, bot ihm CDS an – Kreditversicherungen, mit denen sich auf einen Zusammenbruch des US-Immobilienmarkts wetten ließ. Nur zwei Prozent Versicherungsprämie pro Jahr sollte Eisman dafür zahlen. Eisman war damals, im Sommer 2006, schon davon überzeugt, dass viele mittellose US-Hauskäufer ihre Schulden bald nicht mehr bedienen würden – sodass die Kredite platzen und die von Lippmann angebotenen CDS-Kreditversicherungen ihren Wert vervielfachen würden. Trotzdem zögerte Eisman. Er begriff nicht, wer gegen ihn wetten wollte, wer also das Risiko auf sich nehmen wollte, ihm solch halsbrecherische Versicherungen gegen den Zusammenbruch des todgeweihten Markts für US-Immobilienkredite schwacher Schuldner (Subprime-Markt) zu verkaufen.

„Wer ist auf der anderen Seite?“, fragte er Lippmann, „wer ist der Idiot?“ Die Antwort des Deutsche-Bank-Händlers: „Düsseldorf. Dumme Deutsche. Die nehmen die Ratingagenturen ernst. Die glauben an die Regeln“.

Düsseldorf. Dort sitzt die Deutsche Industriebank (IKB), die knapp ein Jahr später vom deutschen Steuerzahler vor der Pleite gerettet werden musste. „Wenn wir Lippmann fragten, wer den Mist kaufte, sagte er immer nur: Düsseldorf“, bestätigte Eismans Kollege bei Front Point, Vincent Daniel.

"Dumme Deutsche"

Überliefert hat die Dialoge zwischen dem Deutschbanker und den Hedgefonds-Managern der Exbanker und renommierte Finanzjournalist Michael Lewis, in seinem gerade erschienenen Buch „The Big Short“. Seine Darstellung wurde nach Angaben seines Verlags Penguin bisher von niemandem angefochten. In Deutsche-Bank-Kreisen heißt es dazu etwas hilflos, einige Formulierungen in dem Buch seien „so nicht akzeptabel“.

Laut Lewis verkaufte die Deutsche Bank vor dem großen Crash, der Mitte 2007 einsetzte, Milliardensummen an CDS-Versicherungen gegen den Crash an Hedgefonds. Auf der anderen Seite dieser Geschäfte, die Hedgefonds reich machten, standen nicht zuletzt die überforderten Investoren in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt.

Zu oft lag die IKB bei Derivategeschäften um US-Immobilien falsch. Bei Deals von Lippmanns Arbeitgeber Deutsche Bank, bei anderen Investmentbanken und auch bei Geschäften mit der US-Investmentbank Goldman Sachs (siehe Grafik Seite 85). Im Juli 2007 machte dann Lippmanns oberster Chef Josef Ackermann auf die existenzbedrohende Schieflage der IKB aufmerksam. Er alarmierte Bundesbank und Finanzministerium – nachdem er der IKB die Kreditlinien gestrichen hatte. Er wird gewusst haben, warum.

Paulson verdiente an der Finanzkrise Milliarden

Das Geschäft mit den dusseligen Düsseldorfern überzeugte Eisman letztlich. Sein Hedgefonds wettete auf einen Einsturz des US-Immobilienmarkts und verdiente in der Finanzkrise insgesamt 400 Millionen Dollar mit CDS. Fast zehnmal so viel gewann John Paulson, Gründer des Hedgefonds Paulson & Co: Als der Subprime-Markt 2007 zusammenbrach, verdiente er persönlich 3,7 Milliarden Dollar. Sein Hedgefonds sackte insgesamt weitere elf Milliarden Dollar ein.

Paulson hatte ebenfalls mit der Deutschen Bank Geschäfte gemacht – und er hatte auf Lippmanns Argumente gehört, die der in einer Präsentation vom August 2006 mit dem Titel „Wetten auf den Wertverfall riskanter Hauskreditpakete“ zusammengefasst hatte. Untertitel: „Eine Strategie, um bei einem sich verlangsamenden Häusermarkt abzukassieren.“ In einem Brief an seine Investoren behauptete Paulson dagegen noch vor wenigen Tagen, „bis zu dem Marktkollaps seien Immobilienkredite als eines der sichersten möglichen Investments betrachtet“ worden. Die ihm bekannten Argumente von Deutsche-Bank-Händler Lippmann vom August 2006 sagen etwas anderes.

Josef Ackermann. Der Quelle: dpa

„Es ist zunehmend offenkundig, dass der Hausmarkt-Boom der vergangenen zehn Jahre an sein Ende gekommen ist“, heißt es in Lippmanns Präsentation. „Fast 775 Milliarden Dollar an Subprime-Krediten“ würden „in den kommenden drei Jahren Zahlungsschocks erfahren.“ Die Präsentation enthält auch eine Folie mit dem Titel „Was bedeuten Kreditratings wirklich?“, in der es heißt, dass mit „AAA“ sehr gut bewertete Kredite, je nach Kredit, eine vier bis zehn Mal so hohe Ausfallwahrscheinlichkeit haben könnten wie im Basisszenario der Ratingagenturen. Das bedeutete, dass viele abgesicherte Kredite viel riskanter waren, als es ihr exzellentes Rating vermuten ließ. Die Ratingagenturen ernst zu nehmen kann gefährlich sein.

Der Crash der Subprime-Kredite war 2006 für Marktkenner absehbar, doch noch immer verkauften Investoren wie die IKB mithilfe von Deutscher Bank oder Goldman Sachs den Hedgefonds viel zu billige Versicherungen gegen Wertverluste der Schrottkredite.

„Es ist wahr, dass der Markt das Auslöschungs-Szenario für Subprime-Immobilienkreditpakete nicht einpreist“, schrieb ein Mitarbeiter von Paulsons Hedgefonds im Januar 2007 in einer E-Mail. „Meiner Meinung nach liegt das daran, dass die Ratingagenturen, die Verwalter von komplexen Kreditpaketen und die Banken, die solche Geschäfte betreuen, alle einen Anreiz haben, dass das Spiel weitergeht“, so der Hedgefondsmanager.

Paulson selbst und seine Mitarbeiter sind Schlüsselfiguren in einem Verfahren, das die US-Börsenaufsicht SEC jetzt gegen Goldman Sachs angestrengt hat. SEC-Chefermittler Robert Khuzami hat gegen Goldman eine Klage wegen Wertpapierbetrugs eingereicht.

Brisante E-Mails

Goldman soll Investoren wie der IKB Papiere verkauft haben, die von US-Schrottimmobilien abhängig waren. Dabei soll die Bank verheimlicht haben, dass Hedgefondsmanager John Paulson auf der anderen Seite des Geschäfts stand. Paulson wettete also mithilfe der Bank auf den Kollaps des Subprime-Markts und soll laut Klage auch noch selbst die Papiere ausgesucht haben, die in dem Kreditpaket landeten.

Die SEC-Klageschrift enthält brisante E-Mails von Paulsons Hedgefonds und vom zuständigen Goldman-Mitarbeiter Fabrice Tourre, der sich selbst „der fabelhafte Fab“ nannte. Tourre hatte, wie Lippmann von der Deutschen Bank, der über die dummen Deutschen spottete, kein Problem damit, Kunden ins Verderben zu schicken – solange er daran gut verdiente. Einem Freund schrieb er am 23. Januar 2007, während er das Geschäft mit der IKB vorbereitete: „Mehr und mehr Kredite im System, das gesamte Gebäude steht davor, im nächsten Moment zusammenzubrechen... Nur ein möglicher Überlebender, der fabelhafte Fab, er steht inmitten all dieser komplexen, stark kreditfinanzierten, exotischen Handelsgeschäfte, die er geschaffen hat, ohne unbedingt alle Folgen dieser Monstrositäten zu verstehen!!!“

Die SEC-Klage gegen Goldman

Unmittelbare Folge dieser Monstrositäten war die welterschütternde Finanzkrise. Spätfolgen treffen nun den Arbeitgeber des in der vergangenen Woche beurlaubten Tourre. Goldman-Chef Lloyd Blankfein, ein Händler-Typ wie Tourre, der sein Selbstbewusstsein nur wenig dezenter zu Markte trägt („Wir verrichten Gottes Werk“), hat mit der Klage ein gravierendes Problem am Hals. Erste Analysten forderten bereits seinen Rücktritt, die Goldman-Aktie verlor seit vorvergangenem Freitag 15 Prozent – trotz wieder einmal starker Quartalszahlen. In Gesprächen mit Kunden griff Blankfein die US-Börsenaufsicht bereits scharf an. Die Klage gegen die Bank sei politisch motiviert und werde „Amerika schaden“, berichtete ein von Blankfein angerufener Kunde der „Financial Times“.

Was wirft die SEC Goldman vor?

In der Klage geht es um „Abacus“, ein Paket aus CDOs („Collateralized Debt Obligations“). Diese bestehen wiederum aus CDS, die immer dann einspringen sollten, wenn schwachbrüstige US-Hausbesitzer ihre Immobilienkredite nicht mehr bedienen konnten. In Abacus steckte also vereinfacht gesagt das Risiko aus den Geschäften von Goldman mit Hedgefondsmanager Paulson. Zur Erinnerung: Paulson hatte sich über die von Goldman verkauften CDS eine Versicherung gegen einen Crash des US-Häusermarkts gekauft und so auf diesen Crash gewettet. Weil Goldman das Risiko als Wettpartner von Paulson nicht tragen wollte, gab die Bank CDS-Positionen an Abacus ab. Abacus wiederum landete bei der IKB. Damit versicherten die Rheinländer im Ergebnis also CDS-Käufer Paulson gegen mögliche Zahlungsausfälle bei den Subprime-Krediten.

Die größten Arrangeure von Kreditderivat-Paketen

Der IKB brachte das Geschäft faktisch jährliche Versicherungsprämien ein, die als Zinsen an sie flossen. Sobald die mittellosen Amerikaner ihre Kredite aber nicht mehr bedienten, war die IKB dran.

Das alles ist noch nicht verwerflich: Zwei Seiten am Markt – IKB und Paulson – gehen eine Wette ein. Eine Seite verliert, eine gewinnt. Banken und Vermittler dazwischen kassieren Gebühren.

Goldman aber, so der Vorwurf der SEC, soll getäuscht haben. Die Bank habe Geschäftspartnern in einer E-Mail mitgeteilt, dass Hedgefondsmanager John Paulson als „Transaction Sponsor“ des Abacus-Geschäfts auftreten werde. Sponsor zu sein bedeutet hier nach gängiger Auffassung, eine Investition in das CDO-Paket, oft sogar in den am meisten ausfallgefährdeten Teil des Kreditpakets, den sogenannten Equity-Teil.

Doch Paulson investierte überhaupt nicht in Abacus, sondern spekulierte dagegen, indem er über Goldman die CDS kaufte. Die aber gewannen gerade dann gewaltig an Wert, als die Häuserkredite notleidend wurden und Abacus – in dem ja die Verpflichtungen der Versicherungsgeber gebündelt waren – an Wert verlor. So büßten die Abacus-Investoren eine Milliarde Dollar ein, während Paulson eine Milliarde Dollar gewann.

Zweiter Vorwurf der SEC: Paulson wettete gegen ein Kreditbündel, das er selbst mit zusammenstellte. Offiziell sollte der von Goldman eingesetzte CDO-Spezialist ACA die Papiere auswählen, die in Abacus gebündelt wurden. Doch ACA bekam von Paulsons Hedgefonds eine Liste mit Krediten, auf deren Ausfallrisiko Abacus basieren sollte. Auch wenn nicht alles von der Wunschliste im CDO landete, segnete Paulson doch die Endauswahl ab. Paulson, so der Verdacht, konnte also der IKB und anderen die miesesten Kredite unterjubeln, für deren Ausfall diese dann geradezustehen hätten.

Profit aus dem Zusammenbruch

„Ein CDO-Manager wie ACA muss sicherstellen, dass die Vermögensgegenstände im CDO kreditwürdig sind“, sagt Jim Finkel. Der gebürtige Pittsburgher mit dem kahlgeschorenen Schädel arbeitete bis 2003 im CDO-Geschäft der Deutschen Bank. Dann gründete er seine Firma Dynamic Credit Partners, die selbst CDOs verwaltet. Ähnliche Projekte wie Abacus habe er jedoch stets abgelehnt, besonders dann, wenn ein „Shortseller“ dahinterstand — also jemand, der auf den Ausfall von Krediten wetten wollte, ohne sie zu besitzen.

Im Goldman/IKB-Deal war Paulson ein solcher Shortseller, der über CDS aus einem Zusammenbruch des Immobilienmarkts Profit schlagen wollte. „Wenn man weiß, dass ein Shortseller einen CDO vorantreibt, stellt das den Zweck des Geschäfts infrage“, sagt Finkel. Denn der CDO-Verwalter soll ja mit dem Kreditpaket Gewinne erwirtschaften – und nicht auf den Kollaps des Pakets hinarbeiten.

Ein Anwalt in Frankfurt drückt das Problem mit Paulsons Engagement für die übrigen Investoren so aus: „Ich wette ja auch nicht auf den Sieg eines Fußballteams, dessen Aufstellung mein Wettgegner bestimmen darf.“

Allerdings war Goldman Sachs für das kleine Unternehmen ACA ein so wichtiger Kunde, dass es nicht gern bereit gewesen sein dürfte, Goldmans Wünsche und die seines guten Kunden Paulson abzuweisen. „ACA hing von seiner Beziehung zu Goldman ab, um Kunden anzuziehen. Es war sehr wichtig für ACA, den Kunden zeigen zu können, dass Goldman bei ihnenKreditabsicherungen kaufte“, so Finkel.

Goldman-Chefjustiziar Greg Palm sagt, die IKB könne nicht behaupten, sie hätte nicht gewusst, was sich im Abacus-CDO befand, schließlich habe die Bank selbst einige Vorschläge gemacht, also „haben sie sich das Portfolio im Detail angesehen und waren offenbar sehr zufrieden damit“, sagt Palm. Zudem habe jeder der beiden Investoren gewusst, dass es bei diesen Geschäften eine Gegenseite gebe, die darauf wettete, dass sich die Preise in die andere Richtung entwickeln. Das muss bei CDOs aber nicht so sein — sie könnten ja auch aus CDS bestehen, mit denen ein Immobilienkredit-Besitzer seinen Bestand absichern will, anstatt wie Paulson auf einen Crash zu wetten.

Goldman Sachs Chef Lloyd C- Quelle: REUTERS

Kreditmarkt-Experte Finkel bezeichnet es als „sehr ungewöhnlich“, dass ein Investor dem CDO-Manager eine Liste mit Wunschkandidaten für das Kreditpaket schickt, wie es Paulson getan hat. „Das hätte den Investor und das Geschäft beim CDO-Manager verdächtig machen müssen“, sagt Finkel.

„Um den Fall zu gewinnen, muss die Börsenaufsicht beweisen, dass der CDO-Verwalter ACA sich darauf verlassen hat, dass Paulson das Ausfallrisiko für den riskantesten Teil des Kreditpakets übernehmen und in den Equity-Teil von Abacus investieren wollte“, sagt Finkel. „Hätte ACA gewusst, dass Paulson das Equity-Teil nicht kauft, hätten sie das Geschäft möglicherweise nicht gemacht — das wäre also ein Geschäft im Vertrauen auf falsche Informationen, was man rechtlich geltend machen könnte.“ Ein Schaden, der auf falschen oder irreführenden Aussagen beruht, wird ersetzt, heißt es im US-Recht.

Das ist die große Gefahr für Goldman Sachs. Die E-Mails an Goldman, die in der Klageschrift zitiert werden, legen nahe: ACA glaubte, dass Paulson einen Teil des CDO kaufen wollte. „Goldman hätte dieses Missverständnis korrigieren sollen“, sagt Finkel. Indem die Bank es nicht tat, verleitete sie ACA zu glauben, dass Paulson den Equity-Teil übernehmen wollte, so die SEC. Der Täuschungsvorwurf besteht selbst dann, wenn Paulson ACA mitgeteilt hätte, gegen einen Teil des CDO wetten zu wollen. Bei anderen Hedge-fonds war es üblich, gegen einen Teil eines CDO zu wetten und gleichzeitig einen anderen Teil des CDO zu kaufen.

Vertrauensverlust und Schadenersatzklagen

Goldman widerspricht dem Vorwurf, Kunden wider besseren Wissens Müll angedreht zu haben: Goldman selbst habe schließlich so sehr an die Qualität des CDO geglaubt, dass die Bank am Ende selbst einen Teil des Abacus-Geschäfts, nämlich das riskante Equity-Teil, behalten und über 100 Millionen Dollar damit verloren habe. Die Agentur Reuters berichtet dagegen unter Berufung auf Insider, Goldman habe versucht, auch diesen Teil von Abacus zu verkaufen, sei mangels Nachfrage aber darauf sitzen geblieben.

Unabhängig vom Ausgang des SEC-Verfahrens drohen Goldman Vertrauensverlust und Schadensersatzklagen. „Was sagen Sie Ihren Kunden?“, wollte — ausgerechnet — Deutsche-Bank-Aktienanalyst Michael Carrier Mitte vergangener Woche von Goldman-Finanzchef David Viniar wissen. „Die Kunden stehen zu uns, solange wir herausragende Dienste für sie bereitstellen“, antwortete der.

Einen Tag später kündigte die BayernLB der US-Bank ein Beratungsmandat. Die IKB und ihr ehemaliger Hauptaktionär KfW erwägen Klagen gegen Goldman. Die dürften nur der Anfang sein. „Zahlreiche Investoren prüfen derzeit Ansprüche gegen Investmentbanken“, sagt ein Bankrechtler bei einer Großkanzlei in Frankfurt. Er rechne fest damit, dass es in den kommenden Monaten zu einer Vielzahl von Schadensersatzklagen kommt. Auch die Deutsche Bank müsse Strafen und Schadensersatzforderungen fürchten, weil sie in ähnliche Geschäfte verwickelt war wie Goldman Sachs. Der Anwalt ist überzeugt: „Es beginnt die nächste Phase der Aufarbeitung der Finanzkrise“.

Die Jagd ist eröffnet

Die Banken sind bereits gewarnt: Im vergangenen Jahr forderte die SEC nicht nur von Goldman weitere Informationen zu Verkaufsmethoden für komplexe CDS-Pakete. Auch Deutsche Bank, Credit Suisse, UBS, Bank of America Merrill Lynch, Barclays, Citigroup und Morgan Stanley erhielten Aufforderungen zur Beweisauskunft („Subpoena“). Solch eine Beweiserhebung gilt als Zeichen, dass die Börsenaufsicht bei ihren Ermittlungen einen Gang höher schaltet.

Dass die übrigen Investmentbanken sich bisher öffentlich noch in Sicherheit wiegen, muss nichts heißen. Der Schlag der Börsenaufsicht traf auch Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein völlig unerwartet. „Wir waren einigermaßen überrascht am Freitagmorgen, dass es eine Klage gibt und dass uns niemand davon erzählt hatte“, sagt Chefjustiziar Palm.

Besonders die Deutsche Bank hat Grund zur Sorge. Eine Rangliste der größten Hersteller von CDOs zwischen Juni 2006 und Dezember 2007 zeigt ihren Namen an zweiter Stelle, übertroffen nur von Merrill Lynch (siehe Grafik Seite 83). Goldman taucht dort nur deshalb nicht auf, weil es als einzige große Investmentbank keine Daten lieferte.

Beunruhigend für die Deutsche Bank: Ihr größter Rivale auf der Rangliste, Merrill Lynch, hat bereits eine ähnliche Klage am Hals wie Goldman. Die niederländische Rabobank verklagte Merrill auf Schadensersatz. „Dies ist nur die Spitze des Eisbergs, was Goldman betrifft und andere Banken, die das Kartenspiel gegen die Investoren gezinkt haben“, sagt Anwalt Jon Pickhardt von der Kanzlei Quinn, der die Rabobank bei ihrer Klage gegen Merrill Lynch vertritt.

die Methode von Goldmann sachs

Auch die Deutsche Bank ist bereits von einem Rechtsstreit betroffen, bei dem sich der Kläger durch den SEC-Vorstoß jetzt bessere Erfolgschancen erhofft. „Federal Home Loan Bank of San Francisco, Kläger, versus Deutsche Bank Securities“ steht über der Klageschrift, die am 15. März 2010 beim San Francisco Superior Court einging. Die kalifornische Bank fordert von der Deutschen Bank und anderen Banken Schadensersatz und die Annullierung von Geschäften, bei denen sie für 5,4 Milliarden Dollar Anteile an 33 CDO-Paketen kaufte, deren Wert vom US-Immobilienmarkt abhing. Weitere Beklagte sind JP Morgan, Bear Stearns, Credit Suisse, Royal Bank of Scotland, Greenwich Capital, Morgan Stanley, UBS und Merrill Lynch.

Auch in der New Yorker Hedgefonds-Szene rumort es heftig. Obwohl Paulson in der SEC-Klage gegen Goldman kein Fehlverhalten vorgeworfen wird, sind einige Kunden offenbar nervös geworden und erwägen, bei der nächsten Gelegenheit Ende des Monats ihr Geld abzuziehen. Ein Warnsignal für andere. „Der erste Reflex war Schadenfreude, denn niemand mag Goldman“, sagt ein Mitarbeiter des Teams, das bei Morgan Stanley Hedgefonds betreut, „doch dann blieb uns der Jubel schnell im Halse stecken, denn es war allen klar, dass das die ganze Branche treffen kann.“

Wohl wahr. „Ein großer Teil der Finanzbranche ist zum unsauberen Geschäft geworden — zu einem Spiel, in dem eine Handvoll Leute sehr großzügig dafür bezahlt werden, Kunden und Investoren irrezuführen und auszubeuten“, sagt Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman.

Steilvorlage für Obama

Die US-Regierung will sich damit nicht abfinden. Am kommenden Dienstag sollen Blankfein und Tourre vor einem Untersuchungsausschuss des Senats aussagen, der sich mit der Rolle der Investmentbanken während der Finanzkrise beschäftigt. Die Klage der Börsenaufsicht hat eine starke politische Dimension. Praktisch niemand an der Wall Street glaubt, beim Timing der SEC-Klage gegen Goldman Sachs könne es sich um puren Zufall handeln.

Zwar beteuern Sprecher der US-Regierung, die SEC sei eine unabhängige Behörde, und das Weiße Haus habe bei der Entscheidung für die Klage nicht die Finger im Spiel gehabt. Doch für die Regierung ist die Attacke gegen die Wall-Street-Ikone eine Steilvorlage. Die Betrugsvorwürfe werden Obama helfen, in den kommenden Wochen das umfangreiche Reformpaket für den Finanzsektor durchzuboxen, das riskante Geschäftspraktiken der Banken besser kontrollierbar machen und teils gar verbieten soll.

Offiziell sprechen sich die Top-Bankmanager zwar für die meisten Reformvorhaben aus. Sie möchten die Antipathie gegen die Wall Street in der breiten Öffentlichkeit nicht nähren. Doch hinter den Kulissen setzt eine Armada von Banklobbyisten in Washington sehr zum Ärger von Präsident Obama alles daran, das Reformvorhaben noch zu entschärfen.

Zunächst einmal aber wird Goldmans Dream-Team von erfahrenen Wall-Street-Anwälten alles daransetzen, dass die Klage vom Gericht sofort abgewiesen wird. Eine Flut von Verfahrensanträgen ist zu erwarten. Die SEC hat schon einen Vorgeschmack auf die bevorstehende Materialschlacht bekommen: Mit acht Millionen Dokumentenseiten hat die Bank die Behörde bereits zugeschüttet.

Die dünn besetzte SEC muss sich auf ein Kräftemessen einstellen, das ihre Kapazitäten und Mittel schnell überstrapazieren dürfte. Das gesamte Budget der Behörde beträgt in diesem Jahr gut eine Milliarde Dollar, so viel macht Goldman Sachs in einem Monat an Gewinn.

Innerhalb der SEC-Spitze war umstritten, ob überhaupt Klage erhoben werden soll. Von den fünf Commissioners waren zwei dagegen.

Stefan Ortseifen. Der Quelle: APN

Gut möglich, dass es am Ende kein Gerichtsverfahren gibt, sondern einen Vergleich zwischen Bank und Aufsicht. Nach den Skandalen zur Jahrtausendwende, als Analysten der Investmentbanken nach außen noch für Tech-Aktien getrommelt hatten, die sie intern längst als Mist bezeichneten, zahlten die Wall-Street-Banken zusammen mehr als 1,3 Milliarden Dollar.

Mittlerweile ermittelt auch die britische Aufsicht FSA gegen Goldman. Die deutsche Justiz ist alarmiert, immerhin. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt wartet auf Erkenntnisse der Finanzaufsicht BaFin, die wiederum bei der SEC nachgefragt hat.

Auch im politischen Berlin wird das Klima rauer für Goldman — und zunehmend auch für die Deutsche Bank. Mehrere Koalitionspolitiker, unter ihnen CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, forderten die Regierung auf, vorerst keine Geschäfte mehr an Goldman zu vergeben. „Wir sollten die Geschäftsbeziehungen mit der US-Bank erst einmal ruhen lassen, bis die Vorwürfe eindeutig geklärt sind“, sagt Frank Schäffler, Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Finanzausschuss. Gegen die Deutsche Bank solle der Bund Schadensersatzansprüche wegen deren Rolle in der IKB-Affäre prüfen. Laut Schäffler sei der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück „ernst zu nehmenden Vorwürfen nicht richtig nachgegangen“ und habe keine Schadensersatzansprüche geprüft. Das müsse nun Nachfolger Wolfgang Schäuble tun.

Möglicherweise kommt es nun doch noch zu einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur IKB-Pleite, die die deutschen Steuerzahler rund zehn Milliarden Euro gekostet hat. In der letzten Legislaturperiode hatte die schwarz-rote Koalition noch dagegen gestimmt, auch die FDP hatte nicht darauf bestanden.

Sperrfeuer aus Berlin

Unter dem Eindruck der neuen Betrugsvorwürfe dreht sich nun die Stimmung im Parlament. „Eine parlamentarische Aufarbeitung ist überfällig“, sagt der grüne Finanzpolitiker Gerhard Schick. „Allein Goldman Sachs wäre zu billig. Die Untersuchungen und Schadensersatzforderungen müssen sich auch gegen die Deutsche Bank richten.“

Indirekt sind die IKB-Geschäfte schon vor Gericht gelandet: Der ehemalige IKB-Chef Stefan Ortseifen verantwortet sich zurzeit vor dem Düsseldorfer Landgericht wegen des Vorwurfs der Börsenpreismanipulation und Untreue. Die IKB hatte fälschlicherweise mitgeteilt, dass ihr nur moderate Verluste am US-Immobilienmarkt drohten. Ortseifen hat vor Gericht der Deutschen Bank die Schuld am Zusammenbruch der IKB gegeben. Ackermann soll auch auf Wunsch der Staatsanwaltschaft am 12. Mai als Zeuge aussagen.

Die Deutsche Bank argumentiert, dass die IKB ebenfalls eine Bank sei und bei heiklen Investments über entsprechende Kompetenz verfügen müsse. Auch zwischen professionellen Geschäftspartnern gibt es jedoch Aufklärungspflichten, wenn nur eine Partei Umstände kennt, durch die die Wette auf die Entwicklung eines Marktes unfair wird. Bei der Deutschen Bank heißt es, dass ihre Skepsis gegenüber US-Immobilien seit 2005 öffentlich bekannt gewesen sei und sie Kunden auf die Risiken dort hingewiesen habe. Das Ausmaß der Verluste, das die Deutsche Bank in Lippmanns Präsentation den Hedgefonds in Aussicht gestellt hatte, dürften Kunden wie die IKB aber nicht ansatzweise erahnt haben.

Bereits im März 2008 hatte die Kanzlei Gauweiler, die die Deutsche Bank seit Jahren wegen der Pleite des Medienunternehmers Leo Kirch mit Klagen traktiert, den Freiburger Strafrechtsprofessor Walter Perron mit einem Gutachten beauftragt. In diesem kommt er zu dem Schluss, dass ein „Betrug durch Unterlassen“ seitens der Deutschen Bank nicht ausgeschlossen werden könne. „Hätte die Deutsche Bank der IKB das Ergebnis ihrer eigenen Analysen wahrheitsgemäß mitgeteilt, hätte die IKB die Anleihen wahrscheinlich überhaupt nicht oder allenfalls zu einem wesentlich geringeren Preis erworben“, so Perron.

Während Milliardenverlierer Ortseifen vor dem Landgericht um seinen Ruf kämpft, genießen die glücklichen Gewinner der Subprime-Krise ihren Reichtum, auch dank der Analyse von Deutsche-Bank-Händler Lippmann. Der stieg bei der Deutschen Bank bis zum Chef des CDO-Handels auf, wird das Institut jedoch jetzt verlassen.

Er geht zu einem Hedgefonds – aber nicht zu Paulson.

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