Der türkische EU-Minister Ömer Celik nennt Gülen gefährlicher als den vor fünf Jahren getöteten Al-Kaida-Chef Osama bin Laden, die Bewegung des Predigers gefährlicher als die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Celik sagt nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, Ziel des Ausnahmezustands sei es, „die Demokratie zu schützen, den Rechtsstaat zu schützen, die Rechte und Freiheiten unserer Bürger zu schützen und den Frieden in unserem Land zu schützen“.
Die Regierung in Ankara fühlt sich zutiefst missverstanden von der EU, in der angesichts des harten Vorgehens Erdogans die Rufe nach einem Ende des Beitrittsprozesses lauter werden. Mit jedem Tag vertieft sich der Graben zwischen Europa und der Türkei. Und mit jedem Tag verschärft sich die Polarisierung in der Türkei.
Kritiker wie der Chefredakteur der Zeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, werfen Erdogan „die größte Hexenjagd in der Geschichte der Republik“ vor. Dündar hält sich derzeit in Europa auf und dürfte sich hüten zurückzukehren, er befürchtet seine Festnahme. Der Journalist fragt in einem Gastbeitrag für den britischen „Guardian“: „Wir sind von einem Militärputsch befreit, aber wer schützt uns vor einem Polizeistaat?“ Dündar appelliert an die EU, nicht erneut die Augen zu verschließen, sondern Partei „für eine moderne Türkei“ zu ergreifen.
Ministerpräsident Yildirim kündigte am Freitag an: „Es ist nun die Zeit der Säuberung.“ Welche Auswirkungen die Maßnahmen haben werden, ist noch gar nicht abzusehen. Wie sollen diejenigen, die ihre Jobs verlieren, ihre Familien ernähren? Wer wird Kinder an den betroffenen Schulen nach den Sommerferien unterrichten? Werden die vielen Terroranschläge nun noch zunehmen, wenn die Sicherheitskräfte durch Massenfestnahmen und Suspendierungen geschwächt sind?
Angesichts der dramatischen Entwicklung gerät fast in Vergessenheit, dass im Südosten der Türkei bereits lange vor dem Putschversuch bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten. Die Armee ging mit einer Offensive gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vor. Vor allem zuständig dafür war der Kommandeur der Zweiten Armee, Vier-Sterne-General Adem Huduti. Huduti gehört zu 123 Generälen, gegen die wegen des Putschversuches Haftbefehl erlassen wurde.
Damit sitzt mehr als ein Drittel der Generäle des Nato-Partners Türkei – an dessen Südgrenze die Terrormiliz IS ihr Unwesen treibt – derzeit in Untersuchungshaft. „Keiner kann behaupten, dass die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte nicht geschwächt ist“, sagt ein Offizier eines westlichen Nato-Staates, der die türkische Armee gut kennt. „Das hat eklatante Auswirkungen.“
Die entstandenen Lücken in der Justiz und im öffentlichen Dienst will die türkische Regierung schnell schließen. Justizminister Bekir Bozdag kündigte die Einstellung von 3000 neuen Richtern und Staatsanwälten an. „Es wird keine Unannehmlichkeiten für unsere Bürger geben. Dafür haben wir Maßnahmen getroffen“, sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu vom Sonntag dem Sender Kanal 7.
Schon vor dem Putschversuch sei geplant gewesen, im November Prüfungen für 1500 neue Richter und Staatsanwälte anzubieten, sagte Bozdag. Aufgrund der „jüngsten Entwicklungen“ sei die Zahl der geplanten Neueinstellungen verdoppelt worden.
Bildungsminister Ismet Yilmaz kündigte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu vom Sonntag an, noch im laufenden Jahr mehr als 20.000 Lehrer neu einzustellen. Ursprünglich seien Neueinstellungen erst für kommenden Februar geplant gewesen. Aufgrund der „neu entstandenen Situation“ werde man aber schneller reagieren.
„Die Zahl an suspendierten Lehrern und die Verstaatlichung von Privatschulen haben für einen Bedarf gesorgt, der durch neu eingestellte Lehrer gedeckt werden wird“, sagte Yilmaz. Schüler, die bislang solche Privatschulen besuchten, sollten künftig von staatlich ausgewählten Lehrern unterrichtet werden. „Unseren Schülern sagen wir Folgendes: Keiner wird benachteiligt werden. Wir werden unserem Nachwuchs eine viel bessere Bildung als früher gewährleisten.“