Sie handelt davon, was passiert, wenn Gewinnstreben, Moral und klamme Staatskassen aufeinandertreffen. Sie zeigt, dass Märkte nicht immer zu optimalen Ergebnissen führen – sie auch gestört sein können durch asymmetrische Information, öffentliche Güter, Marktmacht und externe Effekte. Der Markt für Altkleider ist geradezu ein einzigartiges Panoptikum des ökonomischen Grauens: Alle Verzerrungen, die schon vereinzelt absurde Auswirkungen haben, hier existieren sie fröhlich nebeneinander.
I. Öffentliche Güter
In Daressalam, Tansania, ist der Einkaufsbummel an diesem Mittag ein Balanceakt auf Holzbohlen, doch das stört die Menschen nicht: Kaum ist die Sonne nach dem Regenguss zurück, zwängt sich Kundschaft durch die matschige Enge des Markts von Mchikichnini. Sofort wird es laut. Unter all dem Gebrüll immer wieder dieses eine Wort: „Mitumba“, der Suaheli-Begriff für „Ballen“. Das beschreibt den Zustand, in dem die Ware ankommt, um die sich hier alles dreht. Klamotten, sauber, aber ungebügelt und verschnürt, in Paketen zu je 50 Kilogramm. Mehr als 12.000 Händler bieten hier Tag für Tag ihre Waren an, es ist neben dem kenianischen Mombasa der zentrale Umschlagplatz für den kompletten ostafrikanischen Altkleidermarkt – den bedeutendsten der Welt.
Während in Ostafrika die meisten Abnehmer von Altkleidern leben, ist Deutschland einer der wichtigsten Exporteure. Das liegt zwar auch daran, dass Deutschland ein wohlhabendes und leidlich großes Land ist, in erster Linie aber an der einzigartigen Kultur des Sortierens und Wiederverwertens hierzulande. In Südeuropa sind Altkleidersammlungen völlig unüblich.
Triviale Erfindung
Bei uns waren es zunächst kirchliche und wohltätige Organisationen, die in der Nachkriegszeit begannen, von Tür zu Tür zu gehen, um die Spenden zu sammeln. Die gesammelten Klamotten landeten dann in Kleiderkammern, wo Bedürftige sich versorgen konnten. Bald aber überstieg die Menge der gesammelten Kleider die Nachfrage bei Weitem, man begann, die Kleider weiterzuverkaufen.
Eine ziemlich trivial erscheinende Erfindung machte Anfang der Neunzigerjahre daraus ein Geschäftsmodell: der Altkleidercontainer. Die Container standen von nun an dauerhaft an der Straße und wurden regelmäßig geleert. Für die Wohltätigkeitsorganisationen wurden die Altkleider so zur regulären Einnahmequelle. Sie schlossen Verträge mit Entsorgungsunternehmen ab, die feste Mengenpreise garantierten. Die Container passten perfekt in das Heimatland des „Kreislaufwirtschaftsgesetzes“: So wie wir leere Weinflaschen brav zum Glascontainer bringen, landen Altkleider im Container. Einfach wegwerfen? Wäre doch schade drum!
Insgesamt kommen so in Deutschland pro Jahr rund 750.000 Tonnen Altkleider zusammen, das entspricht 1,5 Milliarden ordnungsgemäß entsorgten Textilien oder einem Marktvolumen von rund 300 Millionen Euro – wenn die Klamotten verkauft werden. Das hinterlässt einen ordentlichen Profit, denn in der Herstellung sind sie unschlagbar günstig: Sie kosten nichts außer dem guten Willen des Entsorgenden.
Ein öffentliches Gut zeichnet sich allgemein dadurch aus, dass es in scheinbar unbegrenzter Menge verfügbar ist. So steht die Sache auch bei den Altkleidern: Was in den nie ausgeräumten Umzugskisten, unerreichbaren Regalmetern und vergessenen Schubfächern der deutschen Reihenhaussiedlungen lagert, würde genügen, um den Weltmarkt dauerhaft zu versorgen.
Das macht Altkleider attraktiv, aber wie bei jedem öffentlichen Gut gibt es auch hier einen Haken. Wenn die Nutzung nicht koordiniert erfolgt, sondern exzessiv, dann verbraucht es sich. Das passiert bei Altkleidern nicht auf so klassische Weise wie bei Fischgründen, sondern über Umwege. Denn den Kampf um die Altkleider gewinnt nicht derjenige, der den besten Preis bietet oder die besten Herstellungsverfahren kennt. Sondern wer die beste Geschichte zu erzählen hat – oder sie sich ausdenkt. Bald aber prangte auf jedem Container ein glückliches Kindergesicht, und die Suche nach dem Haken begann.