EU und Türkei Unionspolitiker stellen türkischen EU-Beitritt infrage

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"Nichts wird mehr sein wie früher"

Ähnliche Befürchtungen äußerte Manfred Weber, Europapolitiker der CSU. Die Beziehungen zur Türkei seien an einem Wendepunkt angelangt, so der Fraktionschef der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament am Montag im Deutschlandfunk. „Gerade die Grundsatzfrage, ob die Türkei ein Mitglied der Europäischen Union werden kann, wird in den nächsten Wochen grundsätzlich auch zu beantworten sein“, sagte er. Mit den jüngsten Entwicklungen sei eine solche Mitgliedschaft in weite Ferne gerückt.

Dass in den Beitrittsverhandlungen momentan irgendwelche Fortschritte erzielt werden könnten, „das scheint mir ziemlich irreal zu sein“, ergänzte Weber. Der richtige Weg sei, mit der Türkei wie mit anderen Nachbaren punktuell zusammenzuarbeiten und Abkommen zu schließen, etwas in der Flüchtlingsfrage. Man müsse dabei aber von einigen Vorstellungen Abschied nehmen. „Und dazu zählt für mich, dass die Türkei Vollmitglied der Europäischen Union werden kann“. Weber. Eine Zusammenarbeit brauche Ehrlichkeit, damit Vertrauen wieder wachsen könne.

"Der Präsident ist an der Macht"
An der Brücke feiern Regierungsanhänger das Ende des blutigen Militärputsches. Quelle: AP
In der Hauptstadt Ankara soll es weiterhin Schusswechsel geben. Hier gehen Zivilisten in Deckung. Quelle: REUTERS
Ankara in den frühen Morgenstunden Quelle: REUTERS
Chaos in Istanbul Quelle: AP
Erdogan am Flughafen Istanbul-Atatürk Quelle: REUTERS
Erdogan-Unterstützer warten Quelle: REUTERS
„Der Präsident ist an der Macht“, sagte Erdogan bei einer Pressekonferenz nach seiner Ankunft. Die Regierung werde hart gegen die Putschisten vorgehen. Quelle: AP

Weber forderte von der EU und der Türkei Besonnenheit im Umgang mit der aktuellen Situation. „Wir sollten keine Schnellschüsse an den Tag legen, im Sinne von Drohungen aussprechen“, sagte er mit Blick auf die EU. Die Türkei sollte die Lage nicht weiter eskalieren. Das Land müsse auf alle Fälle mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen die Beteiligten an dem jüngsten Putsch-Versuch vorgehen.

Zweifel daran wecken die jüngsten Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim, der vor Demonstranten in der Nacht zum Montag versprach, dass „nach dem 15. Juli nichts mehr wie früher“ sein werde. „Lasst uns diesen Feiertag auskosten“, rief Yildirim vor der Menschenmenge auf dem zentralen Kizilay-Platz.

Zudem deutete Yildirim erneut an, dass die Todesstrafe in der Türkei wiedereingeführt werden könnte. Lautstarke Forderungen der Menge nach der Todesstrafe beantwortete er mit: „Wir haben eure Botschaft erhalten.“ Die Putschisten würden „in strengster Weise zur Rechenschaft gezogen“.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnte die Türkei vor einem solchen Schritt: Emotionen und starke Worte seien der falsche Weg, so Asselborn. Die Türkei sollte selbstkritisch in sich gehen und sich fragen, wie es möglich sei, dass es überhaupt zu einem solchen Putsch-Versuch gekommen sei.

Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte: Jeder türkische Parlamentsabgeordnete müsse wissen, „dass die politische Instrumentalisierung der Justiz wie die Einführung der Todesstrafe das Ende der Beitrittsperspektive des Landes zur Europäischen Union bedeutet“. Die eigentliche Tragödie des gescheiterten Putsches in der Türkei bestehe darin, „dass die gewaltsame Ersetzung einer gewählten Regierung durch ein Militärregime durch die bemerkenswerte Zivilcourage von vielen tausend Menschen verhindert wurde und die Beseitigung von Demokratie und Rechtsstaat nun vom gewählten Staatspräsidenten selbst betrieben zu werden scheint“.

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Die EU zeigte sich ebenfalls beunruhigt über die Lage im Land. Das Vorgehen der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan gegen ihre Gegner mache ihn sehr besorgt, sagte der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn am Montag in Brüssel. Offenbar seien Listen für Verhaftungen bereits vorbereitet gewesen. „Dass die Listen schon nach dem Ereignis verfügbar waren, weist darauf hin, dass es vorbereitet war.“

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Grundsätze müssten eingehalten werden – auch „zum Wohle des Landes selbst“. Dazu werde es beim Treffen der EU-Außenminister am Montag in Brüssel eine „starke Botschaft“ geben. Es gebe „keine Entschuldigung“ für Schritte, die das Land von rechtsstaatlichen Grundsätzen entfernten.

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