Nach der Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich 1945/46 gab es zwar mehrere Putsche, aber grundsätzlich ein durch Zivilität gekennzeichnetes friedliches und funktionierendes Gemeinwesen. Die Nahda-Nahost-Renaissance-Bewegung war in Syrien geboren, um – wie ich es in meinem Buch „Vom Gottesstaat zum Nationalstaat“ beschrieb – Anschluss an die Moderne zu finden.
Eine Mehrheit aus arabischen Sunniten (ca. 75 Prozent) lebte in den Großstädten mit den religiösen und ethnischen Minderheiten der Christen (ca. 8 Prozent), Kurden (ca. 5 Prozent), Drusen, Armenier, Assyrer und anderen in gegenseitigem Respekt. Das habe ich als Schüler in Damaskus erlebt. Heute hat der Krieg Syrien unwiderruflich sowohl ethnisch als auch religiös zerrüttet.
Damals schickten bürgerliche Familien der Großstädte ihre Kinder zum Studium an europäische und US-Universitäten - und nicht mehr auf die Militärakademien. Meine Biografie – ich kam 1962 nach Deutschland – ist ein Beispiel hierfür. Die Offiziers-Ausbildung strebten stattdessen junge Alawiten aus nordsyrischen Dörfern an. Einer von ihnen war der Luftwaffenoffizier Hafiz al-Assad.
Die Gegner des Islamischen Staates
Die mächtigste Militärmacht der Welt führt den Kampf gegen den IS an. Seit mehr als einem Jahr bombardiert die US-Luftwaffe die Extremisten in Syrien und im Irak. An ihrer Seite sind auch Jets aus Frankreich und anderen westlichen Staaten sowie aus arabischen Ländern im Einsatz. Washington hat zudem US-Militärberater in den Irak entsandt, die Bagdad im Kampf am Boden unterstützen.
Moskaus Luftwaffe fliegt seit Ende September Luftangriffe in Syrien. Sie sollen nach Angaben des Kremls den IS bekämpfen. Der Westen und syrische Aktivsten werfen Russland jedoch vor, die meisten Luftangriffe richteten sich gegen andere Rebellen, um so das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu unterstützen.
Deutschland liefert seit mehr als einem Jahr Waffen an die Kurden im Norden des Iraks, darunter die Sturmgewehre G3 und G36 und die Panzerabwehrwaffe Milan. Die Bundeswehr bildet zudem kurdische Peschmerga-Kämpfer für den Kampf am Boden aus.
Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Katar und Jordanien unterstützen die USA bei den Luftangriffen. Vor allem Saudi-Arabien und Jordanien sehen den IS als Gefahr, weil die Extremisten bis an ihre Grenzen herangerückt sind.
Sowohl im Norden Syriens als auch im Nordirak gehören die Kurden zu den erbittertsten Gegnern des IS. Die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) im Syrien und die Peschmerga im Irak konnten den Extremisten empfindliche Niederlagen beibringen. Unterstützt werden sie von mehreren westlichen Staaten.
Das irakische Militär geht in mehreren Regionen des Landes gegen den IS vor. Allerdings kann sie nur wenige Erfolge vorweisen. Seit Monaten versucht die Armee erfolglos, die westirakische Provinz Al-Anbar zu befreien. Unterstützt wird sie von schiitischen Milizen, die eng mit dem Iran verbunden sind.
Sie bekämpfen das Regime und den IS. Das gilt auch für die Nusra-Front, syrischer Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Sie teilt die Ideologie des IS, ist aber mit ihm verfeindet.
Auch das syrische Militär geht gegen den IS vor. Kritiker werfen dem Regime jedoch vor, es greife vor allem andere Rebellen an und lassen die Extremisten gewähren. Auffällig ist, dass sich die meisten syrischen Luftangriffe nicht gegen den IS, sondern gegen Regionen unter Kontrolle anderer Gruppen richten.
In den Jahren seiner Diktatur 1970-2000 hat er Syriens Bevölkerung in verfeindete Ethnien und Sekten unter alawitischer Herrschaft fragmentiert. Ich nenne dies die „Alawitisierung“ des syrischen Staates. Was 2011 geschah, war daher keine Überraschung, sondern explosive Folge dieses Prozesses.
Um den Kern des Problems zu begreifen, muss man wissen: Zwischen 1970, dem Jahr des Assad-Putsches und 2011, dem Ausbruch der Rebellion, wurde der gesamte Staatsapparat im Rahmen eines Elitenwechsels alawitisiert. Vor allem Führungspositionen im Offiziers-Korps der Streitkräfte wurden fast ausschließlich von Alawiten besetzt.
An zweiter Stelle steht der Sicherheitsapparat (Mukhabarat), der teilweise von Stasi-DDR-Offizieren ausgebildet wurde. Mukhabarat-Agenten agieren noch fürchterlicher als Nazi-Schergen und KGB-Mörder. Töchter von Sunniten-Familien waren wie Freiwild und wurden von diesen Verbrechern vergewaltigt. Nur Menschen aus dem Orient können verstehen, welche Demütigung dies für eine Familie ist.
Syrische Flüchtlinge berichteten mir, wie alawitisch besetzte Ämter in Damaskus und Aleppo Sunniten ermorden ließen, um anschließend ihre Organe auf dem internationalen Transplantationsmarkt zu verkaufen. In meinem Kapitel „Syrer und Deutscher“ in Alice Schwarzers Buch „Der Schock“ habe ich diese Gewalt beschrieben, die Syrer nicht nur erleiden, sondern als Kultur mit nach Deutschland bringen.