Weltpolitik Amerika kann sich nicht abschotten

Die USA können sich nicht vor den Problemen der Welt zurückziehen, wie es die Isolationisten und Extremisten versprechen. Ein Plädoyer der UN-Botschafterin der USA anlässlich der Verleihung des Henry-Kissinger-Preises in Berlin.

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Die US-Botschafterin der USA, Samantha Power, erhält in Berlin als erste Frau den Henry A. Kissinger Preis 2016. Quelle: dpa

Wenn Sie mir vor etwa 15 Jahren, als mein erstes Buch „A Problem from Hell“ erschien, gesagt hätten, dass ich eines Tages bei den Vereinten Nationen hinter einem Schild mit der Aufschrift „Vereinigte Staaten“ sitzen würde, hätte ich Ihnen nicht geglaubt – so wie Dr. Kissinger wahrscheinlich nicht geglaubt hätte, dass eines Tages ein nach ihm benannter Preis an jemanden verliehen werden würde, der den Anfang seiner Karriere darauf verwendet hatte, das Scheitern der US-Regierung bei der Verhinderung von Völkermord im 20. Jahrhundert zu dokumentieren.

Zur Person

Dr. Kissinger und ich haben einige unterschiedliche Ansichten über die frühere und heutige amerikanische Außenpolitik – das ist kein Geheimnis. Unser gemeinsames Erscheinen hier vertuscht diese Differenzen nicht, aber es zeigt, dass das Erstarken extremistischer und isolationistischer Tendenzen in den Vereinigten Staaten die entscheidende Bedeutung der grundsätzlich internationalen Ausrichtung betont hat, die die amerikanische Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg über Parteigrenzen hinweg geprägt hat. Das umfasst auch die Überzeugung, dass wir uns nicht von den Problemen der Welt abschotten können und dass Abschottungsversuche unsere Bürger nicht sicherer, sondern unsicherer machen ...

Objektiv betrachtet, werden unsere nationalen Interessen zunehmend nicht mehr nur davon beeinflusst, was zwischen Staaten geschieht, sondern auch davon, was mit den Menschen in diesen Staaten geschieht. Selbst wenn wir alle Machiavelli und Dr. Kissinger zustimmen würden, dass es in der Natur von Staaten liegt, dass sie stets ihre Interessen maximieren wollen, machen es eben diese eigenen Interessen erforderlich, dass wir die Sicherheit der Menschen im Dienste der nationalen Sicherheit erfolgreicher verbessern.

Die Art und Weise, wie Regierungen ihre Bevölkerung behandeln, ist bedeutend; sie ist bedeutend, weil sie einen direkten Einfluss auf den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit haben kann. Denken Sie an Russland, wo die Mütter von Soldaten, die bei Kämpfen in der Ostukraine getötet wurden, Informationen über den Tod ihrer Söhne und Zugang zu Sozialleistungen einfordern und deshalb eingeschüchtert, schikaniert und teilweise sogar wegen Verrats strafrechtlich verfolgt werden.

Desinformation bedroht die Stabilität von Märkten

In Ländern wie Venezuela und China sehen wir die abschreckenden Auswirkungen des harten Vorgehens der Regierungen nicht nur auf diejenigen, die sich für Menschenrechte einsetzen, sondern auch auf diejenigen, die offiziellen Darstellungen widersprechen, und zwar auch im Bereich der Wirtschaft. Wenn Unternehmer, Journalisten und Volkswirtschaftler dafür kritisiert oder sogar angegriffen werden, dass sie objektive Informationen über die Wirtschaft veröffentlichen, wenn Blogeinträge und Nachrichten zensiert werden, weil sie legitime Fragen über von der Regierung nach oben korrigierte Produktionszahlen, dubiose Wechselkurse oder korrupte Regierungsbeamte aufwerfen, wenn Angst die Menschen daran hindert, genaue Daten über Märkte weiterzugeben oder Reformen zu empfehlen, die sie effizienter machen würden – dann unterminiert der entstehende Mangel an glaubwürdigen Informationen und innovativen Ideen nicht nur die Wirtschaft eines Landes, sondern bedroht auch die Stabilität eines immer stärker verflochtenen Marktes …

Wir brauchen ein wesentlich umfassenderes Wissen über die Menschen, die in diesen Ländern leben. Diplomaten müssen mehr Zeit außerhalb ihres Büros verbringen, damit sie die Menschen treffen können, die von der Politik, von der sie reden, betroffen sind ... Dazu sollte auch gehören, Beziehungen nicht nur zu bekannten zivilgesellschaftlichen Organisationen aufzubauen, sondern auch zu Gewerkschaften und führenden Wirtschaftsvertretern.

Breiter aufgestellte und tiefer greifende Koalitionen

Viele der heutigen Probleme unterscheidet, dass sie von keiner Koalition und von keinem Bündnis mächtiger Staaten gelöst werden können. Um den Klimawandel zu stoppen – und seine zahlreichen sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Folgen abzuwenden –, genügt es nicht, dass die Vereinigten Staaten und Europa ihre Emissionen reduzieren. Um zu verhindern, dass Terroristen unsere Bürger angreifen, reicht es nicht, sie davon abzuhalten, in unseren Partnerländern Fuß zu fassen. Und um dafür zu sorgen, dass der Ausbruch eines tödlichen Virus nicht in eine globale Pandemie mündet, müssen wir mehr tun, als in unseren Ländern stabile öffentliche Gesundheitssysteme aufzubauen.

Jede dieser Bedrohungen kann durch ein einziges schwaches Kettenglied – selbst an einem sehr entlegenen Ort – die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger gefährden. Deshalb hat die Regierung Obama so viel Energie darauf verwendet, breiter aufgestellte und tiefer greifende Koalitionen aufzubauen, die alle Glieder der Kette stärken …

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