40 Jahre WirtschaftsWoche Helmut Schmidt: Die Sünden der Politik in den 70ern

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Helmut-Schmidt2 Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

In den Siebzigerjahren dominierte die keynesianische Politik mit stark steigender Staatsverschuldung. Muss die derzeitige Bundesregierung mehr sparen?Bezogen auf die Siebzigerjahre haben Sie nachträglich recht, dass in einer größeren Zahl der europäischen Staaten und in Amerika keynesianische Vorstellungen eine große Rolle gespielt haben. Aber Sie dürfen ein ganz wichtiges doppeltes Ereignis nicht vergessen. Das war die zweimalige Explosion des Ölpreises, der zwischen 1970 und 1980 auf das 20-Fache gestiegen ist.

Diese Explosion des Ölpreises führte in einer Reihe von Staaten zu einem Defizit der Leistungsbilanz. Die englische Regierung war der Meinung, hier gehe dem englischen Volk so viel Kaufkraft verloren, dass die Wirtschaft zurückgehen müsse. Man müsse also die Kaufkraft durch Geldschöpfung ersetzen, durch keynesianische Staatsverschuldung. Im Sommer 1975 – das waren der französische Präsident Giscard d’Estaing und ich – haben wir die Engländer und die Amerikaner überredet, wir müssten uns mal zusammensetzen. Wir, die großen Industriestaaten der Welt, um zu versuchen, die hier sich abzeichnende Inflation – durch Geldschöpfung ausgelöst – einigermaßen zu dämpfen. So kam es zu den Siebener-Weltwirtschaftsgipfeln. Da traten zum ersten Male die Amerikaner auf mit dem Wunsch, die Deutschen und die Japaner sollten gefälligst ordentlich Geld drucken, damit die deutsche Nachfrage die ganze Weltwirtschaft aus der Rezession herauszieht. Lokomotivtheorie hieß das.

Wiederholt sich Geschichte doch? Präsident Obama drängt die Deutschen auch zu mehr Stimulierung auf Pump.Das kommt mir vor wie früher. Das hat Jimmy Carter auch schon gemacht mir gegenüber. Aber ich habe nur so weit nachgegeben, wie es außenpolitisch unvermeidlich schien sowie innen- und konjunkturpolitisch nützlich. Sonst hätte man die Stabilität der Wechselkurse gefährdet. Aber Währungspolitik ist immer auch Außenpolitik.

Welche Konsequenzen sind heute nötig?Die wichtigste hat mit den damaligen Erfahrungen wenig zu tun. Die Autonomie der handelnden Subjekte, die auf den kurz- und langfristigen Finanzmärkten handeln, sind zu einem solchen Maße zu kontrollieren und zu regulieren, dass sie keine Weltrezession auslösen können. Wir standen im Jahr 2008 unmittelbar vor einer Weltdepression. Das ist Gott sei Dank vermieden worden – durch übereinstimmendes Handeln der wichtigsten Regierungen und der wichtigsten Notenbanken der Welt: Kanadier genauso wie Chinesen, genauso wie die Fed in Washington und die EZB in Frankfurt. Alle haben gleich gehandelt, Liquidität geschaffen – zum Zinssatz null. Und haben all diese größenwahnsinnigen und habgierigen Banken, fast alle, gerettet.Die Konsequenzen der Gesetzgeber wären schon seit Mitte der Neunzigerjahre notwendig gewesen. Da ging ein großer amerikanischer Fonds...

LTCM – Long-Term Capital -ManagementGenau. Richtig hätte der heißen müssen: Short-Term Capital Mismanagement. Der geriet in Schwierigkeiten und man schätzte ihn ein als „too big to fail“. Ein schwerer Fehler. Man hätte ihn pleitegehen lassen müssen. Dann wäre uns vieles später erspart geblieben. Genauso hat man später, während der Bankenkrise in Südamerika und in Asien, die amerikanischen Gläubigerbanken gerettet.

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