Asyl in Deutschland Kaum Hoffnung für schutzsuchende Türken

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„Erdogan will die Türkei in eine islamistische Diktatur umwandeln“

Laut Dagdelen stieg die bereinigte Schutzquote bei Asylsuchenden aus der Türkei von etwa 14 Prozent vor dem Putsch auf etwa 21 Prozent danach. Dies zeige, dass die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan kein „sicherer Herkunftsstaat“ sei. „Das gilt nach dem gescheiterten Putschversuch noch weniger, da Erdogan diesen nutzt, um die Türkei in eine islamistische Diktatur umzuwandeln“, sagte Dagdelen dem Handelsblatt. „Selten hat sich die rein ideologisch motivierte Einstufung eines Landes durch die Bundesregierung als vermeintlich sicher deutlicher und schneller selbst demaskiert wie im Fall der Türkei.“ Jede weitere „Kumpanei“ mit dem Erdogan-Regime, das immer mehr Menschen in die Flucht zwinge, müsse daher endlich gestoppt werden.

Bei der Frage, wie die Türkei einzustufen ist, gingen die Meinungen innerhalb der Bundesregierung zuletzt weit auseinander. So hatte Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), der auch Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung ist, noch im Sommer ausdrücklich versichert, die Bundesregierung sehe die Türkei nicht als sicheren Herkunftsstaat an - als ein Land also, in dem nach den Worten des Grundgesetzes „weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“.


Im Gegensatz dazu schätzte das Auswärtige Amt die Türkei seinerzeit jedoch weiter als sicheren Herkunftsstaat ein. „An dieser Haltung hat sich nichts geändert“, zitierte die „Süddeutsche Zeitung“ Staatsminister Michael Roth (SPD) aus einer Antwort auf eine Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke.

Wie Dagdelen hat auch Jelpke in einer Anfrage an die Bundesregierung türkische Asylsuchende thematisiert – mit demselben Ergebnis. Immer mehr Türken suchen demnach Asyl in Deutschland. Fast 80 Prozent der Antragsteller seien Kurden, wie aus der Parlamentsanfrage hervorgeht, aus der die Zeitungen der Funke Mediengruppe zitieren.
Die Bundesregierung wollte aber keinen expliziten Zusammenhang zwischen der steigenden Zahl der Asylanträge und dem Putsch herstellen. „Spekulationen zu möglichen Ursachen für den Anstieg der Zahlen nimmt die Bundesregierung nicht vor“, zitierte die Funke Mediengruppe aus dem Schreiben.

Jelpke hingegen warf der Bundesregierung vor, die Lage der Flüchtlinge in der Türkei zu beschönigen. „Die Zahl der Asylsuchenden aus der Türkei hat sich seit 2014 nahezu verfünffacht“, sagte Linksfraktion-Abgeordnete der Funke Mediengruppe. „Die Türkei ist alles andere als ein sicherer Herkunftsstaat oder ein Ort, an dem Flüchtlinge eine sichere Bliebe finden können.“ Ankara führe vielmehr einen „erbarmungslosen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung“.

Symptomatisch für diese Einschätzung sind die Reaktionen Ankaras auf die Ermordung des russischen Botschafters. An dem Fall wird deutlich, in wie viele Konflikte sich der türkische Präsident verstrickt hat. Auf den ersten Blick scheint die Tat mit der diplomatischen Krise zwischen den beiden Ländern zu tun zu haben. Auch ein Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien ist naheliegend. Erdogan selbst dagegen gibt den Drahtziehern des gescheiterten Putsches die Schuld. Fest steht, dass sich die türkische Gesellschaft stark radikalisiert hat.

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