Der Läusealarm führt Frau Vogelreuther an den Nordrand der Stadt, wo Autobahn und Autohäuser ein unwirtlich rauschendes Stillleben bilden. Hier steht das ehemalige Möbelhaus des Unternehmens Höffner, nur an einem verblassenden Schild über dem Eingang („Hier geht’s zu den besten Preisen“) ist das noch zu erkennen.
Das Gelände ist mit einem Bauzaun umzingelt. Eine typische Brache, wären da nicht zwei Kinder, die mit der Automatiktür spielen. Auf, zu, auf, zu, immer wieder. Ein junger Mann vollführt auf dem Parkplatz Kampfsportübungen.
Ein echter Glücksfall
„Mit der Herrichtung des Möbelhauses konnten wir all die Menschen unterbringen, die uns zugewiesen wurden“, sagt Amtsleiterin Vogelreuther. 300 Menschen leben in dem Gebäude, und aus Sicht der Stadtverwaltung ist der fast fensterlose Kasten ein echter Glücksfall. Der Inhaber zog einen neuen Boden ein, stattete das Gebäude mit Stockbetten und Beleuchtung aus. In wenigen Tagen, auf eigene Rechnung.
Um ein wenig Privatsphäre zu simulieren, sind mithilfe von Bauzäunen jeweils vier Stockbetten zu einem Schlafraum abgegrenzt. „Das ist richtig gut geworden“, sagt Vogelreuther. Man kann das zynisch finden – oder daraus rückschließen auf die Zustände in anderen Unterkünften.
Länder mit der niedrigsten Aufnahmequote (2014)
Irland
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 920
pro 100.000 Einwohner: 20
Litauen
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 400
pro 100.000 Einwohner: 14
Slowenien
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 270
pro 100.000 Einwohner: 5
Spanien
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 10
pro 100.000 Einwohner: 4.485
Lettland
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 195
pro 100.000 Einwohner: 10
Slowakei
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 440
pro 100.000 Einwohner: 8
Rumänien
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 1.495
pro 100.000 Einwohner: 8
Estland
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 95
pro 100.000 Einwohner: 7
Tschechien
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 695
pro 100.000 Einwohner: 7
Portugal
Zahl der Aufnahmen...
insgesamt: 500
pro 100.000 Einwohner: 5
In Leverkusen stehen in den Möbelhäusern nur Möbel, für die Menschen gibt es hier Wohnungen. Dabei musste die Industriestadt am Rhein im August gut 400 Flüchtlinge aufnehmen, rund 50 Prozent mehr als im Vorjahresmonat. „Die Vorlaufzeit, mit der wir über Zugänge unterrichtet werden, beträgt meist nur ein paar Tage“, berichtet Sozialdezernent Märtens.
Neuankömmlinge landen zunächst in einer zentralen Gemeinschaftsunterkunft, von dort werden sie innerhalb weniger Wochen in Wohnungen vermittelt, wo sie für die Restdauer des Asylverfahrens bleiben. Massenunterkünfte für die Langfristunterbringung gibt es nicht.
„Leverkusener Modell“ heißt das, Flüchtlingsexperten ist es bundesweit ein Begriff, seit die Stadt vor zehn Jahren mit einem Schlag ihre Gruppenunterkünfte schloss. Stattdessen bezahlt sie zwei Mitarbeiter, die den Flüchtlingen bei der Wohnungssuche helfen. „Sollte sich der Zustrom weiter erhöhen, dann werden auch wir neue Gruppenunterkünfte einrichten müssen“, räumt Märtens ein. „Wir haben in dieser Woche unsere Kapazitätsgrenze erreicht.“
Schlagbaum und Schlange
Dass sich die vermeintlich ähnlichen Städte Fürth und Leverkusen so deutlich unterscheiden, zeigt, dass nicht der Flüchtlingsstrom an sich schuld ist an den chaotischen Zuständen – sondern der Umgang mit den Asylsuchenden. Die Verantwortung für die Unterbringung liegt grundsätzlich bei den Ländern, und auf dieser Ebene liegen auch die Ursachen für die meisten Probleme. Einmal wöchentlich zeigen die sich derzeit am eindrucksvollsten: montags, neun Uhr in Deutschland.
Denn das komplexe System der Unterbringung hat einen Flaschenhals, der um diese Uhrzeit besonders eng ist: die Erstaufnahmestellen. Wenn montags die Registrierungsstellen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) öffnen, wachsen die Schlangen.
Eine verschlossene Tür, ein heruntergelassener Schlagbaum und zwei Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes, so werden die Neuankömmlinge im Dortmunder Stadtteil Hacheney begrüßt. Auf dem ehemaligen Gelände einer Gehörlosenschule befindet sich eine der beiden Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen. Ein Schild weist den Weg zum Anmeldebüro. Vor der Tür liegen Plastiktüten mit Kleidung, ein paar veraltete und abgenutzte Koffer und zusammengerollte Isomatten. Gut zehn Leute stehen auf dem Gang, weitere 25 Asylsuchende drängen sich in einem kleinen, kahlen Zimmer. Es herrscht Betrieb, aber kein Chaos.