Asylsuchende strömen nach Deutschland Die hausgemachten Probleme bei der Flüchtlings-Aufnahme

Seite 5/5

Versagen ist punktuell

Auch die Unterbringung in den Kommunen gelingt in Rheinland-Pfalz fast flächendeckend, gerade weil das Land keine Vorgaben macht. Die Ministerin rät lediglich dazu, Wohnungen zu mieten, statt Großunterkünfte zu bauen. Dass die Städte sich daran halten, hat einen pragmatischen Grund: Es ist billiger.

Anders als Bayern übernimmt das Land Rheinland-Pfalz keine Kosten, sondern stellt den Kommunen eine Pauschale zur Verfügung. Wie sie damit klarkommen, ist ihre Sache.

Natürlich gibt es auch aus Bundesländern, in denen die Unterbringung den Kommunen überlassen ist, Negativbeispiele. Gerade dann, wenn die Zuschüsse des Landes niedrig sind, wie es in Nordrhein-Westfalen der Fall ist. Doch in diesen Ländern ist das Versagen punktuell, nicht flächendeckend.

Länderübergreifend hingegen ist auffällig, wie viele Fehler durch mangelhafte Kooperation gelöst werden könnten.

Lageso, das klingt nach einem dieser Markenartikel der Wirtschaftswunderzeit, wie Haribo oder Eduscho, ein Eis am Stiel könnte so heißen. Doch das Landesamt für Gesundheit und Soziales, kurz Lageso, ist eine gewittergraue Waschbetonfestung, zehn Stockwerke hoch, auf einem ehemaligen Krankenhausgelände in Berlin-Moabit.

Hier empfängt die Hauptstadt ihre Asylbewerber. Auf einem asphaltierten Vorplatz gibt es seit Kurzem zusätzliche Containerbüros, um mehr Asylsuchende gleichzeitig bearbeiten zu können. Davor eine Schlange. Drinnen im Amt weitere Schlangen. Der Chef des Lageso, Franz Allert, wird von manchem Kollegen mittlerweile mit folgendem Satz begrüßt: „Mit dir will ich nicht tauschen.“

In Moabit kommen zurzeit pro Monat so viele Flüchtlinge an wie 2007 während des gesamten Jahres. Allert und seine Mitarbeiter müssen jetzt innerhalb Wochen neue Betten zu Hunderten organisieren. Sie fahnden nach ungenutzten Schulen, Kasernen, Polizei-Wohnheimen oder anderen irgendwie geeigneten Behausungen.

Ideal für eine Umnutzung wären leer stehende Seniorenheime, aber so etwas gibt es in Berlin quasi nicht mehr. „Groß-Unterkünfte sind immer nur die zweite Wahl“, findet Allert. Aber anders, das macht er auch deutlich, werden die Ströme in Berlin kaum zu bewältigen sein.

Die Sache ist nur: Es stimmt nicht ganz. Nicht weit entfernt im Brandenburger Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt sind noch Plätze frei. In Sachsen-­Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen sind es jeweils mehr als 100. Während die Unterkünfte in Bayern (103 Prozent) und Hamburg (116 Prozent) überbelegt sind, ist in Mecklenburg-Vorpommern (–24 Prozent) und Thüringen (–18 Prozent) noch jeder fünfte Platz frei.

Insgesamt sind 11 der 16 Erstaufnahmen überlastet, doch nur in vier Ländern ist die Kapazität um mehr als 50 Prozent überschritten. Doch das merkt in der deutschen Bürokratie keiner. Das Easy-System kennt nur den regulären Länderschlüssel; dass fast alle ostdeutschen Länder noch Kapazitäten haben, während anderswo selbst die Zelte überquellen, sagt es nicht.

Als vor zwei Wochen die Aufnahmeeinrichtungen in NRW wegen Masern vorübergehend geschlossen werden mussten, sprach die Regel: zum nächstgelegenen Erstaufnahmelager schicken. So fuhren drei Busse nach Gießen, ins übervolle Aufnahmelager des Landes Hessen.

Nichts ist einfach in diesem System, weil vieles so Easy ist.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%