Auf die Barrikaden treibt die Umweltschützer ein Satz von Kraftwerkschef Michels. Er hat das Schiff mit den Castoren als „praktisch unsinkbar“ bezeichnet. Bei drei Castoren pro Transport wären dies fünf Fahrten. Castoren sind spezielle Behälter für radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken. In diesen Behältern kann der Atommüll gelagert oder transportiert werden. Castor steht für „Cask for storage and transport of radioactive material“ (Behälter für Lagerung und Transport von radioaktivem Material).
„Ein weiteres Zwischenlager wird mit dem Transport vermieden, und der Rückbau von Obrigheim kann schneller erfolgen“, sagt Michels. Der Transport auf dem Flussweg muss aber erst noch vom Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) genehmigt werden. Michels erwartet die Erlaubnis noch in diesem Jahr.
Begleiten sollen die Überführung etwa 80 Arbeiter - und zahlreiche Polizisten. Immer wieder hatten Aktivisten in den vergangenen Jahren in Deutschland gegen Castor-Transporte auf der Schiene oder auf der Straße protestiert. Immer wieder kam es auch zu Ausschreitungen. Auf dem Weg nach Neckarwestheim gibt es immerhin 23 Brücken und 6 Schleusen. „Wir haben eine Vorbereitungsgruppe gegründet und bereits einige Szenarien geübt“, sagt Thomas Mürder, Präsident des zuständigen Polizeipräsidiums in Göppingen. „Falls der Transport gestört wird, werden wir dagegen vorgehen“, warnt er.
Wie im Ausland die Atommüll-Kosten gestemmt werden
Die Atomkommission der Bundesregierung hat sich auf einen Vorschlag verständigt, wie die Finanzierung der Atommüll-Altlasten gesichert werden kann. In praktisch keinem Land Europas gibt es dafür so wenige Vorschriften, was die Vorsorge für Abriss der Meiler und Lagerung des strahlenden Mülls betrifft. Zwar gelten die von den Unternehmen gebildeten rund 40 Milliarden Euro Rückstellungen im europäischen Vergleich als hoch. Doch sie sind allein unter Kontrolle der Firmen und zudem in Kraftwerken oder anderen Anlagen investiert.Andere Länder haben schon vor Jahren Strategien entwickelt, wie die zurückgestellten Mittel gesichert, flüssiggemacht und notfalls aufgestockt werden können.
Das Land hat die meisten Atomkraftwerke in Europa, die alle von der staatlich dominierten EDF betrieben werden. Der Konzern ist gesetzlich verpflichtet, für die Entsorgungskosten in einem zweckgebundenen Fonds zu sparen. Das Geld muss nach festgesetzten Kriterien vorsichtig angelegt werden, was von einer nationalen Kommission überwacht wird. Die Offenlegung geht über normale Auskunftspflichten von Firmen hinaus. EDF darf dabei nur mit einer Verzinsung des Kapitals kalkulieren, die sich an einer Reihe vom Staat vorgegebenen Parametern orientiert. Zuletzt setzte EDF 4,6 Prozent an, wofür der Konzern allerdings eine Ausnahmegenehmigung in Anspruch nehmen musste. Zum Vergleich: Die deutschen Versorger kalkulieren mit einer Verzinsung ihrer Rückstellungen in nahezu der gleichen Höhe.
Ein Fonds, der von der Regierung verwaltet wird, soll sowohl die Ausgaben für Abriss der Meiler als auch die langfristige Lagerung des Mülls finanzieren. In den Fonds eingezahlt wird eine Abgabe der AKW-Betreiber, die etwa zehn Prozent der Strom-Produktionskosten beträgt. Die genaue Höhe wird jedes Jahr neu festgelegt. Dazu kann ein Risikoaufschlag von bis zu zehn Prozent der Gesamtsumme verlangt werden, um unerwartete Kostensteigerungen bei der Müll-Entsorgung abzufangen. Das Geld wird nach festgelegten Kriterien überwiegend in Staatsanleihen angelegt. Je nachdem, wie hoch die Rendite des Fonds in einem Jahr ausfällt, werden die Gebühren für den Müll erhöht oder gesenkt. Die Betreiber können sich bis zu 75 Prozent des Geldes aus dem Fonds zurückleihen, allerdings nur mit ausreichenden Sicherheiten. Geht ein Betreiber Pleite, muss der Steuerzahler allerdings für ihn einspringen.
Auch hier soll ein unabhängiger Fonds sowohl die Abrisskosten als auch die Mülllagerung finanzieren. Alle drei Jahre legen die Betreiber Kostenschätzungen vor, nach denen sich dann die Einzahlungen in den Fonds richten. Dazu wird für jedes einzelne Kraftwerk eine unterschiedliche Gebühr erhoben. Die Mittel im Fonds bleiben auf die einzelnen Betreiber aufgeteilt, eine Gesamthaftung gibt es nicht. Investieren darf der Fonds nur in risikoarme schwedische Anleihen und Festgeldanlagen. Sollten die Summen nicht ausreichen, müssen die Betreiber nachschießen. Der Staat darf auch einen Risikoaufschlag erheben, um sich gegen Pleitegefahr eines Betreibers abzusichern, hat das aber bislang nicht getan.
Das Land unterscheidet zwischen einem AKW-Stilllegungs- und einem Entsorgungsfonds. Beide Fonds stehen unter staatlicher Kontrolle. Die Verwalter entscheiden über Höhe der Beiträge sowie über die Anlagepolitik. Zuletzt wurde eine Sonderzahlung als Risikoaufschlag beschlossen. Alle fünf Jahre werden die erwarteten Entsorgungskosten neu berechnet und die Jahresbeiträge der Versorger angepasst. Sollten die Fondsanteile eines Versorger für die Altlasten nicht ausreichen und dieser nicht zahlungsfähig sein, müssen andere Betreiber bis zu einer Belastungsgrenze mithaften. Danach muss der Steuerzahler einspringen.
Der Streit in Baden-Württemberg um das Zwischenlager und den Transport hochradioaktiven Atommülls ist erst der Anfang. Das Problem, wohin mit den abgebrannten Brennstäben und dem restlichen radioaktiven Müll trifft auch allen anderen Atombetreiber. Je länger die Suche nach einem Endlager dauert, desto länger müssen der Atommüll in Zwischenlagern aufbewahrt werden.
Die Kosten dafür übernimmt zukünftig der Staat. Die Aufbewahrung von Brennelementen in Zwischenlagern an den AKW-Standorten ist gesetzlich für maximal 40 Jahre ab Einlagerung des ersten Castor-Behälters genehmigt, also bis ungefähr 2045. Diese Frist soll nicht überschritten werden. Ist bis dahin kein Endlager genehmigt, muss jedes einzelne Zwischenlager neu genehmigt werden.
Mit neuen Protesten von Umweltschützern ist künftig sowieso zu rechnen, wenn es zu weiteren Castor-Transporten kommen wird. Denn irgendwann kommt auch der Atommüll aus den Wiederaufbereitungsanlagen in Frankreich und England zurück. Die Rückführung der Castor-Behälter sollen in Zwischenlagern im AKW Philippsburg und auf die Standorte Biblis, Brokdorf und Isar verteilt werden.