Freytags Frage

Wozu muss Schulz im Wahlkampf Stellung beziehen?

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Soziale Gerechtigkeit wird wichtig werden

Erstens: Die soziale Gerechtigkeit ist ein echtes Thema. Ob es aber reicht, die erfolgreichen Arbeitsmarktreformen zurückzudrehen, um mehr Gerechtigkeit zu schaffen, kann bezweifelt werden. Vielmehr geht es um Chancen auf dem Arbeitsmarkt und um bessere Bildung für alle. Dazu gehört auch, dass alle Kinder einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung bekommen. Das erfordert extreme Anstrengungen und eine objektive Bewertung des gegenwärtigen Bildungssystems.

So etwas wäre eine wahrhaft sozialdemokratische Agenda – nicht das Schimpfen auf die letzte wirklich durchdachte wirtschaftspolitische Politikmaßnahme, die Agenda 2010, an der Martin Schulz übrigens nicht völlig unbeteiligt war. Man kann Details der Agenda 2010 verändern, aber das sollte wirklich nicht alles sein.

Zweitens: Das Rentensystem wird auf der Agenda bleiben. Dabei darf man nicht so tun, als ob es ausreiche, heutigen Rentnern mehr Gerechtigkeit zu bieten – also mehr Geld. Die Nachhaltigkeit des Systems muss gesichert werden. Wenn in der kommenden Wahlperiode nichts geschieht, um die absehbare Überlastung des Systems in etwa zehn Jahren zu verhindern, werden zukünftige Wahlkämpfe vor allem zu Streitereien zwischen den Generationen verkommen. Das kann keiner wollen!

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Drittens: Europa muss als Konzept und Lebensentwurf für Abermillionen überzeugte Europäer gerettet werden. Das heißt nicht, dass alles so bleiben muss, wie es ist. Hier hat Martin Schulz die Chance, sehr glaubwürdig die gegenwärtigen Schwächen der EU, an denen der maßgeblich Mitverantwortung trägt, zu identifizieren. So könnte er eine Diskussion um Alternativen und Lösungen auslösen. Es wäre dagegen grundfalsch, das Thema zu tabuisieren. Europa braucht eine Revitalisierung.

Viertens: Die Menschen erwarten Antworten auf die immer noch schwelende Flüchtlingskrise sowie das Problem mangelnder Integration bereits Zugewanderter. Es bedarf einer echten Einwanderungspolitik, die humanitäre Aspekte berücksichtigt und gleichzeitig die Interessen unserer Gesellschaft bedenkt. Sie muss Kriterien festlegen, nach denen in Zukunft Zuwanderung organisiert wird.

Ein weiteres Thema ist die Verteidigungspolitik. Angesichts der Krisen und Instabilitäten um uns herum können wir uns eine weitere Schwächung der Bundeswehr nicht leisten. Das Thema spielt außenpolitisch eine ernsthafte Rolle, wie der Besuch der Kanzlerin in Washington gezeigt hat. Vor Außenpolitik und Verteidigung darf ein ernsthafter Kanzlerkandidat nicht zurückschrecken. Die Nato, Terrorbekämpfung und Entwicklungszusammenarbeit sind eng zusammenhängende Themenfelder.

Es gibt somit viel zu tun. Martin Schulz hat die Chance, hier Positionen zu beziehen, die über das Jammern über die Umstände und das Versprechen, alles werde besser, hinausgehen. Er könnte konstruktive Lösungen für drängende Probleme anbieten. Wenn ihm das gelingt, erwartet uns ein spannender Wahlkampf mit echten Alternativen für das Land. Man kann ihm dafür nur alles Gute wünschen!

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