Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) verliert immer weiter an Zustimmung und Wählergunst. Zuletzt lag die SPD in Umfragen nur noch bei 20 Prozent und damit nicht mehr weit vor den traditionell eher kleineren Grünen und der Alternative für Deutschland (AfD), dem Krisengewinner. In der Tat ist es eine gruselige Vorstellung, dass die SPD, die Staatsmänner wie Kurt Schumacher, Willy Brandt oder Helmut Schmidt hervorgebracht hat, verschwindet und durch die AfD mit solchen Kalibern wie Alexander Gaulandt, Björn Höcke oder Beatrix von Storch ersetzt wird.
Dabei scheint es nicht so zu sein, dass die AfD am Niedergang der Sozialdemokraten irgendeinen Anteil hätten; wohl eher umgekehrt trägt die Schwäche der Volksparteien dazu bei, dass diejenigen, die mit der Angst spielen, soviel Erfolg haben. Und das führt zum Stichwort Angst. Auch die SPD des Jahres 2016 versprüht wenig Aufbruchsstimmung und versucht vor allem, auf Ängste zu reagieren: Mitpreisbremse, Rentenerhöhungen, Anti-Globalisierungsrhetorik sind gerade nicht darauf gerichtet, die Menschen in ihren Anpassungskräften und ihrer Selbstbestimmung zu fördern.
Dabei liest sich doch die Geschichte der Sozialdemokratie gerade als eine Geschichte der Stärkung der Schwächsten innerhalb der Gesellschaft und keineswegs nur als die eines Schutzpatrons, der die Menschen vor Veränderung bewahren will. Was verbindet sich mit der SPD?
Die SPD-Führung
Seit 2009 Parteichef, macht die SPD in regelmäßigen Abständen mit Alleingängen nervös. War im Sommer in der Krise, bekam beim Ja zur Vorratsdatenspeicherung reichlich Gegenwind. Punktete in der Flüchtlingskrise aber wieder. Hat Anspruch auf Kanzlerkandidatur 2017 angemeldet. Bei seiner Rede gab er sich staatsmännisch und warb für einen Kurs der Mitte. Die Linke goutierte das nicht. Die herbe Quittung: Nur 74,3 Prozent nach 83,6 Prozent vor zwei Jahren.
Landesmutter in Nordrhein-Westfalen, lange als Gabriel-Konkurrentin gehandelt, will von Bundespolitik aber nichts mehr wissen. Konzentriert sich voll auf die Landtagswahl 2017 an Rhein und Ruhr. In der Flüchtlingskrise wieder präsenter. Parteivize seit 2009, bei der letzten Parteitagswahl vor zwei Jahren 85,6 Prozent. Am Freitag fehlte sie wegen Fieber und Schüttelfrost. Geschadet hat es nicht: Sie kam auf 91,4 Prozent Zustimmung.
Seit 2011 SPD-Vize (Wahl 2013: 79,9 Prozent). Die Flüchtlingskrise wäre für die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung eigentlich die große Zeit, um Akzente zu setzen. Sie blieb bislang aber eher blass - auch als Parteivize. Geht mit ihrer zurückhaltenden Art im SPD-Gefüge etwas unter. Als einzige Migrantin unter den Vizes hat die Tochter türkischer Kaufleute in diesen Zeiten dennoch einen festen Platz. Der Lohn: 83,6 Prozent.
Landes- und Fraktionschef der hessischen SPD, wird oft unterschätzt, müht sich um bundespolitisches Profil. „TSG“ kümmert sich auch um die internationalen SPD-Kontakte. Der Mann mit den dicken Brillengläsern - in der Jugend drohte er zu erblinden - ist glühender Bayern-Fan, trat aus Protest gegen die Hoeneß-Steueraffäre aber beim Rekordmeister aus. Bekam 2013 als Vize 88,9 Prozent. Schaffte das Resultat diesmal fast: 88,0 Prozent.
Wird als kluger Verhandler in der SPD geschätzt, wie bei den Bund-Länder-Finanzen. Für den Fall, dass Gabriel irgendwann nicht mehr will oder darf, fällt stets auch sein Name. Hat bei den Delegierten aber oft einen eher schweren Stand. Vor zwei Jahren bekam er als Vize nur 67,3 Prozent. Das Nein seiner Hamburger zur Olympia-Bewerbung der Hansestadt war für Scholz ein Dämpfer. Der Parteitag leistete etwas Aufbauarbeit: 80,2 Prozent.
Seit 2009 Parteivize (Wahl 2013: 80,1 Prozent). Die Bundesfamilienministerin hat sich in der SPD einen guten Stand erarbeitet - gerade mit ihrem Thema Frauen und Familie. Früher intern mitunter belächelt, gilt sie heute als wichtige Figur im Parteiengefüge, mit Aussicht auf höhere Aufgaben. Mit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann soll sie das Wahlprogramm für 2017 erarbeiten. Erwartet derzeit ihr zweites Kind. Die Delegierten bescherten ihr mit 92,2 Prozent das beste Ergebnis aller Vizes.
Allzweckwaffe vom linken Flügel, SPD-Erklärbär auf allen Kanälen. Träumt seit Jahren davon, Generalsekretär zu werden - darf aber nicht, weil es nach dem Fahimi-Rückzug wieder eine Frau sein sollte. Der Kieler Landeschef erhielt 2013 bei seiner Wahl zum Vize 78,3 Prozent. Auch er kann sein Niveau in etwa halten: 77,3 Prozent.
Von Gabriel als Generalsekretärin ausgeguckt. Bislang in der Bundespolitik kaum in Erscheinung getreten. Sitzt seit 2013 im Bundestag, muss nun den nächsten Wahlkampf vorbereiten. Machte vor der Politik Karriere als Juristin. Kein Wadenbeißer-Typ, eher ruhig, zurückhaltend. Muss sich in der SPD erst noch einen Namen machen. Der Parteitag gibt ihr mit 93 Prozent eine großen Vertrauensvorschuss. Fast 20 Punkte mehr als ihr künftiger Chef Gabriel.
Schutz der Schwachen vor Ausbeutung, z.B. durch eine Arbeitsgesetzgebung mit Kündigungsschutz und Mitbestimmung sowie durch umfassende Krankenversicherung
- Verbesserung der Bildung in allen Schichten der Bevölkerung durch umfassenden Zugang zu betrieblicher und universitärer Ausbildung
- Soziale Begleitung (aber nicht Verhinderung!) des Strukturwandels
- Modernisierung der Gesellschaft, insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren
Wenn man es etwas idealisiert zusammenfasst, so steht die Sozialdemokratie für die Förderung sozialer Gerechtigkeit in einer sich wandelnden Gesellschaft. Dies impliziert aber nicht, dass alle am Ende das Gleiche besitzen müssen und auch sonst gleich denken und leben müssen; dafür stehen eigentlich andere.
Leider scheint die SPD das hinter ihrer Agenda stehende Bild des selbstbestimmten Menschen aufgegeben zu haben. Menschen werden offenbar zunehmend als Opfer angesehen (die Täter sind zumeist anonym: das Großkapital, die USA, die Banken). Dieses Bild ist schief, denn Menschen sind in ihrer überwältigenden Mehrheit in der Lage, ihr Leben zu meistern – zumindest in ihrem unmittelbaren Umfeld. Was die globalen Entwicklungen angeht, so scheinen die Sorgen zuzunehmen und viele glauben überfordert zu sein.
An dieser Stelle haken all diejenigen ein, die mit leichten Lösungen punkten wollen. Ihre Botschaften suggerieren, dass man mit Isolation und Protektionismus alles Übel aus Deutschland heraushalten kann:
- Ohne Flüchtlinge gäbe es mehr Jobs für Deutsche (dafür gibt es bislang keine Belege) und weniger Kriminalität
- Ohne TTIP blieben unsere Standards hoch, mit TTIP wären wir stark gesundheitsgefährdet (für beides gibt es keinen Beleg)
Einschränkungen der Vertragsfreiheit
Leider macht die SPD da mit. Durch immer weitere Einschränkungen der Vertragsfreiheit versucht sie, vermeintlich Schwächere zu schützen:
- Die Mietpreisbremse soll Mieter vor Wucher schützen; die Mieten steigen aber ohnehin nur in den Ballungsräumen, also dort, wo das viele Geld der EZB hinfließt.
Die Zeitarbeit soll stark eingeschränkt werden, obwohl sie nachweislich gerade Langzeitarbeitslosen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt erleichtert.
- Die heutigen Rentner werden massiv auf Kosten zukünftiger Generationen protegiert, als ob die Jungen Schuld daran wären, dass sie so wenige sind. Auch hier wird ein verzerrtes Bild vom schwachen Rentner gezeichnet.
Auf diese Weise konkurriert die SPD auf unglückliche Weise mit den anderen Parteien, die auf Angst setzen und sich als Lordsiegelbewahrer des Stillstandes zu profilieren versuchen, insbesondere mit der Linkspartei und der AfD. Offenbar sind die dabei aber glaubwürdiger und können die Ängstlichen besser für sich gewinnen.
Deshalb sollte man sich im Willy-Brandt-Haus vielleicht einmal Gedanken machen, wie man den Optimismus und die Gestaltungskraft der Menschen wieder unterstützt und sich selber als die Partei präsentieren, die den Menschen Stärkung bei der Bewältigung des globalisierungsbedingten Strukturwandels anbietet. Die Globalisierung ist nicht zu verhindern. Die SPD sollte sich fragen, ob es überhaupt im Interesse der Deutschen und insbesondere der deutschen Beschäftigten liegt, die Globalisierung einzuschränken. Bislang konnte gerade der deutsche Mittelstand daraus den größten Nutzen ziehen.
Ein Thema, bei dem sozialdemokratische Expertise wichtig wäre, ist zum Beispiel Fairness in der Arbeitswelt: Wie kann die Dienstleistungsgesellschaft gestärkt werden, so dass die dort Beschäftigen faire Löhne erhalten, ohne dass in die Märkte eingegriffen wird. Welche Rolle spielte das lebenslange Lernen? Ist soziale Gerechtigkeit ausschließlich eine Frage der Einkommens- oder Vermögensverteilung?
Ein weiteres wichtiges Thema ist die Bildungspolitik: Warum verlassen nahezu 10 Prozent der Schüler die Schule ohne Abschluss? Ist es richtig, das duale Ausbildungssystem gegenüber dem Studium so zu benachteiligen, wie es gerade passiert? Und schließlich scheint es so zu sein, dass die enorme Unkenntnis der Deutschen über ökonomische Zusammenhänge die Ängste erst erzeugt oder zumindest verstärkt. Sozialdemokratisch geprägte Institutionen wie die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen oder die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) haben immer großen Wert darauf gelegt, die Schüler gerade nicht volkswirtschaftlich zu bilden (weil man keine Neoliberalen heranzüchten will, so die schwachsinnige Begründung).
Könnte es ein, dass eine ungebildete Bevölkerung sich von den Sozialdemokraten abwendet und den tumben Rattenfängern von links oder rechts auf den Leim geht?
Es wird Zeit, dass die SPD wieder aufhört, mit Ängsten zu spielen; das können die anderen besser. Sie sollte wieder modern werden und den gesellschaftlichen und technischen Fortschritt aktiv mitgestalten. Dazu gehört es, die Offenheit der Gesellschaft nicht nur als moralischen Imperativ vor sich herzutragen, sondern sie in jeder Hinsicht, also sowohl humanitär als auch wirtschaftlich, zu leben.