Berlin Jährlich legt die Bundesregierung einen Bericht zum Stand der Deutschen Einheit vor. Meist sind die Erkenntnisse kein Anlass für überschwängliche Freude – so auch in diesem Jahr. Ostdeutschland wird zwar bescheinigt, bei der Wirtschaftskraft weiter zum Westen aufgeholt zu haben.
26 Jahre nach der Wiedervereinigung liegt die Wirtschaftsleistung des Ostens aber immer noch um mehr als ein Viertel unter dem Niveau der alten Länder. Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner sei von 1991 bis 2015 von 42,8 auf 72,5 Prozent des Niveaus der westdeutschen Bundesländer gestiegen.
Ein viel größerer Wermutstropfen ist allerdings ein anderer Aspekt, auf den die Bundesregierung in dem Bericht hinweist - die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland. Im zurückliegenden Jahr habe die Zahl der rechtsextremen und fremdenfeindlichen Übergriffe „stark“ zugenommen.
„Neben unzähligen Angriffen auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte sind gewalttätige Ausschreitungen wie in Heidenau und Freital zu Symbolen eines sich verfestigenden Fremdenhasses geworden“, heißt es im Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit 2016, der dem Handelsblatt vorab vorlag. Bei den Protesten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sei deutlich geworden, dass die Grenzen zwischen bürgerlichen Protesten und rechtsextremistischen Agitationsformen zunehmend verschwömmen.
Die Bundesregierung spricht in ihrem Einheitsbericht, der an diesem Mittwoch dem Kabinett vorgelegt und von der Ostbeauftragten der Bundesregierung, Iris Gleicke (SPD), veröffentlicht werden soll, von „besorgniserregenden Entwicklungen“, die das Potenzial hätten, „den gesellschaftlichen Frieden in Ostdeutschland zu gefährden“. Auch negative Konsequenzen für die ostdeutsche Wirtschaft werden nicht ausgeschlossen.
„Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Intoleranz stellen eine große Gefahr für die gesellschaftliche, aber auch die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar“, heißt es in dem Bericht. „Ostdeutschland wird nur als weltoffene Region, in der sich alle dort lebenden Menschen zu Hause fühlen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben, gute Entwicklungsperspektiven haben.“
Die Statistiken belegen jedoch seit vielen Jahren, dass in Ostdeutschland im Verhältnis zur Einwohnerzahl eine besondere Häufung von fremdenfeindlichen und rechtsextremen Übergriffen zu verzeichnen ist. So liegen die im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2015 dokumentierten, rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten bezogen auf eine Million Einwohner in Mecklenburg-Vorpommern (58,7), Brandenburg (51,9), Sachsen (49,6), Sachsen-Anhalt (42,6), Berlin (37,9) und Thüringen (33,9) deutlich über dem Durchschnitt der westdeutschen Länder (10,5).